Verglichen mit der Entwicklung in Westeuropa und Nordamerika ist die Gentrification in Ostdeutschland ein junges Phänomen. Anfang der 1990er Jahre setzte in vielen ostdeutschen Altbauquartieren eine schnelle bauliche Aufwertung und ein umfangreicher Bevölkerungsaustausch ein. Doch verliefen die Aufwertungsprozesse insgesamt deutlich langsamer und ‚sanfter‘ als anfangs erwartet. Die Aufwertungsprozesse wurden zudem nur in größeren Städten Ostdeutschlands beobachtet und in diesen Städten wiederum nur in einigen wenigen, zum Teil sehr kleinen Quartieren. Die Dresdner Äußere Neustadt zählt zu den ostdeutschen Altbauquartieren, die als ‚Inseln des Aufstiegs‘ bezeichnet werden können.
Ziel dieser Arbeit war es, den seit 1989 in der Äußeren Neustadt verlaufenden Quartierswandel zu untersuchen und herauszufinden, ob dieser Wandel als Gentrification bezeichnet werden kann und ob die Begriffe und Konzepte der Gentrificationforschung auf die Äußere Neustadt anwendbar sind. Die als Einzelfallstudie angelegte Untersuchung basiert auf einem breiten Methodenspektrum, zu dem u.a. eine mündlliche Bewohnerbefragung, Gebäude- und Nutzungskartierungen sowie eine Inhaltsanalyse lokaler Printmedien zählen.
Zentrales Ergebnis der Arbeit ist, dass sich seit 1990 ein Gentrificationprozess vollzogen hat, der als sanfte Gentrification eines ehemaligen kleinbürgerlichen Mischgebietes zum Szeneviertel des ‚bohemian chic‘ bezeichnet wird. Die spezifische Ausprägung der Gentrification in der Äußeren Neustadt, d.h. deren Dynamik und Typik, wurde anhand der vier Dimensionen des Wandels (bauliche, soziale, kommerzielle, symbolische Gentrification), dem Entwicklungsverlauf der Gentrification und eines Vergleichs mit der Entwicklung anderer ostdeutscher Aufwertungsquartiere vorgenommen.
Die bauliche Gentrification der Äußeren Neustadt ist weit fortgeschritten und entspricht dem Wandel vom baulich verfallenen zum fast vollständig sanierten Gründerzeitquartier. Träger der baulichen Aufwertung waren ‚landlord developer‘, die an einer renditeorientierten Bewirtschaftung interessiert sind. Die soziale Gentrification der Äußeren Neustadt ist ein von Pionieren vorbereiteter Wandel vom Quartier mit geringem sozioökonomischen und soziokulturellen Status zu einem Viertel mit mittlerem sozioökonomischen und hohem soziokulturellen Status. Die an der sozialen Gentrification Beteiligten wurden in die sechs Akteursgruppen Pioniere, Nachzügler, A-Gentrifier, B-Gentrifier, Aufsteiger und Andere unterschieden, wobei die Nachzügler und die B-Gentrifier neue, bislang nicht unterschiede Akteure darstellen. Die kommerziellen Gentrification der Äußeren Neustadt vollzog sich als Wandel von einem Quartier des traditionellen Kleingewerbes zu einem Standort privater Kleinbetriebe des ‚bohemian chic‘. Die symbolische Gentrification ist durch einen Imagewandel vom ‚verrufenen Viertel‘ zum ‚bunten Kneipen- und Szeneviertel‘ geprägt.
Der Verlauf der Gentrification der Äußeren Neustadt wurde anhand eines induktiv abgeleiteten Entwicklungsmodells generalisiert. Fasst man dieses Modell, welches aus sechs Phasen besteht, auf einem höheren Abstraktionsniveau zusammen, lassen sich vier Hauptphasen der Gentrification unterscheiden, die auch für die Aufwertung anderer ostdeutscher Quartiere charakteristisch sind: eine frühe Pionierphase, eine Pionierphase mit prognostizierter Gentrification, eine Phase der gespaltenen Gentrification und eine Phase der sanften Gentrification.
Im zeitlichen Verlauf der Gentrification wurde eine Vielzahl von Einflussfaktoren in unterschiedlicher Intensität und zu unterschiedlichen Zeiten wirksam, u.a. finanzielle Förderungen, Gewinnerwartungen, symbolische Bewertungen, Selbstverstärkungseffekte, Wohnungsmarktentwicklungen, sozialstrukturelle und soziodemographische Faktoren. Der Verlauf der Entwicklung ist teilweise auf den Einfluss politischer Entscheidungen und rechtlicher Rahmensetzungen (z.B. Restitution, Mietenüberleitung, Sanierungsgebietsstatus) zurückzuführen. Es handelt sich dabei nicht um eine Steuerung des Prozesses, sondern eher um Weichenstellungen und Interventionen. Die Gentrification gilt als multikausaler Prozess, der sich nicht auf eine Erklärungsebene reduzieren lässt, sondern aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu erklären ist.:EINLEITUNG
Zielstellung der Arbeit
Aufbau der Arbeit
1 ZUM STAND DER GENTRIFICATIONFORSCHUNG
1.1 Definition und Abgrenzung der Gentrification
1.2 Eine ‚kleine Geschichte‘ der Gentrification und deren Erforschung
1.2.1 Die erste Gentrificationwelle und der Beginn der Gentrificationforschung
1.2.2 Die zweite Gentrificationwelle und der Boom der Gentrificationforschung
1.2.3 Die dritte Gentrificationwelle und die Wiederbelebung der Gentrificationforschung
1.3 Gentrification in Ostdeutschland
1.3.1 Die Entwicklung der ostdeutschen Altbauquartiere bis 1989
1.3.2 Aufwertungsvorbereitung und prognostizierte Gentrification
1.3.3 Sanierungsphase und Quartiere mit gespaltener Gentrification
1.3.4 Mietermarkt und Quartiere mit sanfter Gentrification
2 KONZEPT UND METHODIK DER UNTERSUCHUNG
2.1 Untersuchungskonzept
2.1.1 Dimensionen der Gentrification
2.1.2 Erklärungen und Entwicklungsphasen der Gentrification
2.2 Messung der Gentrification in der Äußeren Neustadt
2.2.1 Untersuchungsgebiet Äußere Neustadt
2.2.2 Erhebung und Analyse der baulichen Gentrification
2.2.3 Erhebung und Analyse der sozialen Gentrification
2.2.4 Erhebung und Analyse der kommerziellen Gentrification
2.2.5 Erhebung und Analyse der symbolischen Gentrification
2.2.6 Rekonstruktion der zeitlichen Entwicklung
3 DIMENSIONEN DER GENTRIFICATION IN DER ÄUßEREN NEUSTADT
3.1 Vorgeschichte der Gentrification
3.1.1 Von der Vorstadtsiedlung zum Gründerzeitquartier
3.1.2 Die ‚real existierende Neustadt‘ der DDR-Zeit
3.2 Bauliche Gentrification der Äußeren Neustadt
3.2.1 Installierung des Sanierungsgebietes Äußere Neustadt
3.2.2 Wandel der Eigentumsstrukturen
3.2.3 Erneuerung des Gebäude- und Wohnungsbestandes und Wohnumfeldgestaltung
3.2.4 Wohnungsmarktsegmente und Mietpreisentwicklung
3.2.5 Zusammenfassung der baulichen Gentrification
3.3 Soziale Gentrification der Äußeren Neustadt
3.3.1 Einwohnerentwicklung und Wohnmobilität
3.3.2 Alters- und Haushaltsstruktur
3.3.3 Bildung und berufliche Tätigkeit
3.3.4 Einkommenssituation
3.3.5 Gentrificationproteste und Verdrängung der Bewohner
3.3.6 Erlebnismilieus in der Äußeren Neustadt
3.3.7 Die Akteure der Gentrification
3.3.8 Zusammenfassung der soziale Gentrification
3.4 Kommerzielle Gentrification der Äußeren Neustadt
3.4.1 Deindustrialisierung
3.4.2 Der Neustadt neue Kleider – Wandel der Bekleidungsbranche
3.4.3 Dresdens längster Tresen – Wandel der Gastronomiebranche
3.4.4 ‚Kulturindustrie‘
3.4.5 Soziokulturelle Einrichtungen und ‚kreative Dienste‘
3.4.6 Zusammenfassung der kommerziellen Gentrification
3.5 Symbolische Gentrification der Äußeren Neustadt
3.5.1 Der Entstehungsmythos der Äußeren Neustadt
3.5.2 Geschichten über die Äußere Neustadt
3.5.3 Zusammenfassung der symbolischen Gentrification
3.6 Die Geschichte der Gentrification in der Äußeren Neustadt
3.6.1 Pionierkulturen in der ‚real existierenden Neustadt‘
3.6.2 Bunte Republik Neustadt
3.6.3 Postsozialistische Transformation und Verdrängungsangst im Goldstaubviertel
3.6.4 Sanierungsflucht und Widerstand
3.6.5 Sanierungsboom im Kneipenviertel
3.6.6 ‚bohemian chic‘ im Szeneviertel
4 ZUSAMMENFASSUNG – GENTRIFICATION IN DER ÄUßEREN NEUSTADT
4.1 Dimensionen und Phasenverlauf der Gentrification in der Äußeren Neustadt
4.2 Gentrification in Ostdeutschland und der Fall Äußere Neustadt
4.3 Die Zukunft des Falls Äußere Neustadt
4.4 Die Zukunft der Gentrificationforschung
LITERATUR
VERZEICHNISSE
ANHANG
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:29628 |
Date | 14 December 2006 |
Creators | Glatter, Jan |
Contributors | Killisch, Winfried, Wießner, Reinhard, TU Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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