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Können Haarproben zur Untersuchung des Stresshormons Cortisol bei Patientinnen mit Anorexie nervosa genutzt werden?

Hintergrund: Anorexia nervosa (AN), allgemein als Magersucht bezeichnet, gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Dabei kommt es aufgrund einer gestörten Wahrnehmung der eigenen Figur zu einem erheblichen, selbst herbeigeführten Gewichtsverlust. Die Mehrheit der Patientinnen muss aufgrund der Schwere der Erkrankung mindestens einmal stationär behandelt werden. Cortisol ist ein lebenswichtiges Steroidhormon, das dafür sorgt, dass der menschliche Körper länger andauernde Belastungen bewältigen kann. Halten diese Stresssituationen jedoch zu lange an, kann es erhebliche Störungen des Stoffwechsels, des Wachstums, der Reproduktion und der Immunkompetenz verursachen. Cortisol und seine Stoffwechselprodukte werden überwiegend mit dem Urin ausgeschieden. Die Bestimmung der Urincortisolkonzentration (UCC) gehört daher zur klinischen Standarddiagnostik. In der Forschung hat sich die UCC als zuverlässige Methode zur Untersuchung des Stresshormons bei gesunden Probanden und psychischen Erkrankungen bewährt. Auch im Haar kann das Stresshormon nachgewiesen werden. Hauptsächlich gelangt es aus dem Blut in die Zellen des wachsenden Haarschaftes. Haaranalysen werden seit langer Zeit als zuverlässige Methode in der Forensik und Toxikologie angewandt. Mittlerweile hat sich die Analyse von Haarproben zur Bestimmung der Haarcortisolkonzentration (HCC) auch in der Forschung als valide Methode etabliert. Dabei bietet diese nicht-invasive und leicht durchführbare Methode einen retrospektiven Blick auf die Langzeitausschüttung von Cortisol. In zahlreichen Studien wurde bei AN eine Erhöhung des Stresshormons Cortisol nachgewiesen (sog. Hypercortisolismus). Dabei scheinen sich der Hypercortisolismus, die körperlichen Symptome und die psychischen Veränderungen in einer komplexen Krankheitspathologie wechselseitig zu beeinflussen. Mehrere Studien konnten bei AN bereits eine erhöhte Cortisolausscheidung im Urin nachweisen, die mit zunehmender Gewichtsnormalisierung rückläufig ist. Die HCC wurde bei AN bisher nur in einer Querschnittstudie untersucht. Entgegen des bekannten Hypercortisolismus konnte hier eine signifikant niedrige HCC nachgewiesen werden. Fragestellung: Die vorliegende Studie untersucht die HCC bei Patientinnen mit AN zum ersten Mal in einer Längsschnittstudie. Durch Beobachtung von Patientinnen über den Verlauf einer stationären, krankheitsbildspezifischen Therapie und zusätzlicher Erhebung der UCC als Vergleichsvariable sollte die Anwendbarkeit der HCC bei AN untersucht werden. Material und Methoden: Neben der Anwendung psychopathologischer Testverfahren (EDI-2) und regelmäßiger Bestimmung des BMI wurde wöchentlich durch einen 24-h-Sammelurin die UCC bestimmt. Eine Substichprobe gab am Ende des durchschnittlich 13-wöchigen Therapiezeitraumes eine Haarprobe ab, anhand derer eine monatliche HCC bestimmt wurde. Die Analyse der Urinproben erfolgte mittels immunochemischer Verfahren, die Haarproben wurden mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie analysiert. Durch individuelle Zuordnung einer medianen UCC zu jeder HCC wurden für jede Patientin schließlich drei HCC-UCC-Wertepaare erzeugt, die den Anfang, die Mitte und das Ende der stationären Therapie abbildeten. Ergebnisse: Insgesamt nahmen 33 Patientinnen des Zentrums für Essstörungen der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie teil (Stichprobe 1), wobei 16 Patientinnen der Entnahme einer Haarprobe zustimmten (Stichprobe 1a). Während der stationären Therapie kam es zu einer leitliniengerechten Gewichtsrehabilitation. Die UCC war deutlich erhöht und fiel während des Therapieverlauf signifikant ab. Die HCC zeigte hingegen keine Veränderung. Bei der Korrelation der HCC mit der medianen UCC konnte lediglich ein Trendeffekt nachgewiesen werden. Separate Analysen der einzelnen Zeitabschnitte ergaben eine signifikante Korrelation von HCC und UCC am Ende der stationären Therapie. Bei Analyse des EDI-2 korrelierte die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zu Beginn und am Ende der Therapie mit der UCC, jedoch nicht mit der HCC. Haareigenschaften und Haarbehandlungen hatten keinen Einfluss auf die HCC. Schlussfolgerungen: Insgesamt konnte die UCC den bekannten Hypercortisolismus abbilden und bildete eine valide Grundlage für die Überprüfung der HCC bei AN. Trotz ihres Absinkens blieb die UCC nach erfolgreicher Gewichtsrehabilitation erhöht. Zudem konnte eine Korrelation der UCC mit einer zentralen psychopathologischen Veränderung bei AN nachvollzogen werden. Dies bestätigt die Hypothese einer komplexen Krankheitspathologie mit somatischen und psychiatrischen Einflussfaktoren auf den Hypercortisolismus. Bei einem Literaturvergleich der HCC mit gesunden Probanden konnte kein Hypercortisolismus nachvollzogen werden. Insgesamt konnte die HCC die UCC insbesondere in der Phase der akuten Erkrankung und beginnenden Gewichtsrehabilitation nicht zuverlässig abbilden. Nach Gewichtsnormalisierung schienen sich HCC und UCC jedoch wieder dem bei gesunden Probanden bestätigten Verhältnis anzunähern. Als Ursache für diese fehlende Korrelation kommen trophische Störungen des Haarwachstums bei AN in Betracht. So ist aufgrund eines verminderten Haarwachstums eine gestörte Einlagerung des Hormons in den Haarschaft möglich. Auch enzymatische Störungen des Cortisolabbaus werden diskutiert. Ein gestörtes Gleichgewicht des Enzyms 11-β-HSD, welches die Umwandlung von Cortisol zu Cortison (und umgekehrt) katalysiert, scheint ebenfalls die Einlagerung in das Haar zu beeinflussen.
Insgesamt ergaben sich zahlreiche Hinweise, dass die HCC entgegen den Studienergebnissen bei gesunden Probanden und anderen stressassoziierten Zuständen bzw. Erkrankungen nicht zur Untersuchung des Hypercortisolismus bei AN im akuten Erkrankungszustand und im Verlauf einer stationären Therapie angewendet werden kann. Eine Nutzung dieser Methode zur Untersuchung gewichtsrehabilitierter Patientinnen bleibt offen und bedarf weiterer Forschungen. / Background: Anorexia nervosa (AN) is one of the most common mental disorders in children and adolescents. Disturbances in the way in which one´s body shape is experienced lead to a severe self-inflicted weight loss. Majority of patients need to be treated in hospital at least once in a lifetime. Cortisol is an essential adrenal cortical hormone, which enables human organism to cope with long-lasting stress. However, perseverative stress can cause abnormalities in metabolism, growth, reproduction and the immune system. Cortisol and its metabolites are excreted renal predominantly. Therefore, analyzing urinary cortisol concentration (UCC) is part of good clinical practice and proved of value in research. Recently, the assessment of long-term cortisol concentration via hair samples has been shown to be a sensitive cortisol parameter too. According to the multicompartment model diffusion of cortisol from blood capillaries into the growing hair cells of the follicle represents the main pathway of cortisol incorporation into the hair. Hair cortisol concentrations (HCC) offer a retrospective view that is easily accessible. Numerous studies have used hair cortisol successfully to examine changes in long-term cortisol levels in a number of psychiatric diseases. Underweight patients with AN are known to have increased cortisol levels (hypercortisolism). Cortisol levels were found to correlate with both physical and mental symptoms in a complex interplay. Most studies reported a urinary hypercortisolism in AN and a significant decrease in cortisol levels during weight gain. So far, the only other study that examined HCC in AN found lower HCC compared to healthy controls, which is contradictory to the existing literature. Aim: The aim of this study was to investigate whether HCC in acutely ill AN patients reflects a well-established classic cortisol measure (UCC) using a longitudinal study design over the course of inpatient weight-restoration treatment. Methods: Therefore, after admission every patient provided a weekly 24-h-urine sample. The corresponding body weight was measured on each day of collection. After the last urine collection, a hair sample was taken for analyzing a monthly HCC. Additionally, eating disorder symptoms were measured by EDI-2. Hair samples were analyzed by a LC-MS/MS-based method. The determination of cortisol concentration in urine was performed by using a competitive immuneenzymatic colorimetric method. As urinary cortisol was measured weekly while hair cortisol values were reflecting cortisol levels over one month, we calculated the median urinary cortisol corresponding to each monthly hair cortisol value individually. In sum, we matched three pairs of median UCC and HCC for each patient, representing the beginning, middle and end of the therapy. Results: The cohort in our longitudinal analysis consisted of a total of 33 patients who participated for 13 weeks on average. A subsample of 16 patients provided a hair sample after inpatient treatment. UCC was increased and revealed the expected decrease during weight gain while HCC showed no significant change. Tested for associations between HCC and UCC there was a trend effect for UCC on HCC. Separate correlation analyses per time-period showed a significant correlation between UCC and HCC for the third time period at the end of the therapy. Disaffection with the own body correlated with UCC, but not with HCC at the beginning and end of inpatient therapy. Hair treatment had no effect on HCC. Discussion: In summary UCC proved to be a reliable cortisol measure in our sample. Despite reduction, UCC remained increased after weight-restoration and correlated with eating disorder symptoms. This confirms the supposed complex interplay of hypercortisolism with physical and mental symptoms. Compared to cortisol levels of previously reported healthy females HCC was normal in AN and did not decline significantly during weight-restoration. Overall HCC did not reflect UCC, particularly with regard to the phase of acute starvation and incipient weight gain. However, association of HCC and UCC seemed to approximate healthy conditions after weight restoration. One possible explanation for lack of correlation might be trophic disturbances of hair in AN. Studies reported that scalp hair in AN show a higher percentage of hair in the telogen (resting) phase, which implies no further hair follicle activity, consequently less hair growth, and less storage of hormones like cortisol in hair. Furthermore, disturbances of the activity of 11-β-HSD-enzymes, converting cortisol in cortisone and vice versa, might influence the incorporation of cortisol in hair too.
Altogether we suggest that incorporation of cortisol into the hair might be impaired due to factors associated with underweight and undernutrition in AN. Our data demonstrate that HCC does not reflect hypercortisolism in individuals suffering from acute AN, while after some weight gain it may proof to be a useful measurement of long-term cortisol levels.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:74511
Date22 April 2021
CreatorsClas, Sabine
ContributorsEhrlich, Stefan, Martini, Julia, Technische Universität Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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