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Literaturverfilmung als Wahrnehmungsprozeß narrativer Texte : Analyse von Verfilmungen ausgewählter Werke Heinrich Bölls anhand eines wahrnehmungstheoretisch fundierten Modells

Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die Diskussion über die Theorie der Literaturverfilmung, die bis jetzt von den
strukturalistischen Grundansätzen dominiert ist, mit einem neuen alternativen Ansatz aus der Wahrnehmungstheorie zu
ergänzen. Der Ausgangspunkt liegt in der Ansicht, daß diese strukturalistisch fundierten narrativistischen Ansätze trotz
ihrer unbestreitbaren Verdienste einige Schwachstellen aufweisen, die einerseits als Sprach- und
Produktionsorientiertheit und andererseits als einseitige Konzentration auf die Deskription auf der synchronischen Ebene
bezeichnet werden können. Einen alternativen theoretischen Ansatz, der diesen Problemen entgegenwirken kann, stellt
ein wahrnehmungstheoretisch fundiertes Narrationsmodell dar, in dem die Narration als ein Prozeß betrachtet wird, wo
der Rezipient durch seine von diversen Schemas geleitete Wahrnehmungsaktivität anhand von diversen Hinweisen die
Narration Schritt für Schritt verfolgt.

Unter dieser Zielvorstellung wurde in dieser Arbeit das Narrationsmodell von David Bordwell herangezogen, das er aus
dem Standpunkt der Kognitionstheorie für die narrativen Filme entworfen hat. In diesem Modell sah ich trotz einiger
Bedenken wegen der aus der Sicht der kognitionstheoretisch fundierten Narrativik empirisch noch unzureichend
gesicherten Theorieansätze eine Möglichkeit, die Eigenschaften und Merkmale narrativer Texte, die innerhalb dieses
Forschungsbereichs der Literaturverfilmung zu behandeln sind, auf einer Ebene zu beobachten und zu beschreiben, die
grundsätzlich von den Unterschieden der jeweiligen Medien unabhängig ist.

In diesem wahrnehmungstheoretisch fundierten Narrationsmodell wird die Narration als ein Prozeß betrachtet, der dem
Rezipienten ständig Hinweise gibt, damit er aus dem Sujet, das eine abstrakte Konstruktion bzw. Organisation von
Ereignissen und Zuständen darstellt, eine chronologische und kausale Reihe von ihnen, d.h. die Fabel rekonstruieren kann.
Bei den Hinweisen handelt es sich dann nicht um solche sprachbezogenen Kriterien wie Tempus, Modus und Stimme,
sondern um die logischen, zeitlichen und räumlichen Hinweise, die bei der menschlichen Wahrnehmung generell
grundlegende Rollen spielen. Unter dieser Vorstellung über die Narration richtet sich der Schwerpunkt des Modells dann
auf die diversen Aspekte der Relation zwischen Sujet und Fabel, die zunächst mit den raumzeitlichen und logischen
Merkmalen beschrieben werden. Anschließend werden die Merkmale unter den taktischen Aspekten mit den Kriterien
von Leerstellen, Retardation und Redundanz beschrieben, und zwar unter der Annahme, daß das Sujet auch im idealen
Fall nicht alle Fabelinformationen darstellen kann. Als der nächste Schritt werden diese Merkmale unter dem Aspekt der
globalen narrativen Strategien betrachtet, und zwar mit den Kriterien von Wissen, Selbstbewußtheit und
Kommunikativität.

Ein wesentlicher Vorteil dieses Modells liegt gegenüber den herkömmlichen strukturalistischen Narrationsmodellen darin,
daß dadurch die Voreingenommenheit der strukturalistischen Modelle durch die Sprache grundsätzlich ausgeschlossen
werden kann, weil die Kriterien und Kategorien, die dieses Modell ausmachen, auf die Merkmale der menschlichen
Wahrnehmungstätigkeit zurückzuführen sind, die als solche einerseits auch die Sprechhandlung einschließt und
andererseits unabhängig von den Medien ist. Als solches kann dieses Modell als Grundmodell für die komparative
Analyse von literarischen und filmischen Texten eingesetzt werden, weil die zentralen Kriterien und Kategorien nicht nur
in ihrer Konzeption, sondern auch in ihrer Anwendung in der Praxis medienunabhängig für alle narrativen Texte
angewendet werden können.

Aufgrund dieses Modells wird in dieser Arbeit ein Analyseraster konzipiert, der bei der konkreten komparativen Analyse
als gemeinsame Grundlage benutzt werden kann. Bei der Analyse wurde dann versucht, die narrativen Merkmale nach
dem aus diesem Modell gewonnenen Raster zu beschreiben.

Aus den Resultaten aus den darauf folgenden konkreten Analysen einiger ausgewählter Filme, die auf literarischen
Vorlagen Heinrich Bölls basieren, kann festgestellt werden, daß die globalen Merkmale eines Textes mit Hilfe eines
wahrnehmungstheoretisch fundierten Narrationsmodells aus dem nicht von einem bestimmten Medium
voreingenommenen Standpunkt der Wahrnehmungsaktivität des Rezipienten erfolgreich umgeschrieben werden können,
ohne dabei auf die strukturalistischen Grundbegriffe zu rekurrieren. Dadurch wurde es möglich, die narrativen Merkmale
jeweiliger Texte als eine abgeschlossene Ganzheit aus einem neutralen Standpunkt zu beobachten und sie mit neutralen
Kriterien und Kategorien zu beschreiben.

Identiferoai:union.ndltd.org:uni-osnabrueck.de/oai:repositorium.ub.uni-osnabrueck.de:urn:nbn:de:gbv:700-2000091590
Date15 September 2000
CreatorsNam, Wan-Seok
ContributorsProf. Dr. Wolfgang Becker, Prof. Dr. Knut Hickethier
Source SetsUniversität Osnabrück
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/zip, application/pdf
Rightshttp://rightsstatements.org/vocab/InC/1.0/

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