Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Modell der Budgetmitbestimmung in Porto Alegre. Aus dieser konkreten staatlichen Initiative, die die Zivilgesellschaft in einen sich öffnenden Staat einbindet, können Lehren für soziale Innovationen in Europa gezogen werden. Im Zuge des Widerstands gegen die Militärdiktatur bildeten sich Volksbewegungen, die gleichermaßen Staat und Kapital kritisierten. Diese herrschaftskritische Interpretation von Stadtteilbewegungen machte im Laufe der 1980er Jahre einer liberalen Interpretation Platz. In Verdrehung der Gramscianischen Intention wird Zivilgesellschaft zunehmend als die autonome Organisation nichtstaatlicher Organisationen begriffen. Damit wurden nicht nur zentrale Einsichten der marxistischen Staatstheorie über Bord geworfen, sondern gleichzeitig auch den liberalen Reformen des Staatsabbaus Vorschub geleistet. Lokalen Initiativen werden auf diese Weise fehl interpretiert, und ihr innovatives Potential wird nicht ausgeschöpft. Eine detaillierte Analyse der konkreten Stadtteilbewegungen in Brasilien hilft deshalb, ein klareres Verständnis von Staat und Gesellschaft zu gewinnen. Die Volksbewegungen forderten seit den 1970er Jahren sowohl materielle Verbesserungen in den bis dahin vernachlässigten Armenvierteln als auch weitergehende demokratische Mitspracherechte. Es entstand eine starke politische Bewegung, bestehend aus den erneut zugelassenen politischen Parteien und den schon gut vernetzten politischen Bewegungen. Das führte dazu, dass alltägliche Probleme der Bevölkerung in öffentliche Anliegen und daher in Forderungen an den Staat transformiert wurden. 1989 übernahm die Arbeiterpartei die Macht in Porto Alegre und begann die Demokratisierung der Lokalpolitik via Budgetmitbestimmung. Diese soziale Innovation des Regierens ist weltweit bekannt geworden. Wir beabsichtigen in diesem Artikel nicht nur eine Darstellung dieses Bürgerbeteiligungsmodells, sondern versuchen auch eine alternative Interpretation dieser politischen Strategie. Anders als in der konventionellen Theorie von Öffentlichkeit als Sphäre, die unabhängig von Markt und Staat existiert (Habermas) oder Zugängen, die auf Formen der Governance durch die Zivilgesellschaft setzen, gehen wir davon aus, dass nachhaltige soziale Innovation nur in einer neuen Form von Staatlichkeit bestand haben. Der Staat bleibt nämlich weiterhin der Knotenpunkt politischer Macht und Ansatzpunkt von Veränderungen, die über den Kapitalismus hinausgehen. Die Einbindung der Bevölkerung eröffnet Raum für das Experimentieren mit neuen Formen der Selbstverwaltung, die das Bürokratiemodell zu überwinden und einen offenen und öffentlichen Staat zu schaffen helfen. (Autorenref.) / Series: SRE - Discussion Papers
Identifer | oai:union.ndltd.org:VIENNA/oai:epub.wu-wien.ac.at:epub-wu-01_7fc |
Date | January 2004 |
Creators | Novy, Andreas, Leubolt, Bernhard |
Publisher | Institut für Wirtschaftsgeographie, Abt. Stadt- und Regionalentwicklung, WU Vienna University of Economics and Business |
Source Sets | Wirtschaftsuniversität Wien |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | Paper, NonPeerReviewed |
Format | application/pdf |
Relation | http://epub.wu.ac.at/760/ |
Page generated in 0.0019 seconds