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Okulomotorische Studien zum räumlichen Arbeitsgedächtnis des Menschen

Ploner, Christoph Johannes 06 November 2001 (has links)
In der vorliegenden Habilitationsschrift wurde eine Serie von Studien zusammengefasst, die menschliches räumliches Arbeitsgedächtnis, den "Visuospatialen Skizzenblock", untersucht haben. Dieses Kurzzeitgedächtnissystem ist häufig im Rahmen von Erkrankungen des frontalen Kortex und seiner mit ihm verbundenen Hirnareale, z.B. dem Morbus Parkinson, dem Morbus Alzheimer oder der Schizophrenie, beeinträchtigt und für einen relevanten Teil der kognitiven Defizite dieser Patienten verantwortlich. Wir untersuchten sowohl Gesunde als auch Patienten mit fokalen Läsionen des Gehirns mit Varianten des "Gedächtnissakkaden"-Paradigmas, einem etablierten okulomotorischen Verfahren zur Untersuchung von Raumgedächtnis. Es wurden sowohl behaviorale Aspekte von Arbeitsgedächtnis als auch mögliche anatomische Substrate dieses Gedächtnissystems sowie zeitstabilerer "Langzeit"-Gedächtnissysteme untersucht. Ziel war es, klarere Korrelationen zwischen messbarem Verhalten einerseits und Anatomie/Physiologie von Raumgedächtnis andererseits zu etablieren. Wir konnten erstmals zeigen, dass menschliches räumliches Arbeitsgedächtnis selektiv für aktuelles Verhalten relevante Wahrnehmungsinhalte repräsentiert. Der Zugang verhaltensirrelevanter Rauminformationen zu räumlichem Arbeitsgedächtnis wird offenbar durch effiziente (Aufmerksamkeits-) Filtermechanismen verhindert. Für die Existenz solcher Filtermechanismen gab es bislang nur elektrophysiologische Belege im Tiermodell. Da die Speicherkapazität von Arbeitsgedächtnis gering ist, erlauben diese Filtermechanismen möglicherweise einen effizienteren Umgang mit der Fülle und Komplexität unserer Umwelt. Umgekehrt lässt die in unserem Experiment sichtbar gewordene enge Verzahnung von Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit die Hypothese zu, dass eine gestörte Arbeitsgedächtniskapazität sowohl durch eine primäre Beeinträchtigung der Speichermechanismen selbst als auch durch Störungen der attentionalen Kontrolle derselben zustande kommen kann. Des weiteren konnten wir erstmals zeigen, dass menschliches räumliches Arbeitsgedächtnis eine klare Zeitgrenze hat, die für einzelne räumliche items bei ungefähr 20 Sekunden liegt. Jenseits dieser Zeitgrenze scheint eine vom Arbeitsgedächtnis unabhängige Raumrepräsentation für menschliches Verhalten bedeutsam zu werden. Der Begriff "Arbeitsgedächtnis" sollte also für Gedächtnisaufgaben reserviert bleiben, deren Gedächtnisphase 20 Sekunden nicht überschreitet. Unsere Befunde zeigen weiterhin, dass bei ansonsten konstantem Design einer Gedächtnisaufgabe, die Dauer der Gedächtnisphase bereits wesentlich darüber entscheidet, welches Gedächtnissystem untersucht wird. Die von uns durchgeführten Läsionsstudien an Patienten und neurophysiologischen Studien an Gesunden bestätigen, dass räumliches Arbeitsgedächtnis durch ein Netzwerk kortikaler Areale kontrolliert wird, das unter anderem den Dorsolateralen Präfrontalen Kortex, den Posterioren Parietalen Kortex und das Frontale Augenfeld umfasst. Innerhalb dieses Netzwerks nehmen diese Areale jedoch klar verschiedene kognitive Partialfunktionen wahr. Der Dorsolaterale Präfrontale Kortex und der Posteriore Parietale Kortex scheinen in erster Linie der Repräsentation von Raum in perzeptuellen Koordinaten, d.h. einem räumlichen "Wahrnehmungsbild" zu dienen, mit einer nur kurzfristigen Rolle des Posterioren Parietalen Kortex und einer dominierenden Rolle des Dorsolateralen Präfrontalen Kortex während der Gedächtnisphase einer Arbeitsgedächtnisaufgabe. Das Frontale Augenfeld scheint der Repräsentation von Raum in okulomotorischen Koordinaten zu dienen, d.h. der kurzzeitigen Speicherung einer geplanten okulomotorischen Antwort auf einen räumlichen Wahrnehmungsinhalt. Schließlich sprechen unsere Ergebnisse dafür, dass es mit dem Wechsel von Arbeitsgedächtnis zu einer zeitstabileren Raumrepräsentation bei Gedächtnisphasen von mehr als 20 Sekunden Länge auch zu einem Wechsel der anatomischen Substrate von Raumgedächtnis kommt. Die von uns durchgeführten Läsionsstudien zeigen, dass jenseits der Zeitgrenzen von räumlichem Arbeitsgedächtnis neokortikale Areale des Medialen Temporallappens eine aktive Rolle für Raumgedächtnis spielen. Hier konnten wir erstmals zeigen, dass der menschliche Parahippokampale Kortex eigenständige und vom Hippokampus unabhängige Raumgedächtnisfunktionen wahrnimmt. Möglicherweise ist diese Region das Substrat eines intermediären Gedächtnissystems zwischen räumlichem Arbeitsgedächtnis und Hippokampus-abhängigem Langzeitgedächtnis. Es wird ferner deutlich, dass in einer Gedächtnisaufgabe allein durch die Wahl verschiedener Dauern der Gedächtnisphase verschiedene anatomische Substrate von Gedächtnis untersucht werden können. Die in dieser Habilitationsschrift zusammengefassten Studien zeigen am Beispiel des räumlichen Arbeitsgedächtnisses, dass es möglich ist, mit einfachen physiologischen Paradigmen Gedächtnissysteme am Menschen zu untersuchen. Bestimmte mnestische Subfunktionen lassen sich mit den hier verwandten Paradigmen präzise quantifizieren und bestimmten Hirnregionen zuordnen. Wir glauben, dass dieser methodische Ansatz sowohl eine präzisere Diagnostik von kognitiven Defiziten bei Hirnerkrankungen erlaubt, als auch die Möglichkeit eröffnet, die Therapie von Gedächtnisstörungen effektiv zu kontrollieren. / This publication summarizes a series of experimental studies examining spatial working memory, the "visuospatial scratch pad", in humans. This short-term memory system is frequently affected in disorders involving the frontal cortex and connected subcortical structures, e.g. in Parkinson's disease, Alzheimer's disease or schizophrenia. Healthy human subjects and patients with focal cerebral lesions were tested with a series of "memory-guided saccade" paradigms, i.e. oculomotor spatial memory tasks. We examined both behavioural aspects and possible anatomical substrates of spatial working memory and more stable "long-term" memory systems. Our aim was to clarify the relationship between behavioural measures of spatial memory and its neuronal substrates. In a first experiment, we were able to show that visuospatial working memory selectively represents behaviourally relevant information. Access of irrelevant visuospatial information to working memory appears to be prevented by efficient attentional filters. Facing the limited storage capacity of spatial working memory, these filters may allow for successful behaviour in perceptually complex environments. Furthermore, the tight coupling of spatial attention and spatial working memory allows for the conclusion, that spatial working memory deficits in patients may likewise result from deficient storage systems and deficient attentional control. In a second experiment, we were able to demonstrate a clear temporal limit of about 20 seconds for spatial working memory. Beyond this temporal limit, an independent and more stable spatial memory system, less susceptible to the passage of time, becomes behaviourally relevant. Thus, the term "working memory" should be confined to spatial memory tasks where the memory delay does not exceed 20 seconds. In addition, these results show that selection of a certain memory delay in a given spatial memory task is a decisive factor when examining spatial memory systems. A third series of lesion studies in patients and neurophysiological experiments in healthy subjects confirmed that cortical control of spatial working memory involves dorsolateral prefrontal cortex, posterior parietal cortex and frontal eye field. Within this network, the dorsolateral prefrontal cortex and posterior parietal cortex appear to store spatial information in perceptual coordinates, with a transient role of the posterior parietal cortex at the very beginning of the memory delay and a dominating role of the dorsolateral prefrontal cortex for most of the delay. By contrast, the frontal eye field appears to store spatial information in oculomotor coordinates, i.e. to maintain a prepared eye movement to a remembered target location across a delay. A fourth series of lesion studies in patients showed that spatial memory for delays longer than 20 seconds is controlled by anatomical substrates distinct from those controlling spatial working memory. Beyond the temporal limits of spatial working memory, neocortical regions of the medial temporal lobe appear to contribute significantly to spatial memory. Within these neocortical regions, the parahippocampal cortex may carry spatial memory functions independent of the hippocampal formation and distinct from spatial working memory. We propose that this region is the neuronal substrate of an intermediate memory system, linking spatial working memory and spatial long-term memory both functionally and anatomically. Moreover, these results show that selection of a certain memory delay in a given spatial memory task is a decisive factor when examining neuronal substrates of spatial memory. Taken together, our experiments show that human memory can effectively be investigated with simple physiological paradigms. Spatial memory functions can precisely be quantified with oculomotor paradigms and related to defined anatomical substrates. This approach may allow for precise diagnosis of cognitive deficits and efficient monitoring of treatment of memory disorders.

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