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Die rechtliche Behandlung von irregulärer Migration zwischen Migrationskontrolle und Menschenrechten in der Bundesrepublik Deutschland und EuropaRausch, Christine 13 June 2016 (has links)
Der Konflikt zwischen der Forderung nach universellen Rechten für „Jedermann“ einerseits und nationalstaatlich angestrebter Migrationskontrolle andererseits ist im Fall der irregulären Migration besonders augenscheinlich. Der Empfängerstaat kann in diesem Fall seine Souveränität hinsichtlich der Entscheidung über Einreise und Aufenthalt nicht ausüben. Die Verpflichtung, den irregulären Migranten menschenrechtliche Mindeststandards zu gewähren, wird ihm sozusagen aufgezwungen. Das erzeugt erhebliche Spannungsfelder. Der Staat befindet sich hier im Dilemma der rechtlichen Einordnung der ordnungsrechtlich an sich nicht vorhandenen Menschen. Die Individualisierung der persönlichen Situation des irregulären Migranten ist in diesem Fall höchst problematisch, da diese grundsätzlich eine Offenbarung des unrechtmäßigen Aufenthalts voraussetzt. Verschärft wird diese Problematik insbesondere in Deutschland durch die staatlichen Übermittlungspflichten des § 87 Abs. 2 AufenthG. Die Inanspruchnahme von menschenrechtlichen Ansprüchen durch den irregulären Migranten beinhaltet das Risiko der Übermittlung des illegalen Aufenthaltes an die Ausländerbehörde. Werden auf der einen Seite dessen individuell-rechtliche Garantien sowohl auf nationaler als auch auf unionsrechtlicher Ebene anerkannt (z.B. Arbeitnehmerrechte), steht andererseits die Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen im Widerspruch dazu. Die entscheidende Frage ist daher, inwieweit die Vorgaben internationaler, europäischer, wie auch nationaler Menschenrechte die staatliche Souveränität im Rahmen der illegalen Migration beschränken können. Insofern liegt der Schwerpunkt des ersten Teils der Dissertation auf der rechtlichen Analyse der universellen wie regionalen Menschenrechtsgarantien und unter welchen Voraussetzungen Menschen ohne Aufenthaltsstatus diese Rechte zuerkannt wurden bzw. werden. Die Untersuchung hat ergeben, dass auf internationaler Ebene die Problematik der rechtlichen Stellung des irregulären Migranten inzwischen wahrgenommen worden ist, und dass dessen Rechte in Form eines vorsichtig formulierten Rechtskatalogs explizit anerkannt wurden, aber das Spannungsverhältnis zwischen territorialer Souveränität und Universalität der Menschenrechte weiterhin besteht. So haben es die EU-Staaten bisher abgelehnt, ihre Souveränität in diesem Bereich zu beschränken; entsprechend haben sie z. B. die UN-Wanderarbeitnehmerkonvention nicht als universelles Menschenrechtsinstrument anerkannt. Betrachtet man die allgemeinen und speziellen Menschenrechtsinstrumente, so gelten die Jedermann-Grundrechte selbstverständlich auch für irreguläre Migranten. Dies sagt aber noch nichts über deren konkreten Inhalt sowie deren Durchsetzbarkeit aus. Die aufenthaltsrechtliche Gestaltungsfreiheit der EU-Staaten findet jedoch ihre Grenze, wenn die Menschenwürde des Migranten in Frage steht. Hierzu hat die menschenrechtliche Judikatur klare Aussagen getroffen. So dürfen irreguläre Migranten nicht durch zwangsweise aufenthaltsbeende Maßnahmen einer erheblichen menschenrechtswidrigen Behandlung in ihrem Heimatstaat ausgesetzt werden (Refoulement-Verbot). Das Recht auf Familienschutz kann die Souveränität des Staates insoweit einschränken, als die Ausweisung eines irregulären Migranten eine besondere Härte für ihn bedeutet, namentlich die Trennung eines Kindes von seiner Mutter (Rs Rodrigues da Silva). Dem Staat obliegt ferner die positive Verpflichtung einer Strafverfolgung gegen Menschenhandel und Arbeitsausbeutung und somit ggf. die Pflicht, die Opferrechte eines irregulären Migranten in seiner menschenunwürdigen Situation zu schützen (Rs Silidian). Auch muss der Staat gegenüber dem irregulären Migranten ein faires Verhalten einhalten (Rs Conca). Die Verantwortung des Staates, Personen in einer irregulären Aufenthaltssituation bestimmte Leistungen aus menschenrechtlichen Gründen zu garantieren, ist grundsätzlich auf die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens begrenzt. Für den irregulären Migranten besteht insoweit ein Anspruch auf Gesundheit, auf ein nach seinem persönlichen Bedarf zu ermittelndes Existenzminimum und auf Bildung, was aber jeweils die Offenbarung seines irregulären Aufenthaltsstatus voraussetzt. So hängt in diesen Fällen eine effektive Geltendmachung dieser Ansprüche in der Regel davon ab, ob dem irregulären Migranten ein barrierefreier, relativ sicherer Zugang hierzu gewährleistet ist. Der zweite Teil der Arbeit stellt sodann die europäischen und nationalen Maßnahmen zur Regulierung illegaler Migration dar. Die EU und die Mitgliedstaaten haben hierzu ein komplexes mehrstufiges System geschaffen, das vor allem die illegale Migration verhindern soll. Aufgrund der unterschiedlichen Einwanderungskonzepte der EU-Staaten werden zum Teil unterschiedliche Strategien hinsichtlich der irregulären Migration angewandt. So haben z.B. südeuropäische Staaten durch die Regularisierung von irregulärer Migranten wieder ihre Souveränität insoweit hergestellt, als diese Migranten nunmehr für den Staat sichtbar und kontrollierbar geworden sind. Es bestehen demnach unterschiedliche Verständnisse, ob die Gewährung von Rechten für irreguläre Migranten ein Verlust der Steuerungsmöglichkeiten von Migration bedeutet oder nicht. Das neue EU-Recht hat zudem dazu geführt, dass der EuGH durch die Anwendung der EuGRCH an der Entwicklung eines Mindestmaßstabs an individuellen Garantien für irreguläre Migranten beteiligt ist. Die im dritten Teil der Dissertation aufgezeigten Fallbeispiele hinsichtlich des Rechts auf Bildung und auf Gesundheit im illegalen Aufenthalt zeigen die Schwierigkeiten und Möglichkeiten auf, diese Rechte so auszugestalten und umzusetzen, dass sie von Migranten in unrechtmäßiger Aufenthaltssituation faktisch und barrierefrei in Anspruch genommen werden können.
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