Aufgrund der zunehmenden komplexen Verzahnung zwischen Operateur
und technischen Komponenten bei Hirntumoroperationen, werden
innovative Trainingslösungen und standardisierte Evaluationsmethoden
in der neurochirurgischen Facharztausbildung angestrebt. Phantombasierte
Trainingssysteme können die derzeitige Ausbildung sinnvoll ergänzen,
indem sie eine risikoarme Umgebung außerhalb des Operationssaal
schaffen. Dabei können praktische und theoretische Komponenten
der Hirntumorchirurgie in wiederholbaren Trainingseinheiten ohne Risiko
für den Patienten miteinander verbunden werden.
Innerhalb eines EFRE (Europäischer Fond für regionale Entwicklung)
geförderten Kooperationsprojektes mit der Firma Phacon GmbH wurde
ein Prototyp eines solchen Trainingssystems entwickelt. Das enthaltene
Kopfphantom besteht aus einer dreiteiligen Konstruktion mit wieder verwendbarem Basissystem und Adapter in Kopfform, sowie einem austauschbaren Modul für die einmalige Verwendung je Trainingseinheit.
Eine zweiarmige Kamera zeichnet Trackingdaten auf, während ein Laptop
inklusive zugehöriger Software als Navigationsplattform dient. Die
Grundlage für die Navigation bilden reale MRT Patientendatensätze, die
entsprechend auf die Anatomie des Kopfphantoms adaptiert wurden.
Ein Trainingslauf deckt die chirurgische Planung des optimalen Zugangsweges, die Kopflagerung, die Einstellung der Trackingkameras, die Registrierung des Kopfphantoms, sowie die navigierte Kraniotomie mit realen OP-Instrumenten ab.
Der entwickelte Prototyp wurde hinsichtlich seiner Anwendbarkeit in der
neurochirurgischen Facharztausbildung in einer ersten Proof-of-Concept-
Studie evaluiert, wobei fünf Assistenzärzte verschiedenen Ausbildungsgrades jeweils ein komplettes Training auf dem gleichen Patientendatensatz durchführten. Anschließend war ein Fragebogen zur Bewertung der einzelnen Systemkomponenten auszufüllen. Die Auswertung der Fragebögen ergab im Mittel das Resultat gut für die Phantomkonstruktion und die verwendeten Materialien. Der Lerneffekt bezüglich der navigierten Planung wurde genauso wie der Effekt auf das Sicherheitsgefühl des Operateurs vor Ausführung der ersten eigenständig durchgeführten Kraniotomien als sehr gut eingeschätzt. Konstruktive Verbesserungsvorschläge wurden nach Studienabschluss bereits umgesetzt [23].
In einer zweiten Evaluationsstudie lag der Fokus auf potentiell erreichbaren
Lernkurven durch wiederholte Trainingseinheiten auf verschiedenen
Datensätzen. Dazu führten neun Assistenzärzte verschiedener Ausbildungsgrade jeweils drei Trainings auf Datensätzen mit differenten Tumorlokalitäten durch. Während des Trainings wurden durch einen Facharzt die einzelnen Ausführungsschritte beobachtet und bewertet. Insgesamt konnten in einem Trainingsdurchlauf 23 Punkte erreicht werden,
welche für Kriterien wie Tumoridentifikation, Kopflagerung, Registrierungsgenauigkeit, Schonung vordefinierter Risikostrukturen, Planungs- und Ausführungsgenauigkeit, Tumorerreichbarkeit und Hautnaht vergeben wurden. Für alle Schritte wurde die benötigte Zeit aufgezeichnet.
Im Mittel wurde ein Punktanstieg zwischen dem ersten und dem dritten
Training von 16.9 auf 20.4 Punkte verzeichnet. Die mittlere Zeit bis zur
Kraniotomie verbesserte sich von rund 29 Minuten auf rund 21 Minuten
zwischen dem ersten und dem dritten Trainingsdurchlauf. Die benötigte
Zeit bis zur Hautnaht sank im Mittel von rund 38 Minuten auf rund
27 Minuten zwischen dem ersten und dem dritten Training. Signifikante
Korrelationen wurden zwischen Zeit bis zur Kraniotomie und Trainingsanzahl (p < .05), zwischen Zeit bis zur Hautnaht und Trainingsanzahl (p < .05) sowie zwischen erreichter Punktzahl und Trainingsanzahl (p < .01) gefunden.
Die Ergebnisse beider Studien weisen darauf hin, dass das entwickelte
Trainingssystem einen vielversprechenden Ansatz für die Ergänzung
der derzeitigen Facharztausbildung in der Neurochirurgie darstellt. Durch
die risikoarme Simulationsumgebung können theoretische und praktische
Aspekte der Hirntumorchirurgie sinnvoll verbunden werden. Dem Assistenzarzt wird die Möglichkeit gegeben, sich mit den komplexen Strukturen von eigenständig durchgeführten Kraniotomien vertraut zu machen und damit die anfängliche Lernkurve in die Trainingsumgebung zu verlagern.
Hinterfragt werden muss, inwieweit es das Trainingssystem ermöglicht,
die chirurgischen Fähigkeiten so zu verbessern, dass diese auch in die
reale OP-Umgebung unter realen Bedingungen übertragbar sind und wie
diese potentielle Verbesserung zu messen ist [3]. Natürlich unterscheidet
sich das haptische Feedback am Trainingsphantom gegenüber der realen
menschlichen Anatomie. Weiterhin sind die psychologische Situation
und der Erwartungsdruck im OP-Saal nicht mit einer Trainingsumgebung
vergleichbar. Es ist daher nicht einfach, ein geeignetes Messinstrument
für die Übertragbarkeit des Lerneffektes auf reale OP-Bedingungen
zu finden. Nichts desto trotz konnten die beiden durchgeführten Studien
bereits zeigen, dass eine Trainingsumgebung Vorteile gegenüber der
Situation im OP-Saal bietet. Gerade die Anfangszeit der Facharztausbildung
ist größtenteils durch Assistieren im OP-Saal gekennzeichnet, was
den Lerneffekt bezüglich autonomer Entscheidungen und Schlussfolgerungen aus begangenen Fehlern begrenzt. Am Phantom hingegen kann die direkte Konsequenz, beispielsweise am Ergebnis der Nichterreichbarkeit des Tumors, direkt erfahren werden. Die theoretischen Konzepte für die Kopflagerung des Patienten in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation können als übertragbar auf die OP-Situation angesehen werden, wenngleich das haptische Feedback am Phantom ein anderes ist. Der dadurch erreichbare Lerneffekt bietet das Potential, Lagerungen häufiger selbstständig durch den Assistenzarzt im OP-Saal vorbereiten zu lassen.
Die Handhabung des Navigationssystems ist ebenfalls sehr nahe an den
technischen Bedingungen im OP-Saal und trägt damit zu einem besseren
Verständnis bei. Gegenüber virtuellen Systemen bieten phantom-basierte Trainingssysteme den Vorteil des taktilen Kopfphantoms welches mit realen Instrumenten bearbeitet werden kann und damit eine realistische Hand-Auge-Koordination während des Trainings gewährleistet. Die geringeren Investitionskosten für die Anschaffung ermöglicht auch kleineren Kliniken, eine Simulationsumgebung in die Facharztausbildung zu integrieren. Nachteilig gegenüber virtuellen Systemen ist die auf einmalige Verwendung begrenzte Modulverfügbarkeit, welche permanent laufende Kosten und Materialverlust verursacht. Das vorgestellte Trainingssystem soll nicht als Konkurrenzprodukt zu virtuellen Systemen, sondern vielmehr als sinnvolle Ergänzung innerhalb der verfügbaren Trainingsmethoden verstanden werden.
Die derzeitige und zukünftige Weiterentwicklung des Systems fokussiert
sich auf die Implementierung des automatisierbaren Evaluationskonzeptes basierend auf vordefinierten, verschiedenen Master-Zugängen, sowie auf die Simulation von Risikostrukturen und Einbezug entsprechender
Verletzungen in das Evaluationskonzept. Die getrackten Instrumente
während der Simulation können so zusammen mit den vordefinierten Zugangswegen die zukünftige Basis für ein essentielles objektives Trainingsfeedback bilden. Auch in der Entwicklung befindet sich die Umsetzung des Ultraschall-Simulationstools, welches eine finale transdurale Identifikation des Tumors bei korrekt ausgeführter Kraniotomie ermöglichen soll. Aus den intraoperativ akquirierten Patienten-Ultraschalldaten können aufgrund des getrackten Ultraschalldummy’s die korrespondierenden Ultraschallschichten berechnet und visualisiert werden. Dadurch bekommt der Trainierende den Eindruck einer realen Ultraschalluntersuchung und kann die Handhabung und Koordination einer Ultraschallaufnahme sowie die Orientierung im resultierenden Ultraschallvolumen trainieren.
Generell haben phantom-basierte Trainingssysteme durch effektive Trainingseinheiten das Potential, die neurochirurgische Facharztausbildung
zu bereichern und hinsichtlich Risikomanagement, Patientensicherheit
und OP-Verfügbarkeit zu verbessern.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:15-qucosa-179783 |
Date | 23 September 2015 |
Creators | Müns, Andrea |
Contributors | Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Prof. Dr. med. Jürgen Meixensberger, Dr. med. Dirk Lindner, Prof. Dr. Dr. Alexander Hemprich, Prof. Dr. med. Arya Nabavi |
Publisher | Universitätsbibliothek Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | deu |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis |
Format | application/pdf |
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