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Die Einwanderung und Integration von Exulanten in Dresden während des 17. und 18. JahrhundertsMetasch, Frank 14 November 2006 (has links)
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, anhand des Beispiels der Residenzstadt Dresden die von der Forschung bislang nur in groben Zügen erschlossene Einwanderung habsburgischer Konfessionsflüchtlinge in Kursachsen während des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu untersuchen. Hierzu wurde vor allem zwei grundsätzlichen Fragen nachgegangen: Zum einen sollte die in Dresden feststellbare Einwanderung in ihrer Genese nachvollzogen und auf quantitative wie qualitative Umbrüche hin analysiert werden. Und zum anderen war die beschriebene Migration in die obrigkeitliche Aufnahme- und Integrationspolitik einzubetten, wozu eine Konzentration auf die drei Themenkreise der rechtlichen, wirtschaftlichen und kirchlichen Integration erfolgte.
Im Gegensatz zu dem in der Sekundärliteratur wiedergegebenen Bild der Exulanten als einer recht homogenen Gruppe zeigte es sich, dass diese sehr wohl differenziert werden können und müssen. So handelte es sich bei der von circa 1600 bis 1730 stattgefundenen Einwanderung um keine gleichförmige Bewegung, sondern diese wies einen stark wellenförmigen Charakter auf – wobei die einwanderungsintensiven und -schwachen Zeiträume der jeweiligen Emigrationsentwicklung in den habsburgischen Territorien folgten.
Während der verschiedenen Migrationswellen der zwanziger und dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts wandten sich circa 200 bis 250 Familien nach Dresden, die insgesamt etwa 1000 Personen umfassten. Zwischen 1650 und 1730 – mit besonders einwanderungsstarken Wellen in den 1650er-, 1680er- und 1720er-Jahren – ließen sich vermutlich noch einmal weitere 2000 Personen nieder. Da ein nicht näher bestimmbarer, aber nicht unbedeutender Teil der Einwanderer die Stadt aus rechtlichen, finanziellen oder konfessionellen Gründen wieder verlassen musste, kann die zwischen 1600 und 1730 erfolgte Gesamteinwanderung nur grob auf etwa 2000 bis 2500 Personen geschätzt werden. Wenn dabei die böhmische Einwanderung eindeutig dominierte, so lassen sich gleichwohl Exulanten aus Österreich, Mähren, Schlesien und Ungarn nachweisen.
Hinsichtlich der Sozialstruktur der Migranten ist eine deutliche Zäsur für das Ende des Dreißigjährigen Krieges festzustellen. Gehörten die Einwanderer der 1620er- und 30er-Jahre vorrangig den gesellschaftlichen Mittel- und Oberschichten an, so verschob sich die Sozialstruktur seit 1650 immer stärker zu den städtischen und ländlichen Unterschichten. Charakteristisch für diese Zäsur ist zudem die jeweilige Muttersprache der Einwanderer: Immigrierten während des Dreißigjährigen Krieges vorrangig deutschsprachige Exulanten, überwogen danach die tschechischsprachigen.
Ohne dass auf die jeweils individuellen Emigrationsentscheidungen eingegangen werden konnte, offenbarte allein der Blick aus der Makroperspektive, dass die unter dem Topos ‚Exulanten’ zusammengefasste Migration nicht nur auf konfessionelle Motive reduziert werden kann. Gab auch bei einem Großteil der Einwanderer das Bekenntnis zu ihrem Glauben den initiierenden Anlass zur Auswanderung, zeigten doch einige Migrationswellen deutlich andere Ursachen. Während sich etwa die Anfang bis Mitte der 1620er-Jahre erfolgte adlige und bürgerliche Einwanderung noch vorrangig politisch motiviert erwies, kamen seit den 1650er-Jahren bei vielen Migranten verstärkt wirtschaftliche Motive hinzu. Da jedoch die Einwanderer ihre Migration auf konfessionelle Ursachen zurückführen mussten, um sich in Kursachsen oder speziell in Dresden niederlassen zu dürfen, prägte der religiöse Aspekt von Anfang an den offiziellen Einwanderungsdiskurs und übertrug sich von diesem auf die Fremdwahrnehmung der Gesamteinwanderung.
Die in der traditionellen Forschungsliteratur, aus konfessioneller Solidarität heraus, beschriebene bereitwillige Aufnahme der Einwanderer in Kursachsen konnte empirisch nicht nachvollzogen werden. Vielmehr stellte die in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts einsetzende Massenimmigration die weltlichen und geistlichen Zentralbehörden vor eine in dieser Dimension bisher unbekannte Situation, für die keine einheitliche politische Richtlinie existierte. Erst im Lauf der Zeit entwickelten sich aus anfänglichen Einzelfallentscheidungen allmählich Grundsatzbestimmungen, die beständig dem sich modifizierenden Einwanderungsgeschehen angepasst werden mussten. Zudem standen die Behörden den Migranten in politischer wie konfessioneller Hinsicht lange Zeit äußert skeptisch gegenüber.
Kurfürst Johann Georg I., der mit der Aufnahme der in Sachsen politisch und konfessionell unter Generalverdacht stehenden Migranten die militärische Sicherheit seiner wichtigsten Landesfestung bedroht sah, wollte deren Einwanderung in Dresden eigentlich so weit wie möglich unterbinden. Innerhalb weniger Jahre zeigte sich jedoch, dass es an den hierzu geeigneten Kontroll- und Exekutionsmöglichkeiten mangelte. Trotz der restriktiv gehandhabten Aufnahmepolitik entwickelte sich Dresden bereits in den 1620er-Jahren zu einem der kursächsischen Einwanderungszentren.
Aufgrund der politischen und konfessionellen Vorbehalte waren die Behörden bestrebt, die Einwanderer so schnell wie möglich rechtlich und kirchlich zu integrieren, um so die notwendige Kontrolle über sie zu gewährleisten. Von den Exulanten wurde daher regelrecht gefordert, sich mittels der Annahme des Bürgerrechts an den Landesherrn und die Stadt Dresden zu binden. Zudem waren sie verpflichtet, sich in die bestehenden Kirchgemeinden zu integrieren, um dort nicht nur konfessionell von der Dresdner Geistlichkeit überwacht werden zu können. Im Gegensatz zur bisherigen Forschungsmeinung hoffte der Großteil der Dresdner Exulanten während des Dreißigjährigen Krieges nicht darauf, in die Heimat zurückzukehren, und verwehrte sich aus diesem Grund seiner Integration, sondern die meisten Einwanderer wollten sich in der kursächsischen Residenz eine neue Existenz aufbauen und zeigten eine entsprechend hohe Eingliederungsbereitschaft.
Wenn sich hinsichtlich der Integrationspolitik die landesherrlichen und städtischen Interessen größtenteils deckten, so wiesen sie doch auch deutliche Unterschiede auf. Für den Dresdner Rat gestaltete sich die Eingliederung der Migranten – insbesondere im rechtlichen und ökonomischen Bereich – weitaus komplexer und konkreter als für den Landesherrn. Obwohl immer wieder städtische Forderungen laut wurden, die politischen Richtlinien den sich verändernden Bedingungen anzupassen, ging die landesherrliche Ebene oftmals nur mit einer spürbaren zeitlichen Verzögerung darauf ein. Insgesamt gesehen existierte somit auch keine starre Integrationspolitik, sondern diese blieb einem stetigen Entwicklungsprozess unterworfen.
Als größte Schwierigkeit erwies sich jedoch, dass nicht jeder integrationsbereite Einwanderer auch über die notwendigen Voraussetzungen zur Eingliederung verfügte. Um das Ziel einer umfassenden Kontrolle und Disziplinierung umzusetzen, sah sich die obrigkeitliche Seite gezwungen, den Einwanderern mit speziellen Integrationsangeboten entgegenzukommen – was sich bei allen drei untersuchten Themenkreisen nachvollziehen lässt:
1. Der rechtliche Bereich: Weil vielen Exulanten die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen fehlten, um das geforderte Bürgerrecht erwerben zu können, mussten ihnen Zugeständnisse eingeräumt werden. Hierzu zählen unter anderem das Privileg, nur die Schutzverwandtschaft anzunehmen, sowie die seit spätestens 1660 verringerten rechtlichen Zugangsbedingungen zur Einbürgerung.
2. Wirtschaftlicher Bereich: Ohne den Besitz des Bürgerrechts durften die Einwanderer keinem bürgerlichen Gewerbe nachgehen, sodass ihnen auch hier entgegenzukommen war. Da sich die obrigkeitlichen Versuche, ihnen außerhalb des Zunftzwangs den Zugang zu den Innungen zu gewährleisten, als nicht umsetzbar erwiesen, mussten ihnen wiederum die Zugangsvoraussetzungen zum Bürgerrecht erleichtert werden.
3. Kirchlicher Bereich: Von jedem Einwanderer wurde gefordert, sich streng an die lutherische Orthodoxie zu halten und regelmäßig an Gottesdiensten und Abendmahl teilzunehmen. Während es hierbei mit den in den 1620er- und 1630er-Jahren eingewanderten deutschsprachigen Migranten keine Schwierigkeiten gab – konnten diese sich doch in die bestehenden Kirchgemeinden integrieren und waren so durch Pfarrer und Superintendent kontrollierbar – funktionierte dieses System bei den seit etwa 1640 einwandernden tschechischsprachigen Exulanten nicht mehr. Um auch hier einen kontrollfreien Raum zu vermeiden, wurde den fremdsprachigen Einwanderern zugestanden, unter der Führung eines zuverlässigen lutherischen Geistlichen muttersprachliche Gottesdienste abzuhalten.
Die Integrationsangebote waren letztendlich zwar stärker an den Interessen der Obrigkeit und der Aufnahmegesellschaft als an denen der Einwanderer ausgerichtet, besaßen aber doch für beide Seiten überaus positive Folgen. Die Exulanten wurden nicht in eine gesellschaftliche Randlage gedrückt oder sogar ausgegrenzt, sondern sie wurden in verschiedenen Teilbereichen vollwertig integriert, was es ihnen erleichterte, sich eine neue Existenz aufzubauen. Für die Obrigkeit wiederum konnte mit der Integration der Exulanten die Entstehung kontrollfreier Räume verhindert werden, und sowohl das Land als auch die Stadt Dresden profitierten wirtschaftlich von den Immigranten – sei es nun als Konsumenten, Steuerzahler, qualifizierte Handwerker oder billige Lohnarbeiter.
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