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Herstellung und Charakterisierung gestickter Trägerstrukturen auf Basis abbaubarer, polymerer Fadenmaterialien für das Tissue Engineering des vorderen Kreuzbandes

Die klinisch relevantesten Knieverletzungen betreffen Läsionen oder Rupturen der Bänder im Kniegelenk mit einer Häufigkeit von etwa 40%, wobei allein 46% der Verletzungen das vordere Kreuzband (ACL) betreffen. Bei einer Verletzung des ACL kommt es, aufgrund mangelnder Vaskularisierung und verletzter Synovialmembran, nicht zu einer selbst induzierten Regeneration. Deshalb besteht bei einer ausbleibenden Therapie langfristig ein erhöhtes Risiko für Arthrose verbunden mit chronischen Schmerzen und Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit.
Der Goldstandard liegt in der Transplantation von patienteneigenem Gewebe der Patellar- oder Semitendinosussehne, wobei die Gründe für das 3-10%-ige Implantatversagen z. B. in der falschen Platzierung und Fixierung des Implantates oder in einer falsch bemessenen Implantatgröße verbunden mit einer verminderten Festigkeit liegen. Ebenso sind die Nachbildung der typischen Gewebestrukturzonen vom Ligament zur knöchernen Integration sowie die damit verbundenen spezifischen mechanischen Eigenschaften nicht umsetzbar. Die genannten Nachteile legen nahe, dass ein anhaltend großer Forschungs- und Entwicklungsbedarf hinsichtlich neuartiger Therapiemethoden besteht.
Im Tissue Engineering wird hierbei eine Behandlungsstrategie mit hohem Erfolgspotential gesehen. Dazu ist die Entwicklung eines temporären Zellträgers (Scaffold), der als artifizielle Matrix für die Zellen dient und die spezifischen strukturellen und mechanischen Anforderungen des nativen Gewebes erfüllt, essentiell für das Behandlungsgelingen. Das Ziel muss dabei stets die mechanische und strukturelle Wiederherstellung des ACL bei möglichst komplett vermiedener Entnahmemorbidität sein.
Eine angepasste Porosität und zellspezifische Porengrößenverteilung der Scaffolds sind für eine gleichmäßige Zellproliferation in vivo erforderlich. Weiterhin müssen auch die mechanischen Eigenschaften über einen bekannten und im Idealfall definiert einstellbaren Degradationszeitraum stabil sein.
Für die Scaffoldherstellung wurden die biokompatiblen und biologisch abbaubaren Materialien Polylactid (PLA) oder Poly(lactic-co-ε-caprolacton) (P(LA-CL)) gewählt. Beide Materialien gelten als medizinisch gut verträglich bzw. sind bereits als Medizinprodukt zugelassen. PLA weist eine langsames Degradationsverhalten auf und wird deshalb als potentiell geeignetes Material für das Tissue Engineering von Bändern und Sehnen gesehen. Aus zellbiologischer Sicht konnte P(LA-CL) als Optimum herausgestellt werden.
Es konnte im Rahmen der Arbeit gezeigt werden, dass die Sticktechnik im Vergleich zu anderen textilen Herstellungsverfahren, wie dem Stricken oder Flechten, einen großen Gestaltungsspielraum zur Entwicklung einer mechanisch und strukturell angepassten Scaffoldstruktur für das Tissue Engineering von Ligamentgewebe bietet.
Die Sticktechnik ermöglichte somit die Kombination beider Fadenmaterialien in einem Gestick. Ober- und Unterfaden können zudem aus unterschiedlichen Materialklassen sowie –typen bestehen. Neben den mechanischen Eigenschaften wurden damit auch die Porosität der Scaffoldstruktur, das Abbauverhalten und die zellbiologischen Erfordernisse wesentlich beeinflusst.
Die Strukturzonen Ligament, Knorpel und Knochen konnten nach dem Vorbild des nativen Gewebeübergangs durch unterschiedliche Stickmuster gestaltet werden. Die Umsetzung war ohne zusätzliche Prozessschritte oder Maschinenmodifikationen möglich.
Bei der Gestaltung der Ligamentzone zeigte sich, dass der Stickparameter Duplizierverschiebung die mechanischen Kennwerte Steifigkeit und Toe-Region wesentlich beeinflusst. Weiterhin konnte ein gradueller Musterübergang von Ligament- zu Knochenzone gestaltet sowie eine temporäre Barriere aus kollagenen Materialien in das Scaffold integriert werden. Die Steifigkeit des bereits etablierten Stickmusters für die knöcherne Integration konnte durch eine additive Modifizierung auf das Sechsfache des Ausgangswertes gesteigert werden.
Die beiden Methoden „Übereinandersticken“ und „Stapeln/Verriegeln“ zur Herstellung von 3D-Gesticken ermöglichten es sowohl homogene als auch graduelle Porengrößenverteilungen zu generieren. Die damit hergestellten Gesticke in lapinem und humanem Maßstab wurden zudem den mechanischen Ansprüchen nativer ACL durch das Nachempfinden des spezifischen Kraft-Dehnungsverhaltens gerecht.
Die umfangreiche Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften konnte bei statischen und dynamischen Belastungszuständen realisiert werden, sodass durch die ermittelten Daten nicht nur Aussagen zum Versagensverhalten, sondern auch zu typischen alltäglichen Bewegungsvorgängen, wie Gehen oder Treppen steigen, getroffen werden können. Unter zyklischer Belastung wurden signifikante Unterschiede der Verlustarbeit zwischen den Gesticken und den lapinen ACL deutlich, die durch die Strukturbesonderheiten der Gesticke erklärt sowie durch eine passend gewählte Vorkonditionierung verringert werden können. Das Relaxationsverhalten der Gesticke war hingegen mit dem nativer ACL-Gewebe vergleichbar.
Aufgrund der eingeschränkten mitotischen Aktivität des ACL-Gewebes wird mehrheitlich eine Gerüststruktur aus langsam degradierenden Materialien gefordert. Über einen Zeitraum von 168 Tagen wurde das hydrolytische Abbauverhalten untersucht. Die erzielten Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine ausreichende Stabilität der Scaffolds vorliegt. Auf dieser Grundlage wurde ein die Arbeit abschließender in vitro Versuch mit funktionalisierten und zellbesiedelten Gesticken über 28 Tage durchgeführt. Die Ausrichtung des Zellwachstums geschah dabei entlang der Fadenmaterialien und somit in die für das Gestick vorgesehene Belastungsrichtung. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die entwickelte Stickmusterstruktur einen essentiellen Einfluss auf das Zellverhalten hat.
Aus wissenschaftlicher Sicht wurde mit der Arbeit ein wesentlicher Beitrag zur Charakterisierung gestickter 3D-Strukturen, die als Scaffolds für Tissue Engineering Anwendungen im Bereich mechanisch stark belasteter Weichgewebe dienen könnten, geleistet. Die Ergebnisse bieten den Anreiz für fortführende Arbeiten in ersten in vivo Studien.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:74205
Date19 March 2021
CreatorsHahn, Judith
ContributorsHeinrich, Gert, Cherif, Chokri, Siebert, Tobias, Technische Universität Dresden, Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden e. V.
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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