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Karl Landsteiner und die Rezeptionsgeschichte der Blutgruppenentdeckung / Karl Landsteiner and the history of the reception of the blood group discoveryBerbig, Clara January 2024 (has links) (PDF)
Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die späte Rezeption Landstei-ners und seiner Entdeckung der Blutgruppen sowie die langsame Entwicklung der flä-chendeckenden Anwendung der Bluttransfusion als lebensrettende medizinische Maß-nahme auf mehreren Problematiken beruhte. Diese sollen hier nochmal einzeln kurz be-leuchtet werden.
Einer der Gründe für die verspätete Rezeption kann sicherlich in Karl Landsteiners zu-rückhaltenden und etwas sperrigen Persönlichkeit gesehen werden, aufgrund derer die Gruppe seiner Anhänger in Österreich eher klein blieb. Nur wenige kamen mit seiner Ar-beitsweise und dem Klima, das in seinem Laboratorium vorherrschte, zurecht. Es dauerte eine Weile, bis der Großteil der Wissenschaftler über Landsteiners komplexe Persönlich-keitsstruktur, mit der er vielfach aneckte, hinwegsahen und ihn für den genialen Forscher-geist feierten, den er besaß. Seine Scheu vor Aufmerksamkeit führte dazu, dass er seine Entdeckung der Blutgruppen nicht aktiv und nachdrücklich publik zu machen versuchte. Er war zwar ein herausragender Wissenschaftler, strebte aber nicht nach einem Leben im Rampenlicht. Hätte er das gewollt, wäre seine Entdeckung mutmaßlich nicht nur in einem einzigen Artikel von ihm publiziert worden, sondern Landsteiner hätte daraufhin weiter nachgeforscht und seine Ergebnisse noch mehr mit der Entwicklung der Transfusionsme-dizin in Verbindung gestellt. Stattdessen wechselte er das Forschungsgebiet und beauf-tragte seine Assistenten, das Thema weiterzuverfolgen. Dies führte erst dazu, dass er mit der Entdeckung der vierten Blutgruppe schon gar nicht mehr in Verbindung gebracht wurde und öffnete schließlich in den Folgejahren anderen Medizinern das Tor zu weiterer Forschung auf diesem Gebiet. Es gab neue Blutgruppen-Nomenklaturen von verschiede-nen Wissenschaftlern und die Errungenschaften bei der Entwicklung der Bluttransfusion standen letztendlich scheinbar in keiner Verbindung mehr mit Karl Landsteiner.
Mit Sicherheit spielte jedoch Landsteiners Wahl bei der Entscheidung für sein Institut in Wien eine Rolle, durch die er in einen alten wissenschaftlichen Streit hineingezogen wur-de. Die Ursprünge des Konflikts zwischen Max Gruber und Paul Ehrlich hatten die Sci-entific Community in zwei Lager entzweit. Durch Landsteiners Tätigkeit am Hygiene-Institut und die Unterstützung Grubers, hatte er sich in Bezug auf die Aussicht auf wis-senschaftlichen Erfolg für die falsche Seite entschieden. Da es in Landsteiners Natur lag, nur wissenschaftlichen Tatsachen zu vertrauen und er sich nicht von Opportunitätsdenken abhalten ließ, die Wahrheit ans Licht zu bringen, stellte er durch seine Handlungen die gegenüberstehende Konfliktpartei bloß. Dass dies ausgerechnet die Gruppe um Paul Ehr-lich war, der den Rückhalt des Großteils der Wissenschaftsgesellschaft genoss und zudem das Gebiet der Immunologie, das Landsteiner erforschte, bis dahin beherrschte, machte es dem Blutgruppenentdecker fast unmöglich, in der österreichischen Universitätslandschaft Erfolge zu feiern.
Auch der Verdacht, Karl Landsteiners Erfolg sei von antisemitischen Vorurteilen beein-trächtigt worden, darf nicht vernachlässigt werden. Landsteiner fühlte sich sein Leben lang von seinen jüdischen Wurzeln regelrecht verfolgt, wie an dem Gerichtsprozess gegen die jüdische Enzyklopädie zu erkennen ist. Er schien sich geradezu dafür zu schämen, sonst hätte er wohl seinen Sohn in diesen Teil der Familiengeschichte eingeweiht. Ob es sich dabei eher um ein Selbstbewusstseinsproblem Landsteiners handelte, oder ob es hier-für triftige Gründe in Form von antisemitischen Anfeindungen während seiner Zeit in Wien gab, konnte aufgrund der mangelhaften Quellenlage nicht abschließend geklärt wer-den. Deutlich wird aber, dass der zunehmende Antisemitismus und der Mangel an Auf-stiegschancen in Wien ihn aus seiner Heimat vertrieben.
Der am stärksten zu gewichtende Grund für die verspätete Rezeption der Entdeckung der Blutgruppen und deren Bedeutung waren die Hemmungen vor der Anwendung aufgrund von etlichen ungelösten technischen Problemen. Hinzu kamen die Berichte über schwer-wiegenden Folgereaktionen auf Bluttransfusionen, die in der Zeit vor Entdeckung der Blutgruppen verzeichnet wurden, weshalb die breite Masse der Ärzteschaft sich von die-ser Technik abgewandt hatte. Es brauchte eine gewisse Zeit und eine Reihe vertrauens-würdiger Studien, aus denen hervorging, dass diese schweren Reaktionen eben genau auf dem fehlenden Wissen über die Blutgruppen beruhten, bis sich die breite Masse wieder an diese therapeutische Maßnahme herantraute. Da, wie heute bekannt ist, die Einteilung nach dem AB0-System noch nicht alle Gefahren der Bluttransfusion aus dem Weg ge-räumt hat, sondern weitere Faktoren wie der Rhesusfaktor und eventuelle unregelmäßige Blutgruppen eine Rolle spielten, kam es trotz Landsteiners bahnbrechender Entdeckung doch weiterhin zu Zwischenfällen, mit teilweise tödlichem Ausgang nach Bluttransfusio-nen nach dem AB0–System. Des Weiteren spielte das Fehlen einer einfachen, für den Arzt in der Praxis geeigneten Technik eine Rolle. Außer der, aufgrund von Landois Be-obachtungen, unpopulären Möglichkeit der Transfusion von defibriniertem Blut gab es mehr als ein Jahrzehnt nach Landsteiners Entdeckung nur die Möglichkeit der direkten Transfusion. Hierfür mussten sich nicht nur Spender und Empfänger im selben Raum befinden, sondern es bedurfte auch ausgezeichneter chirurgischer Fähigkeiten für eine Gefäßnaht oder benötigte später, nach Erfindung zahlreicher Apparaturen, zumindest viel Personal und Zeit für das aufwändige Verfahren. Diese Voraussetzungen waren aus-schließlich in großen Kliniken gegeben und auch hier nicht als Standardverfahren. Als 1914 die gerinnungshemmende Wirkung von Natriumcitrat entdeckt wurde, verhalf dies der Bluttransfusion in vielen Ländern zum Durchbruch. Die neu entdeckte Möglichkeit der Konservierung von Blut kam rechtzeitig zum Beginn des Ersten Weltkrieges, der, mit der Vielzahl an Verwundeten und der Notwendigkeit der Kompensation großer Blutver-luste, den medizinischen Fortschritt auf diesem Gebiet deutlich vorantrieb. Jedoch gab es auch hier noch viele Gegner, vor allem in Deutschland und Landsteiners Heimat Öster-reich, die vermuteten, dass der gerinnungshemmende Zusatz das Blut krankhaft verändern würde und eine Transfusion dieses Blutes gesundheitsschädlich sei. Sie zogen weiterhin die direkte Bluttransfusion vor oder suchten vergeblich weiter nach einer unkomplizierten Methode der Bluttransfusion, die sich flächendeckend anwenden ließ.
Während der Durchführung dieser Studie wurde offenbar, dass keiner der soeben ange-führten Aspekte als alleiniger Grund für die verspätete Rezeption der landsteinerschen Blutgruppen angesehen werden kann. Vielmehr war es ein Zusammenspiel der politischen Situation in Europa, der Rivalitäten unter Kollegen, die den Universitätsalltag beherrschten und nicht zuletzt die dargelegten Charakterzüge Landsteiners, die es ihm erschwerten, ein wissenschaftlich-soziales Netzwerk aufzubauen, das notwendig gewesen wäre, um seine Kollegen von der Bedeutung seiner Entdeckung zu überzeugen. / In summary, it can be assumed that the late reception of Landsteiner and his discovery of blood groups, as well as the slow development of the widespread use of blood transfusion as a life-saving medical measure, was based on several problems. These will be briefly examined again here. One of the reasons for the delayed reception can certainly be seen in Karl Landsteiner's reserved and somewhat unwieldy personality, as a result of which the group of his followers in Austria remained rather small. Only a few were able to cope with his way of working and the climate that prevailed in his laboratory. It took a while for the majority of scientists to overlook Landsteiner's complex personality structure, which often caused offense, and to celebrate him for the ingenious spirit of research that he possessed. His reluctance to attract attention meant that he did not actively and emphatically try to publicize his discovery of blood groups. Although he was an outstanding scientist, he did not aspire to a life in the limelight. Had he wanted to, his discovery would presumably not only have been published in a single article, but Landsteiner would have continued his research and linked his findings even more to the development of transfusion medicine. Instead, he changed his field of research and instructed his assistants to pursue the topic further. As a result, he was no longer associated with the discovery of the fourth blood group and, in the years that followed, opened the door to further research in this field for other doctors. There were new blood group nomenclatures from various scientists and the achievements in the development of blood transfusion were ultimately seemingly no longer associated with Karl Landsteiner. However, Landsteiner's choice for his institute in Vienna certainly played a role, by dragging him into an old scientific dispute. The origins of the conflict between Max Gruber and Paul Ehrlich had divided the scientific community into two camps. Through Landsteiner's work at the Institute of Hygiene and his support for Gruber, he had chosen the wrong side in terms of the prospect of scientific success. Since it was in Landsteiner's nature to trust only scientific facts and he did not let opportunistic thinking stop him from bringing the truth to light, his actions exposed the opposing party to the conflict. The fact that this was the group around Paul Ehrlich, of all people, who enjoyed the support of the majority of the scientific community and had also dominated the field of immunology, which Landsteiner was researching, made it almost impossible for the blood group discoverer to celebrate success in the Austrian university landscape. The suspicion that Karl Landsteiner's success was affected by anti-Semitic prejudices should also not be neglected. Throughout his life, Landsteiner felt downright persecuted by his Jewish roots, as can be seen from the court case against the Jewish encyclopaedia. He seemed almost ashamed of it, otherwise he would probably have let his son in on this part of the family history. Whether this was more of a self-confidence problem on Landsteiner's part, or whether there were valid reasons for this in the form of anti-Semitic hostility during his time in Vienna, could not be conclusively clarified due to the lack of sources. However, it is clear that increasing anti-Semitism and the lack of opportunities for advancement in Vienna drove him away from his homeland. The most important reason for the delayed reception of the discovery of blood groups and their significance was the reluctance to use them due to a number of unresolved technical problems. Added to this were the reports of serious adverse reactions to blood transfusions that had been recorded in the period before the discovery of blood groups, which is why the medical profession as a whole had turned away from this technique. It took a certain amount of time and a series of trustworthy studies, which showed that these severe reactions were precisely due to the lack of knowledge about blood groups, before the general public dared to use this therapeutic measure again. Since, as we know today, the classification according to the AB0-system has not yet eliminated all the dangers of blood transfusion, but other factors such as the Rhesus factor and possible irregular blood groups played a role, despite Landsteiner's groundbreaking discovery, incidents, sometimes with fatal outcomes, continued to occur after blood transfusions according to the AB0-system. The lack of a simple technique suitable for doctors in practice also played a role. Apart from the, because of Landois' observations, unpopular option of transfusing defibrinated blood, the only option available for more than a decade after Landsteiner's discovery was direct transfusion. Not only did this require the donor and recipient to be in the same room, but it also required excellent surgical skills for a vascular suture or, later, after the invention of numerous apparatuses, at least a lot of personnel and time for the complex procedure. These requirements were only met in large clinics and even here they were not standard procedures. When the anticoagulant effect of sodium citrate was discovered in 1914, this helped blood transfusion achieve a breakthrough in many countries. The newly discovered possibility of preserving blood came just in time for the start of the First World War, which, with the large number of wounded and the need to compensate for major blood losses, significantly advanced medical progress in this field. However, there were still many opponents, especially in Germany and Landsteiner's homeland Austria, who suspected that the anticoagulant additive would cause pathological changes in the blood and that transfusion of this blood would be harmful to health. They continued to prefer direct blood transfusion or continued to search in vain for an uncomplicated method of blood transfusion that could be used across the board. During the course of this study, it became apparent that none of the above-mentioned aspects can be regarded as the sole reason for the delayed reception of Landsteiner's blood groups. Rather, it was a combination of the political situation in Europe, the rivalries between colleagues that dominated everyday university life and, last but not least, Landsteiner's character traits that made it difficult for him to build up the scientific and social network that would have been necessary to convince his colleagues of the importance of his discovery.
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Die molekulare Basis der RH-Haplotypen mit schwacher Expression des Antigens DWagner, Franz F. January 1999 (has links)
Ulm, Univ., Habil.-Schr., 1999.
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