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Moby-Dick als Leerstelle und romantische Chiffre für die Aporie eines transzendentalen Signifikats / Moby-Dick as a semantic gap and romantic cipher for the aporia of a transcendental signified

Die Arbeit unternimmt den Versuch, Melvilles Moby-Dick als einen Vorboten postmoderner Literarizität in den Blick zu nehmen, der in seiner Autoreferentialität den eigenen textuellen Status kritisch-ironisierend reflektiert und Sprache als einen krisenhaften Zugang zu Welt und Kosmos ins Spiel bringt. Sie legt dar, dass Melvilles opus magnum ein im Verlaufe der abendländischen Philosophie epistemologisch und semiologisch virulent gewordenes Krisenbewusstsein vom "Phantasma der Umfassung der Wirklichkeit" (Lyotard) einerseits auf inhaltlicher und andererseits autoreferentiell auf der Ebene der écriture inszeniert. Entsprechend wird davon ausgegangen, dass die vom Text absorbierten Diskurse in ihrer schieren Vielzahl nicht als partikulare Bezüge hermeneutisch isoliert werden können, sondern stattdessen in ihrer Heterogenität selbst die zentrale Problematik illustrieren, in deren Dienst sie als konstitutive Elemente stehen: Statt positiven Sinn zu stiften, verunmöglichen sie jegliche interpretatorische Direktive und verweisen dadurch auf eine dem Roman inhärente negative Dimension von Sinn – sie sind also vielmehr Bestandteile eines verhandelten Problems als dessen Lösung.
Nicht nur in den cetologischen Abschnitten des Romans – gleichwohl dort am offenkundigsten – lässt sich Melvilles spielerisch-dekonstruktiver Umgang mit westlichen Wissens- und Denkmodellen erkennen: Dringt man in ahabischer Manie(r) in das semantische Feld des Romans auf der Suche nach einem letzten Grund, einer inferentiellen Letztbegründung, gerät man in einen infiniten regressiven Strudel, der jede getroffene semantische Arretierung auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin befragt und dadurch wieder aufbricht. Eine ishmaelische Lektüre des Moby-Dick bestünde darin, den Anspruch auf Letztbegründetheit im Sinne der différance Derridas aufzuschieben und sich damit der Gravitation eines transzendentalen Signifikats zu entziehen. Liest man die cetologischen Kapitel vor diesem Hintergrund, kann man in ihnen – so eine der zentralen Thesen der Arbeit – eine autoreferentielle Kontrastfolie erkennen, eine negative Exemplifikation dessen, wie sich der Moby-Dick nicht erfassen lässt: gewissermaßen eine Lektüreanleitung ex negativo.
Wesentliche Merkmale der Melvilleschen écriture sind Ambivalenz, Parodie und Dialogizität. Er verwendet stilistische und motivische Versatzstücke, destruiert sie und unterläuft so permanent die Ernsthaftigkeit der den Roman strukturierenden Schicksalszeichen wie auch die interpretativen Anstrengungen des Lesers. Die Autorität des eigenen Diskurses wird ironisch unterminiert und der Text damit in einer Schwebe zwischen Parodie und Monomanie, Unabschließbarkeit und Universalanspruch gehalten. Als die figurativen Kraftfelder dieser konkurrierenden Paradigmen stehen Ahab und Ishmael auf der Handlungsebene personifizierend für die paradoxe Konstellation des gesamten Textes, der nicht die Auflösung oder Aufhebung seiner konfliktiven Elemente sucht, sondern als ästhetischer Ausdruck des Paradoxen feste Orientierungspunkt vorenthält. Anstatt beide Figuren und die ihnen zugrundeliegenden epistemologischen Strategien antagonistisch in Opposition zueinander zu stellen, begreift diese Arbeit sie als komplementäre Elemente eines romantischen Metatextes, der sie in eine konfliktive Rezeption einfasst. In Analogie zum Konzept der romantischen Ironie Friedrich Schlegels wird Ahab hierbei als prototypischer Allegorisierer begriffen, wohingegen Ishmael als Ironiker für die Relativierung derartig monomanischer Kraftakte steht – zwischen Anspannung und Abspannung, Unbedingtem und Bedingtem baut sich jene Dynamik auf, die den gesamten Text durchwaltet.
Im Sinne der romantischen Universalpoesie ist der Moby-Dick nicht auf einen systemischen Abschluss hin orientiert, sondern besteht auf/aus seiner Unabschließbarkeit: Heterogenität, Inkonsequenz, Verworrenheit und mitunter Unverständlichkeit sind demnach keine Folgen kompositorischer Nachlässigkeit, sondern in ihrer Gesamtheit als das performative Moment der eigentlichen Mitteilung zu begreifen.

Identiferoai:union.ndltd.org:Potsdam/oai:kobv.de-opus-ubp:4307
Date January 2010
CreatorsPeters, Matthias
PublisherUniversität Potsdam, Philosophische Fakultät. Institut für Anglistik und Amerikanistik
Source SetsPotsdam University
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
TypeMastersThesis
Formatapplication/pdf
Rightshttp://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/

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