Return to search

Methodologie und Problematik der Höranalyse des Repertoires des 20. Jahrhunderts am Beispiel der ersten Offrande von Edgar Varèse

Die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert hat das Fach Gehörbildung vor neue Herausforderungen gestellt. Durch einen neuen Umgang mit den musikalischen Parametern (Tonhöhe, Klangfarbe, Dauer und Lautstärke) drohte die übliche Form des Gehörbildungsunterrichts und dessen traditioneller Gegenstand (Melodie, Harmonie, Rhythmus) als überholt betrachtet zu werden. Diese Situation hat ein neues Fach hervorgebracht, das an der Grenze zwischen Gehörbildung und Analyse angesiedelt ist. Angesichts der Komplexität der im 20. Jahrhundert stark individuell geprägten Tonsprache eines jeden Komponisten, die das unmittelbare Verständnis eines Werkes erschweren kann, scheint es absolut notwendig, den Studierenden mehr abzuverlangen als das Erarbeiten technischer Hörreflexe und das Beherrschen handwerklicher Mittel. Sie sollten über die Oberfläche eines ersten Höreindruckes hinausgeführt werden und mit rhythmischen und formalen Strukturen, Klangphänomenen sowie mit Aspekten der Zeitbehandlung oder der Zeitwahrnehmung konfrontiert werden. Ihre Hörfähigkeit sollte hinsichtlich dieser Parameter entwickelt und ihr Bewusstsein für die Problematik der Rezeption des zeitgenössischen Repertoires geschärft werden. Die Gleichbedeutung des Gelesenen und des Gehörten sollte für einen Berufsmusiker die technische Basis bilden und das innere Hören der gelesenen Partituren sowie das unmittelbare Sehen eines Schriftbildes des Gehörten sollten automatisch erfolgen können. Darüber hinaus scheint es wichtig, mit dem Unterschied zwischen dem ›Hörbaren‹ (die wahrnehmbaren musikalischen Strukturen) und dem ›Unhörbaren‹ (dem Intentionalen sowie dem Handwerklichen) konfrontiert zu sein. Am Beispiel der ersten Offrande von Edgar Varèse wird eine höranalytische Arbeit präsentiert, die diese Herausforderung entspricht: Ziel war es, die reine Beschreibung des Ablaufs und der verschiedenen musikalischen Ereignissen des Stückes für eine tiefgreifendere Analyse zu nutzen, die sich nicht auf der Oberfläche der instinktiven Wahrnehmung der Musik beschränkt, sondern versucht, die Homogenität des scheinbar zerstreuten musikalischen Materials und die Interaktion dessen einzelnen Elementen zu erfassen, um die tatsächlich sehr kompakte und dichte Einheitlichkeit des Stückes ans Licht zu bringen. Erst mit einem klaren und präzisen Verständnis dieser engen Verknüpfungen kann ein globales Hören des Stückes zu einem richtigen Hör-Erlebnis werden, das eine tiefere Bedeutungsebene der Musik erreicht. / The development of music in the 20th century has presented new challenges for the subject of ear training. Due to new approaches to musical parameters (pitch, timbre, duration and volume), the usual form of ear training and its traditional object (melody, harmony, rhythm) is threatened with obsolescence. This situation has created a new subject located on the boundary between ear training and analysis. Given the complexity of each composer’s highly individual language in the 20th century, which can obscure the comprehension of these works, it seems necessary to demand more from students than the development of technical listening reflexes and the mastery of craftsmanship. They should be carried beyond the surface of a first impression to be confronted with rhythmic and formal structures, sound phenomena as well as aspects of time treatment or perception of time. Their hearing ability should be developed in consideration of these parameters as well as their awareness of the problem of reception of the contemporary repertoire. Bringing into equivalence that which is read with what is heard should form the technical basis for a professional musician. Thus, the inner hearing of the score as well as the formation of a clear picture of what is sounding should automatically take place. In addition, it seems important to be confronted with the difference between the “audible” (the perceptible musical structures) and the “inaudible” (the musical thinking and craftsmanship). Using the example of the first of Edgar Varèse’s Offrandes, a hearing-analytical work is presented that meets this challenge: the aim was to use a pure description of the piece’s various musical events for a deeper analysis, one which is not limited to the surface of the instinctive perception of the music but tries instead to grasp the homogeneity of the seemingly scattered musical material and illuminate the piece’s compact unity through the interaction of its individual elements. Only with a clear and precise understanding of these close connections can exposure to the piece become a real listening experience that reaches the music’s deeper levels.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:87174
Date22 September 2023
CreatorsLarminat, Violaine de
ContributorsGesellschaft für Musiktheorie
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:bookPart, info:eu-repo/semantics/bookPart, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relation12, urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-871305, qucosa:87130

Page generated in 0.0027 seconds