Die Arbeit zeichnet erstmals die Genese der Darstellung der Seitenwunde Christi als Einzelbild nach. Der Fokus liegt hierbei nicht nur auf der Entwicklung und Verbreitung dieses spezifischen Andachtsbildes, sondern auch darauf, ein besseres Verständnis für die Laienfrömmigkeit und die ihr immanenten Praktiken im ausgehenden Mittelalter zu erlangen. Um die Grundlagen dieser Andachtspraxis zu begreifen, wird die Fülle des Materials der Seitenwunden-Verehrung von den frühen patristischen Quellen bis hin zur spätmittelalterlichen Wundenadoration in Schrift- und Bildzeugnissen dargelegt. Während in bisherigen kunsthistorischen Forschungsbeiträgen nur wenige einzelne Bildbeispiele betrachtet wurden, zeigt diese Arbeit eine Vielzahl bislang nicht beachteter Bildwerke, die eine Katalogisierung der Seitenwunden-Darstellungen ermöglichen. Mithilfe dieses umfangreichen Werkkorpus werden sowohl die regionale Verbreitung als auch die außergewöhnlichen Variationen innerhalb der Wundenbilder und die damit zusammenhängenden unterschiedlichen ikonografischen Traditionen und Präferenzen nachgewiesen.
Neben der Darlegung der Genealogie der spätmittelalterlichen Seitenwunden-Bilder stellt die Erschließung ihres umfangreichen Sinngehalts ein Novum im Forschungsdiskurs dar. Die Bilder der heiligen Wunde verstehen sich als Zeugnisse persönlich gelebter Frömmigkeit, welche Einblicke in die mittelalterliche Lebenswelt laikaler Bevölkerungsschichten ermöglichen. Gerade ihr Bezug zu individuellen Schutz- und Glaubensvorstellungen dient dabei als Abbild realer Lebenswirklichkeiten. Diese Forschungsergebnisse eröffnen nicht nur für die Kunstgeschichte fruchtbare Erkenntnisse, sondern lassen sich auch innerhalb von Theologie, Germanistik, Soziologie und Geschichte anwenden. Die Bilder der Seitenwunde dienen dabei als ein Beispiel, um die Vieldeutigkeit christlicher Kunst zu belegen. Die Varianz der mit ihnen verknüpften Themen zeigt, wie wenig ästhetische Codierung, handwerkliche Ausführung und gesellschaftsrelevante Bedeutung in Abhängigkeit zueinanderstehen müssen. Unter diesem Aspekt wird auch ersichtlich, wie ergebnisreich die Betrachtung einfacher, mitunter grotesk anmutender Zeugnisse ausfallen kann. Die Bilder der Seitenwunde könnten auf den ersten Blick als absurdes Randphänomen eingestuft werden, ihre eingehende Analyse zeigt aber, dass sie nicht nur inhaltlich äußerst komplex sind, sondern dass sie auch weitaus deutlicher als andere Werke die alltägliche christliche Lebenswelt abzubilden vermögen. Die unbarmherzige Lebensrealität des Spätmittelalters bedingte die Erhöhung des Symbols der Wunde. Als Ausdruck göttlicher Macht, himmlischen Beistandes und der Erlösung wurden die Wunden Christi demnach nicht nur Referenz der Passion, sondern auch seelischer Beistand innerhalb eines Lebens voller Ängste und Entbehrungen.:1. Einleitung 4
2. Theologische Grundlagen der Seitenwunden-Verehrung 12
2.1. Zeugnisse der christlichen Antike 13
2.1.1 Neues Testament 13
2.1.2 Exegese der Kirchenväter 17
2.1.3 Übersicht zur Motivgeschichte der Patristik 38
2.2 Mittelalterliche Überlieferung 39
2.3. Mystische Betrachtungen und Laienfrömmigkeit des Spätmittelalters 48
3. Die Seitenwunde Christi als spätmittelalterliches Andachtsbild 64
3.1. Der Urtypus 65
3.2. Die Darstellung der Seitenwunde Christi bis 1400 71
3.2.1 Französische Gebiete 71
3.2.2 Gebiete des Heiligen Römischen Reiches 79
3.2.3 Englische Gebiete 90
3.3. Die Darstellung der Seitenwunde Christi bis 1500 98
3.3.1 Vertikale Konzepte 99
3.3.2 Horizontale Konzepte 107
3.3.3 Die Wunde im Kelch 111
3.3.4 Die Wunde auf dem Tuch 119
3.3.5 Modellieren der Formgebung: Die Raute als Inbegriff der Seitenwundenbilder des späten 15. Jahrhunderts 124
3.3.6 Einzelfunde 137
3.4 Entwicklungen der folgenden Jahrhunderte 144
4. Mandorla vs. Raute – Ursprünge der Formgebung 150
4.1 Aureole, Strahlenkranz, Mandorla – Licht als multireligiöser Ausdruck des Göttlichen 150
4.2 Form als Sinnbild – Ursprünge geometrischer Bildschemen 157
4.3 Verbildlichungen des Corpus Christi 166
4.4 Zur Vieldeutigkeit christlicher Kunst – eine exemplarische Analyse 168
5. Vulnus oder Vulva? Zur Geschlechtsspezifik der Wundöffnung 186
5.1 Sexualität im Mittelalter 187
5.2 Christliche Vorstellungen eines allgeschlechtlichen Gottes 196
5.3 Die heilige Wunde und ihre Geschlechtlichkeit 202
6. Schluss 218
Abbildungen 229
Literaturverzeichnis 255
Bildnachweis 279
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:86460 |
Date | 13 July 2023 |
Creators | Paul, Katja |
Contributors | Klein, Bruno, Wolter-von dem Knesebeck, Harald, Technische Universität Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/updatedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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