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Endokrine und subjektive Stressreaktionen im Rahmen simulierter Notfallsituationen: Studien in einem Full-Scale-Patientensimulator

Keitel, Ariane 16 March 2012 (has links)
In der anästhesiologischen Aus- und Weiterbildung sind Simulationen mittels so genannter High-Fidelity-Patient Simulators (HFPSs) mittlerweile eine etablierte Methode, um medizinische Fertigkeiten und den Umgang mit (kritischen) Narkosezwischenfällen zu trainieren. Inwiefern simulierte kritische Narkosezwischenfälle bei den Teilnehmern psychische und endokrine Stressreaktionen hervorrufen und inwieweit die endokrine Stressreaktion bzw. Stressreagibilität mit der medizinischen Leistung assoziiert ist, wurde bislang in der Forschung zu HFPSs vernachlässigt. Ziel von Experiment 1 der vorliegenden Arbeit war es deshalb, eine mittels HFPS simulierte Notfallsituation (Herzstillstand) als akuten Stressor zu validieren. Hierfür wurde die simulierte Notfallsituation (SIM) mit einem Standardlaborstressor ([LS] Rede vor Videokamera) und einer Ruhebedingung (RB) verglichen. Der Untersuchung lag ein 3 (Bedingung) x 2 (Geschlecht) x 7 (Messzeitpunkt)-faktorieller Plan zugrunde. Vierunddreißig Medizinstudenten (16 Frauen, 18 Männer) im Praktischen Jahr mit Wahlfach Anästhesiologie wurden den gegenbalancierten Abfolgen der drei Versuchsbedingungen (SIM, LS, RB) randomisiert zugewiesen und durchliefen diese messwiederholt. Als abhängige Variablen wurden die endokrine Stressreaktion, operationalisiert über das Speichelcortisol, und die psychische Stressreaktion anhand visueller Analogskalen alle 15 Minuten ab 15 Minuten vor bis 60 Minuten nach der Intervention erfasst. In SIM wurde zudem die medizinische Leistung gemäß der European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation (Nolan, et al., 2005) ausgewertet. Vor den Varianzanalysen wurden für die endokrine und psychische Stressreaktion Differenzmaße jeweils zwischen den beiden Stressbedingungen und der Ruhebedingung gebildet, also die Werte der RB jeweils von denen der Stressbedingungen subtrahiert. Verglichen mit RB führten die Stressbedingungen zu einem signifikanten Anstieg des Speichelcortisols. Hinsichtlich der endokrinen Stressreaktion unterschieden sich die Stressbedingungen nicht signifikant voneinander. LS induzierte eine signifikant höhere psychische Stressreaktion als SIM. Zwischen medizinischer Leistung und Speichelcortisol-Anstieg unter der simulierten Notfallsituation konnte kein Zusammenhang beobachtet werden. Hingegen zeigte sich eine signifikant positive Korrelation zwischen dem Speichelcortisol-Anstieg, der unter dem LS beobachtet wurde, und der medizinischen Leistung im SIM. Aufgrund der zeitlich versetzten Erfassung dieser beiden Variablen könnte eine hohe endokrine Stressreagibilität als Prädiktor für eine gute medizinische Leistung herangezogen werden. Das Ausmaß der Kontrollierbarkeit (Kontrollierbarkeit [K] vs. Unkontrollierbarkeit [UK]) eines Stressors hat einen modifizierenden Einfluss auf motivationale, kognitiv-assoziative und emotionale Parameter. Darüber hinaus sind auch Veränderungen somatischer Stressindikatoren nach der Erfahrung von K vs. UK zu verzeichnen. Experiment 2 diente dazu, die Effekte von K vs. UK auf einen endokrinen Stressindikator (Speichelcortisol) bei simulierten Narkosekomplikationen (akute Effekte in der Trainingsphase [Tag I]) und bei einer simulierten Notfallsituation (Transfereffekte in der Testphase [Tag II]) zu untersuchen. Zudem wurde der Zusammenhang zwischen endokriner Stressreaktion (an Tag I und an Tag II) und medizinischer Leistung (an Tag II) getrennt für K und UK untersucht. Der Untersuchung lag ein 2 (Bedingung) x 2 (Geschlecht) x 7 (Messzeitpunkt)-faktorieller Plan zugrunde. Vierundzwanzig Medizinstudenten (12 Frauen, 12 Männer) im Praktischen Jahr mit Wahlfach Anästhesiologie wurden getrennt nach Geschlecht randomisiert den Versuchsbedingungen (K vs. UK) zugewiesen. Die Probanden durchliefen die simulierten Narkosekomplikationen (Tag I) entweder unter der Bedingung K oder unter der Bedingung UK. In einer nachfolgenden Testphase, der simulierten Notfallsituation (Tag II), hatten beide Gruppen Einfluss auf das Testszenario. Als abhängige Variablen wurde die endokrine Stressreaktion über das Speichelcortisol (Messzeitpunkt 4 [MZP], AUCi) an Tag I und Tag II sowie die medizinische Leistung in der Testphase (Tag II) erhoben. Aufgrund von Verletzungen der Varianzhomogenität wurden die Daten non-parametrisch ausgewertet. Deskriptiv wurde erwartungsgemäß eine höhere Speichelcortisol-Reaktion bei UK im Vergleich zu K sowohl akut in der Trainingsphase (Tag I) als auch in der nachfolgenden Testphase (Tag II) beobachtet, wobei dieser Unterschied statistisch unbedeutend blieb. Nach Geschlecht getrennte Subgruppenanalysen erbrachten zwischen der Gruppe K und der Gruppe UK ebenfalls keinen signifikanten Unterschied in der Speichelcortisol-Reaktion. Im Intra-Gruppenvergleich der Speichelcortisol-Reaktion zwischen Tag I und Tag II wurde bei der Gruppe K eine signifikant niedrigere Speichelcortisol-Reaktion zu MZP 1 (Baseline) und MZP 4 (Maximum des Speichelcortisols) an Tag II beobachtet. Die Probanden unter UK wiesen zur Baseline (MZP 1) an Tag II ebenfalls niedrigere Speichelcortisol-Konzentrationen auf. Die Speichelcortisol-Reaktion (MZP 4) der Gruppe UK unterschied sich zwischen Tag I und Tag II jedoch nicht signifikant voneinander. Zwischen der medizinischen Leistung (erfasst bei der simulierten Notfallsituation [Tag II]) und der endokrinen Stressreaktion (Speichelcortisol an Tag I und Tag II) konnte weder für die Gruppe K noch für die Gruppe UK ein bedeutsamer Zusammenhang verzeichnet werden. Mit Hilfe der vorliegenden Arbeit ist es gelungen, eine mittels HFPS simulierte Notfallsituation als akuten Stressor zu klassifizieren. Demnach können HFPSs nicht nur bezüglich patienten- und operationsspezifischer Charakteristika, sondern auch hinsichtlich endokriner und psychischer Stressreaktionen als ökologisch valide Modelle betrachtet werden. Das experimentell variierte Ausmaß der Kontrollierbarkeit wirkte sich weder akut noch in einer nachfolgenden Simulation signifikant auf das Speichelcortisol aus; deskriptiv deuteten sich erwartungsgemäße Unterschiede mit höheren Speichelcortisol-Reaktionen bei Probanden unter UK an. Aufgrund der starken Abweichung des ursprünglich geplanten Stichprobenumfangs (n = 80), der trotz sehr intensiver Rekrutierungsbemühungen nicht erreicht werden konnte, war die Teststärke der verwendeten Signifikanztests durchgängig sehr gering. Demnach sollte der deskriptive Hinweis des Einflusses von (Un-)Kontrollierbarkeit auf das Speichelcortisol anhand größerer Stichproben untersucht und statistisch abgesichert werden. Die vorliegenden Daten belegen, dass die wiederholte Absolvierung eines Simulationsszenarios bei Vorerfahrung mit Kontrollierbarkeit einen abschwächenden Einfluss auf das Ausmaß der Speichelcortisol-Reaktion und sowohl bei Vorerfahrung mit Kontrollierbarkeit als auch mit Unkontrollierbarkeit einen reduzierenden Effekt auf die Ausgangswerte ausübt. Der unter Experiment 1 beobachtete positive Zusammenhang zwischen endokriner Stressreaktion im LS und medizinischer Leistung im SIM sollte unter Verwendung eines experimentellen pharmakologischen Ansatzes überprüft werden. Implikationen der Befunde der vorliegenden Arbeit und praktische Konsequenzen für die Verwendung von Simulationen in der Medizin werden diskutiert.

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