Return to search

Binge-Eating-Störung, Übergewicht und Adipositas – Therapieprozess und Stigmatisierung

Die Binge-Eating-Störung (BES) wird als die häufigste Essstörung bei Erwachsenen und Jugendlichen beschrieben und weist eine hohe Relevanz für die individuelle und öffentliche Gesundheit auf, vor allem basierend auf ihren vielfältigen medizinischen und psychologischen Begleiterscheinungen und dem erheblichen klinischen Leiden der Betroffenen. Die Entwicklung und systematische Evaluierung therapeutischer Ansätze für Betroffene mit BES war und ist somit dringend geboten und liefert heute ein differenziertes Bild der Möglichkeiten und Grenzen psychotherapeutischen Agierens zur Behandlung der BES. Die Behandlungsoption mit der größten Evidenzbasierung bei der BES stellt die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) in ihrem klassischen psychotherapeutischen Modus, also von Angesicht zu Angesicht dar. Um relevante patientenbezogene und organisatorische Barrieren zu umgehen, werden die Prinzipien der KVT außerdem in Form von strukturierter Selbsthilfe (sSH) umgesetzt, deren spezifische Wirksamkeit bei BES ebenfalls meta-analytisch bestätigt wurde. Bei der Konzeption und Weiterentwicklung der Wirksamkeit von psychotherapeutischen Behandlungsansätzen bei BES sind zentrale Prozessaspekte herausgestellt worden, deren Ausprägung und Zustandekommen eine Rolle beim Erwirken erwünschter psychotherapeutischer Ergebnisse spielen. Die in dieser Dissertation betrachteten sogenannten „Prozessfaktoren“ umfassen die therapeutische Allianz, also die emotionale und kooperative Bindung zwischen Therapeut und Patient, einschließlich ihrer Übereinstimmung bezüglich Aufgaben und Zielen der Therapie sowie die therapeutische Adhärenz, also der Grad der Übereinstimmung zwischen Therapiemanual und tatsächlichem therapeutischen Vorgehen. Im Kontext der beschriebenen Vorbefunde konnte Studie 1 erstmalig zeigen, dass die therapeutische Adhärenz und Allianz in der altersangepassten KVT bei Jugendlichen mit BES standardisiert, objektiv, reliabel und mit guten psychometrischen Gütekriterien erfasst werden können sowie dass beide Parameter in der untersuchten Behandlung hohe Ausprägungen aufwiesen. Hypothesenkonform zeigten sich keine Assoziationen beider Parameter mit Therapeuten- oder Behandlungsmerkmalen, während verringerte Adhärenz mit höheren Erwartungen der jugendlichen Patienten an den Erfolg der Therapie und erhöhte Allianz mit einer geringeren Symptomschwere zu Beginn der Therapie verbunden waren.
Bezogen auf die Umsetzung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Inhalte in Form von sSH, ergibt sich anhand der theoretischen Vorüberlegungen die besondere Relevanz von möglichst vollständiger Partizipation der Patienten in derartigen Therapie-Programmen. Studie 2 liefert, basierend auf Daten einer randomisiert-kontrollierten Studie zur Wirksamkeit von Internetbasierter sSH ein detailliertes Bild der Partizipation innerhalb der Internetbasierten sSH und belegt im Mittel die programmtreue Durchführung der Patienten, aber auch eine mit Vorbefunden vergleichbar hohe Dropout-Rate von knapp 25% der Patienten. Im Vergleich zu Patienten, deren Adhärenzwerte andeuten, dass sie sich an die empfohlenen Durchführungsmodalitäten gehalten haben (z.B. an allen Tagen das Ernährungstagebuch geführt haben), weisen jene Patienten ein höheres Dropout-Risiko auf, die das Ernährungstagebuch an weniger Tagen vollständig ausgefüllt, weniger Nachrichten mit ihrem Therapeuten ausgetauscht und länger für die Bearbeitung einzelner Module benötigt haben. Dabei zeigte sich nicht nur ein großer prädiktiver Effekt von 72% im Gesamtmodell, sondern auch eine besonders hohe Sensitivität und Spezifität für die Prädiktion von Dropout in Bezug auf das unvollständige Ausfüllen des Ernährungstagebuches in Therapiewoche 7, womit dieser Adhärenzparameter zu diesem Zeitpunkt den optimalsten Prädiktor für späteren Dropout in der vorliegenden Studie darstellte. Während nur der BMI einen signifikanten Zusammenhang zur Anzahl der ausgetauschten Nachrichten aufwies, war kein weiteres Patientenmerkmal (zu Beginn der Therapie) mit den beobachteten Adhärenzparametern bzw. Dropout assoziiert. Im Zusammenhang mit dem großen prädiktiven Wert der Adhärenzparameter in der vorliegenden Studie zeigt dieses Ergebnis zudem, dass objektiv erhobene Adhärenzparameter bei der Vorhersage von Dropout gegenüber Patientenmerkmalen zu bevorzugen sind. Vor dem Hintergrund, dass Adhärenz in Internet- oder App-basierten sSH-Programmen automatisch und objektiv erfasst werden kann, könnte deren automatische Überwachung bei der Entwicklung und Durchführung derartiger Programme dabei helfen, Patienten mit abnehmender Adhärenz und einem assoziierten Risiko für späteres Ausscheiden aus der Therapie zu identifizieren.
Das klinische Erscheinungsbild der BES ist neben der Essstörungssymptomatik in besonderem Maße von komorbid auftretenden Beeinträchtigungen geprägt, welche in erster Linie Übergewicht (BMI ≥ 25 kg/m²) und Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²) aber auch psychische Störungen wie Angst-, affektive und Substanzkonsumstörungen umfassen. Betroffene der BES berichten neben diesen Komorbiditäten weiterhin psychosoziale und interpersonelle Probleme sowie Einschränkungen der Lebensqualität. Vor allem Betroffene mit komorbid auftretendem Übergewicht bzw. Adipositas leiden zusätzlich unter den medizinischen und psychologischen Korrelaten des Übergewichts sowie unter den verschiedenen Formen gewichtsbezogener Stigmatisierung, mit denen sie in zentralen Lebensbereichen konfrontiert sind (z.B. am Arbeitsplatz, im Gesundheits- und Bildungswesen). Eine stetig wachsende Zahl an wissenschaftlichen Studien belegt wiederum die negativen medizinischen und psychologischen Korrelate von Erfahrungen mit gewichtsbezogener Stigmatisierung, die sich zu den primären Gesundheitseinschränkungen des Übergewichts hinzuaddieren. Basierend auf Daten einer großangelegten, bevölkerungsrepräsentativen Befragung in der deutschen Bevölkerung konnte Studie 3 zeigen, dass Menschen mit Adipositas im Vergleich mit Normalgewichtigen mehr Mobbingerfahrungen berichten. Ein erhöhtes Körpergewicht war nur bei Frauen mit arbeitsplatzbezogenen Gesundheitseinschränkungen (stärkeren Burnout-Symptomen, verringerter Lebensqualität) verbunden. Zusätzlich erwiesen sich Mobbingerfahrungen am Arbeitsplatz, nur bei Frauen und nicht bei Männern, als partieller Mediator für den Zusammenhang von erhöhtem Körpergewicht und arbeitsplatzbezogenen Gesundheitseinschränkungen. Somit legen die Ergebnisse nahe, dass sich, besonders bei Frauen mit Adipositas, verschiedene diskriminierte Merkmale (also weibliches Geschlecht und erhöhtes Körpergewicht) aufsummieren, wodurch sich vor allem in dieser Bevölkerungsgruppe ein entsprechender Handlungsbedarf zur Reduktion der Diskriminierung ergibt, um letztlich die psychosozialen arbeitsbezogenen Belastungen sowie entsprechende medizinische und psychologische Gesundheitsbeeinträchtigungen für Arbeitnehmer und damit verbundene Produktivitätsverluste für Unternehmen abzumildern.:Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungen
1 Theoretischer Hintergrund
1.1 Die Binge-Eating-Störung
1.1.1 Definition, Epidemiologie und Komorbidität
1.1.2 Therapie der Binge-Eating-Störung
1.1.2.1 Therapeutische Ansätze und Evidenz
1.1.2.2 Psychotherapeutische Prozessfaktoren
1.2 Übergewicht und Adipositas
1.2.1 Definition, Epidemiologie und Komorbidität
1.2.2 Gewichtsbezogene Stigmatisierung am Arbeitsplatz
1.2.2.1 Auftreten gewichtsbezogener Stigmatisierung
1.2.2.2 Korrelate gewichtsbezogener Stigmatisierung
2 Ableitung der Forschungsfragen
2.1 Studie 1
2.2 Studie 2
2.3 Studie 3
3 Publikationsmanuskripte
3.1 Therapist adherence and therapeutic alliance in individual cognitive-behavioral therapy for adolescent binge-eating disorder
3.2 Adherence as a predictor of dropout in Internet-based guided self-help for adults with binge-eating disorder and overweight or obesity
3.3 Sex-specific mediation effects of workplace bullying on associations between employees' weight status and psychological health impairments
4 Zusammenfassung
5 Referenzen
Anlagen

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:79395
Date07 June 2022
CreatorsPuls, Hans-Christian
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

Page generated in 0.0097 seconds