Der Wissenszuwachs verläuft nicht kontinuierlich. Der Drang des Menschen, Neues zu entdecken, ist in seinem Wesen begründet. Im biblischen Auftrag “Macht euch die Erde untertan“ ist der Mensch bemüht zu erkennen, “was die Welt im Innersten zusammenhält“. Die Menschheitsgeschichte ist gepflastert mit bahnbrechenden Entdeckungen und zugleich mit folgeschweren Irrtümern, die mit der Nutzung der neu gewonnenen Erkenntnisse verbunden waren. Die Annäherung an das Thema ‘Wege und Irrwege der Wissenschaft“ hat verschiedene Ebenen. Die erste Ebene umfasst das redliche Bemühen des Wissenschaftlers, seinen Gedanken und Experimenten freien Lauf lassen zu können. Dabei entsteht die neue Erkenntnis oft nicht geplant. Der Zufall steht nicht selten Pate. Im logischen Aufbau der Experimente und Hypothesen bekommt der Wissenschaftler erwartete und unerwartete Antworten. Gerade die unerwarteten Antworten stellen eine Herausforderung für den Richtungswechsel in der Theoriebildung dar. Für wissenschaftliche Entdeckungen spielt das gesellschaftliche Umfeld mit seiner Annahmebereitschaft eine wichtige Rolle. Entdeckungen, die in bisher ungedachte Dimensionen reichen, bleiben möglicherweise unbeachtet liegen, finden keine Interpretation und Nutzanwendung und geraten schließlich in Vergessenheit, bis unter neuen Ausgangsbedingungen und neuem Erkenntnisstand die frühere Entdeckung in ganz neuem Licht erscheint. Hierbei sei an Gregor Mendel erinnert. Zum Zweiten hat der Wissenschaftler selbst eine hohe Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Er hat als Vordenker die Folgen seiner Entdeckungen für die Gesellschaft abzuwägen. Nur er selbst ist dazu in der Lage. Nicht alles, was machbar ist, darf auch getan werden. Die langfristigen Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft sind zu berücksichtigen. Beredte aktuelle Beispiele sind die Kernspaltung und die Genforschung. Die Wissenschaft ist in Bereiche vorgedrungen, wo Nutzanwendung und Missbrauch die Natur und Gesellschaft global überleben lassen oder zerstören können. Andererseits erwartet die Gesellschaft vom Wissenschaftler Wahrheit, Redlichkeit, Ehrlichkeit und Fairness. Wissenschaftliche Reputation darf kein Selbstzweck werden. Die dritte Ebene betrifft die Wissenschaftspolitik, die sich als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft versteht. Die Wissenschaftspolitik kann auch den wissenschaftlichen Fortschritt behindern, indem sie Erkenntnisse aus ideologischen Gründen verformt, negiert, verhindert oder sogar verfolgt. Beispiele dafür finden sich in allen Zeitepochen. Heute sollte die Wissenschaftspolitik Freiräume für die Wissenschaft schaffen und sie vor den Zweckinteressen der Wirtschaft und Gesellschaft in Schutz nehmen. Eine Überfrachtung des Studiums und der wissenschaftlichen Aktivitäten mit späteren Berufsspezifika verengt die wissenschaftliche Kreativität. Freiräume für die Wissenschaft und den Wissenschaftler bedeuten für die Forschung, die faszinierende Fragestellung leichter zu finden.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:72301 |
Date | 02 October 2020 |
Publisher | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:lecture, info:eu-repo/semantics/lecture, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
Relation | urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-722327, qucosa:72232 |
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