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Werte der Dichtung - Dichtung von Wert / Eine Rekonstruktion von Maßstäben zur Bewertung von 'Literatur' in den Poetiken J. Chr. Gottscheds und J. J. Breitingers (mit einem Ausblick auf C. Fr. Brämer) / Values of Poetic Works – Poetic Works of Value / Tracing the Criteria for the Evaluation of ‘Literature’ in the Poetics of J. Chr. Gottsched and J. J. Breitinger (with a Short Examination of C. Fr. Brämer)Falkenhagen, Annabel 22 July 2008 (has links)
Die vorliegende Untersuchung rekonstruiert zwei für die Produktion wie die Beurteilung literarischer Werke zuständige Wertordnungen der frühen Aufklärung – die Johann Christoph Gottscheds einer- und die Johann Jacob Breitingers andererseits. Ziel der Arbeit ist es, die grundsätzlichen Differenzen zwischen den beiden wichtigsten rivalisierenden Poetiken der Zeit zu erklären sowie ihre jeweilige Position innerhalb der historischen Entwicklung hin zu einem heute noch gültigen Verständnis von Literatur zu bestimmen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Einfluss der zeitgenössischen Philosophie (insbesondere der Christian Wolffs) auf die Konstituierung der jeweiligen Wertordnungen.
Ihre Kriterien zur Bestimmung des spezifisch Literarischen entnimmt die Arbeit der Theorie S. J. Schmidts sowie Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes. Soweit es die Werttheorie betrifft, baut die Studie auf dem Ansatz der sprachanalytischen Wertphilosophie auf.
Mit seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst schließt Gottsched eine Lücke, welche die deutschsprachige Poetik zu Beginn des 18. Jahrhunderts von der anderer europäischer Nationen trennt. Dies geschieht einerseits durch die ausführliche Beschäftigung mit inhaltsbezogenen Wertmaßstäben, andererseits (und damit zusammenhängend) über die breit angelegte Auseinandersetzung mit den Wertmaßstäben des Wunderbaren und Wahrscheinlichen. Scheinbare Widersprüche, etwa was die Bewertung unterschiedlicher wunderbarer Züge poetischer Texte angeht, lassen sich vor dem wissenschaftshistorischen Hintergrund als systematisch begründet erklären. Zukunftsweisend erscheint Gottscheds Wertsetzung insbesondere mit Blick auf die Entwicklung des modernen Romans. Auch moralische, scheinbar der Literatur fremde Maßstäbe lassen sich bei näherem Hinsehen zumindest partiell als integrativer Bestandteil von Gottscheds Dichtungskonzept erklären. Gottsched nutzt das ihm von der rationalistischen Philosophie zur Verfügung gestellte Instrumentarium, etwa das Konzept der andern Welten oder das der hypothetischen Wahrscheinlichkeit, um seine Wertordnung theoretisch zu fundieren. Er etabliert zumindest in Ansätzen die Unabhängigkeit der Dichtung als eines fiktionalen Raumes und, damit zusammenhängend, die Geltung bereits in hohem Grade literaturspezifischer Maßstäbe. Gottscheds Auffassung des literarischen Werkes als Text schließlich ist bestimmend für diejenigen Wertmaßstäbe, welche den Bereich der sprachlichen Gestaltung betreffen.
Entscheidend für die Entwicklung der Breitinger’schen Wertordnung ist seine Annahme, dass Sinnesempfindung und Emotionen aufs Engste verbunden gedacht werden müssen. Dabei stützt er sich offenbar auf im weitesten Sinne sensualistisch zu nennende Theorien der Zeit, greift aber auch Thesen Wolffs und Elemente der Rhetorik auf, wobei das von Breitinger entworfene Bild des Rezipienten und seiner Bedürfnisse nur teilweise im Einklang steht mit den von Bodmer in der Vorrede der Critischen Dichtkunst vorgegebenen Grundsätzen. Vor diesem Hintergrund entwickelt Breitinger sein Ideal der Dichtung als poetische Malerei, das den Wertmaßstab der sinnlichen Darstellung bzw. Vergegenwärtigung mit dem der Erregung der Affekte verbindet. Auch seine Logik der Phantasie erweist sich primär als Logik des sinnlichen, visuellen Eindrucks, dessen oberflächliche, flüchtige Natur entscheidend für die konkrete Umsetzung der Wertmaßstäbe des Wunderbaren und der Wahrscheinlichkeit ist. Die Orientierung am Ideal der poetischen Malerei dominiert auch die Wertsetzung Breitingers auf dem Gebiet des Ausdrucks: Im Vordergrund steht die exakte Visualisierung des vom Dichter konzipierten Bildes. Auf diese Weise weist Breitinger die Dichtung insgesamt zwar deutlich als zum Bereich des Ästhetischen gehörig aus und befördert so ihre Autonomie. Durch die enge Bindung an die Wertmaßstäbe visueller Medien wird sie jedoch gleichzeitig zumindest ansatzweise sowohl medial über- als auch, insbesondere was die Möglichkeiten des plot anbelangt, unterfordert.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sowohl Gottscheds als auch Breitingers Konzept der Dichtung, wie es in ihren jeweiligen Wertordnungen sichtbar wird, das Potential der Literatur als Kunstform auf jeweils ganz eigene Weise weiterentwickelt. Beide tragen in unterschiedlicher Hinsicht zur Konstituierung eines eigenständigen Bereiches Literatur mit entsprechenden spezifischen Wertmaßstäben bei, auch wenn dieser Prozess noch nicht als abgeschlossen gelten kann.
Abschließend beschäftigt sich die Arbeit kurz mit der wenig beachteten Poetik Carl Friedrich Brämers. Wie Gottsched und Breitinger nimmt auch Brämer Einflüsse der Wolff’schen Philosophie auf, bezieht sich daneben jedoch als einziger auch auf das Werk Francis Bacons. Bei der Entwicklung seiner Wertordnung zeigt Brämer, anders als Gottsched und Breitinger, jedoch letztlich wenig genuines Interesse an den eigentümlichen Belangen der Dichtung und entsprechend an der Generierung im eigentlichen Sinne literaturspezifischer Wertmaßstäbe. Damit bestätigt sich sein Status als Außenseiter der philosophischen Poetik.
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