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Nicht-invasive Evaluation der aortalen Gefäßsteifigkeit als Screening Parameter für Patienten mit thorakalem Aortenaneurysma

In der vorliegenden Arbeit soll die nicht-invasive Messung der Pulswellengeschwindigkeit als Screening-Methode für proximale Aortenaneurysmen evaluiert werden. Hierfür wurde der Zusammenhang zwischen dem Aortendurchmesser und der nicht-invasiv gemessenen PWV untersucht. Außerdem wurde der Einfluss bekannter kardiovaskulärer Risikofaktoren und das Vorhandensein einer bikuspiden Aortenklappe auf die Gefäßsteifigkeit (mit Hilfe der PWV als Surrogatmarker) analysiert. Des Weiteren wurde die Hypothese untersucht, ob sich die nicht-invasive Bestimmung der Gefäßelastizität zur Früherkennung von proximalen Aortenaneurysmen eignet.
Die vorliegende Studie umfasst 210 Probanden im Alter von 18 bis 92 Jahren, bei welchen ein proximales Aortenaneurysma und/oder eine (isolierte) Aortenklappenerkrankung diagnostiziert wurde, sowie 17 gesunde Kontrollen. Die folgenden Patientengruppen wurden gebildet: (1) Patienten mit Aortenaneurysma und Aortenklappenerkrankung, (2) Patienten mit Aortenklappenerkrankung ohne Aortenaneurysma, (3) Patienten mit Aortenaneurysma (>45mm) mit und ohne Aortenklappenerkrankung, (4) Patienten mit einem Aortendurchmesser < 45mm mit und ohne Aortenklappenerkrankung. Bei allen Probanden erfolgte die nicht-invasive Messung der Pulswellengeschwindigkeit mit Hilfe der kommerziell erhältlichen Systeme 'SphygmoCor®' und 'Mobil-O-Graph®'. Der Mobil-O-Graph® ist ein automatisches, oszillometrisches Oberarmmanschetten-basiertes Gerät, wohingegen sich der SphygmoCor® auf ein tonometrisches Verfahren stützt. Im Anschluss erfolgte die statistische Auswertung. Eine Signifikanz wurde bei einem p-Wert < 0.05 angenommen.
In der vorliegenden Arbeit wurde zunächst bei der Unterscheidung von gesunder Kontrollgruppe und gesamter Patientengruppe eine signifikant höhere PWV in der Patientengruppe gesehen. Durch die zahlreich vertretenen kardiovaskulären Ko-Morbiditäten der Patienten und das höhere durchschnittliche Alter lässt sich die generalisierte höhere Gefäßsteifigkeit im Rahmen von Atherosklerose (mit mikro- und makrovaskulären Verkalkungen) und der (oft langjährigen) arterieller Hypertonie erklären (Baulmann et al. 2010, Elias et al. 2018, Ghosh et al. 2019). Bei weiterer Unterteilung der Patientengruppe in Patienten mit thorakalem Aortenaneurysma zeigte sich eine Abnahme der PWV sowie eine erhöhte Dehnbarkeit des Gefäßes – unabhängig vom Durchmesser – wobei bisherige physikalische und pathophysiologische Studien eine Erhöhung der Gefäßsteifigkeit mit Zunahme des Aortendurchmessers beschrieben (Koullias et al. 2005). Obwohl die aktuellen Leitlinien (Isselbacher et al. 2022) in Abhängigkeit vom Durchmesser der Aorta die Indikation zur chirurgischen Therapie stellen, legen immer mehr Studien nahe, dass der Durchmesser allein kein hinreichendes Kriterium zur individuellen Einschätzung des Ruptur- bzw. Dissektionsrisikos von Aortenaneurysmen ist (Rabkin et al. 2014). So konnten beispielsweise Etz et al. in einer retrospektiven Analyse zeigen, dass viele Patienten bei dem aktuell empfohlenen Grenzwert (Durchmesser der proximalen Aorta von 55 mm) noch eine ausreichend stabile Aorta besitzen und möglicherweise keine Komplikationen erwarten müssen (Etz et al. 2012). Auch eine weitere Studie von Patienten mit akuter Aortendissektion Typ A konnte darlegen, dass beispielsweise Patienten mit bikuspider Aortenklappe (BAV) eine 10 mm größere Aorta hatten zum Zeitpunkt der Dissektion im Vergleich zu Patienten mit trikuspider Aortenklappe (Eleid et al. 2013). Dies widerspricht den Empfehlungen der Experten zum frühzeitigen Ersatz der Aorta bei BAV-Patienten, so dass der Durchmesser als maßgebliches Entscheidungskriterium weiterhin zu diskutieren bleibt.
Grundsätzlich ist bei einer Dissektion oder Ruptur von einem multifaktoriellen Prozess auszugehen, welcher sich sowohl von mechanischen als auch zellulären Komponenten herleitet (Abbas et al. 2011). Die nicht-invasive Messung der PWV als Surrogatmarker der Gefäßelastizität könnte einen Beitrag zur Früherkennung der symptomlosen Erkrankung des Aortenaneurysmas leisten. Entgegen der in der Literatur beschriebenen Annahme einer erhöhten Gefäßsteifigkeit und damit erhöhten PWV bei Patienten mit Gefäßerkrankungen (Blacher et al. 1999; Koullias et al. 2005; Chen et al. 2022) zeigten die Patienten mit Aortenaneurysma eine signifikant niedrigere PWV, verglichen mit Patienten mit isolierter Aortenklappenerkrankung. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die Patienten in einen Hochrisikobereich einzuordnen sind und die Aortenaneurysmen rechtzeitig kurz vor Eintritt potenziell lebensbedrohlicher Komplikationen operiert wurden. So konnte in einer Studie an abdominellen Aneurysmen ein biphasischer Verlauf mit Abnahme der PWV kurz vor Ruptur gezeigt werden (Russo 2006). Auf Basis dieser Daten wurde erst kürzlich ein Diagramm zur Einschätzung des Rupturrisikos abdomineller Aortenaneurysmen entwickelt mit einem Hochrisiko-Bereich, definiert durch einen großen Aortendurchmesser in Verbindung mit einer geringen Gefäßsteifigkeit, also hohen PWV (Russo 2020). Durch eine routinemäßige, regelmäßige Messung der PWV über viele Jahre (bspw. beim Hausarzt im Rahmen der Blutdruckmessung) ließe sich eine Veränderung in der PWV frühzeitig detektieren und somit das Risiko potenzieller Komplikationen durch rechtzeitiges Eingreifen minimieren. Sollte es in Zukunft durch die PWV gelingen, die Risikostratifizierung, zusätzlich zum Aortendiameter – aktuell der einzige Indikator für das vermeintliche Rupturrisiko – zu augmentieren, können im Idealfall Hochrisikopatienten rechtzeitig einem chirurgischen Eingriff zugeführt und Niedrigrisikopatienten sicher zurückgestellt werden (Amjer; Njiveldt 2015). Die Patienten könnten bereits in den Anfangsstadien der Erkrankung fachgerecht betreut und eine optimale, individuelle Therapie auf den einzelnen Patienten abgestimmt, insbesondere in Bezug auf den optimalen OP-Zeitpunkt, gewählt werden.
Im Vergleich der PWV von Patienten mit trikuspider und bikuspider Aortenklappe fanden sich keine signifikanten Unterschiede, was auf die ohnehin erhöhte Gefäßsteifigkeit bei zunehmendem Gefäßdurchmesser – unabhängig von der Klappenmorphologie – zurückgeführt werden könnte. Die Unterschiede in der PWV zwischen BAV- und TAV-Patienten nivellieren sich möglicherweise mit zunehmendem Aortendurchmesser. Zudem könnte der Unterschied statistisch nicht auffallen, da BAV-Patienten zwar jünger sind, dafür aber aufgrund der kardialen Anomalie frühzeitig eine erhöhte Gefäßsteifigkeit aufweisen (Goudot et al. 2019), hingegen die trikuspiden Patienten erst in höherem Alter auffällig werden und somit die Gefäßsteifigkeit aufgrund des Alters und der Ko-Morbiditäten (z.B. Atherosklerose, Diabetes mellitus) zunimmt (Smulyan et al. 2016, Tedla et al. 2020).
Schlussfolgerung: Auf Basis einer einzigen nicht-invasiven Messung der Gefäßelastizität kann keine sichere Aussage zum Vorhandsein eines proximalen Aortenaneurysmas getroffen werden. Eine Empfehlung als Screeningmethode kann auf Basis der vorliegenden Studie nicht gegeben werden. Relevant erscheint hingegen die longitudinale Messung über Jahre hinweg, um über die Änderung der PWV Rückschlüsse ziehen zu können. Zwar kann eine erhöhte PWV einen Hinweis auf das Vorliegen eines Aortenaneurysmas liefern, ist aber als alleinige Diagnostikmethode nicht ausreichend. Bei bereits diagnostiziertem Aortenaneurysma kann eine im Verlauf auftretende Verringerung der PWV möglicherweise Hinweis auf bevorstehende aortale Komplikationen wie Aortendissektion oder -ruptur geben.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:90908
Date16 April 2024
CreatorsDörlitz, Vanessa
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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