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Akzeptanz und Wirksamkeit von Telemedizin- Anwendungen in der medizinischen Regelversorgung am Beispiel des Diabetes mellitus, der Hypertonie und Dyslipidämien

Das Potential von Telemedizin-Anwendungen, die eine medizinische Konsultation von Patient:innen über eine geographische Distanz hinweg ermöglichen, reicht von der Schaffung eines gerechten Zugangs zu Versorgungsangeboten für alle Patient:innen über eine Optimierung medizinischer Versorgungsprozesse bis hin zu einer Verbesserung krankheitsbezogener Outcomes. Um dieses Potential erfüllen zu können, ist es zwingend notwendig, dass für diese Anwendungen der Nachweis sowohl der klinischen Wirksamkeit als auch der Passfähigkeit in das jeweilige Versorgungssetting, in dem sie genutzt werden sollen, erbracht wird. Eine Dimension der Passfähigkeit ist die Akzeptanz der Leistungserbringenden und Patient:innen, die beide per defintionem Endnutzer:innen einer Telemedizinanwendung sind. Die Zielstellung der vorliegenden Arbeit war es daher, Akzeptanz und Wirksamkeit von Telemedizin-Anwendungen wissenschaftlich zu untersuchen. Um die Erkenntnisse der Promotionsschrift in den wissenschaftlichen Kontext der Beforschung von Telemedizin-Anwendungen einzuordnen, wurden zudem zukünftige Forschungsbedarfe auf dem Gebiet der Telemedizin systematisch erhoben und priorisiert. Um diese Ziele zu erreichen, kam ein breites Methodenspektrum zum Einsatz. Zur Erhebung von theoriebasierten Prädiktoren für die Akzeptanz von Telemedizin-Anwendungen durch Patient:innen und Leistungserbringende wurde ein Systematic Review durchgeführt. Zudem wurden die Erwartungen und Wünsche ruandischer Patient:innen mit Diabetes an eine Selbstmanagement-App in qualitativen Interviews erhoben, um den ersten Prototypen einer entsprechenden App auf diese Zielgruppe zuschneiden zu können. Ebenfalls in qualitativen Interviews wurde anschließend untersucht, inwieweit dieser Prototyp den Nutzer:innenerwartungen entsprach. Die Wirksamkeit von Telemedizin-Anwendungen wurde in einem Umbrella Review bestehender Systematic Reviews und Metaanalysen anhand der drei chronischen Krankheitsbilder Diabetes mellitus, Hypertonie und Dyslipidämie exemplarisch untersucht, wobei die verfügbare Evidenz außerdem einer ausführlichen Qualitätsprüfung (GRADE Assessment) unterzogen wurde. Zu guter Letzt wurden von Autor:innen publizierter Systematic Reviews und Metaanalysen genannte zukünftige Forschungsbedarfe auf dem Gebiet der Telemedizin im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse kategorisiert und in einen quantitativen Online-Fragebogen überführt. Dieser wurde in den Social Media-Kanälen, auf Webseiten und in Rundschreiben verschiedener Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Diabetes-Versorgung, Evidenzbasierten Medizin und Ergotherapie sowie unter Akteuer:innen der Gesundheitsversorgungsplanung verteilt, um zukünftige Forschungsbedarfe auf Sicht von Wissenschaftler:innen, Leistungserbringenden und Entscheidungsträger:innen des Gesundheitssystems zu priorisieren. Diese Kombination qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden entspricht einem Mixed Methods-Design. Die Ergebnisse zeigten, dass Telemedizin-Anwendungen von Patient:innen und Leistungserbringenden dann akzeptiert wurden, wenn sie diese für nützlich für das Krankheitsmanagement bzw. die Patient:innenversorgung hielten und sie leicht zu bedienen sind. Für Patient:innen spielte zudem die Akzeptanz durch das soziale Umfeld eine wichtige Rolle. Die entsprechenden theoriebasierten Prädiktoren waren in den betrachteten Studien am häufigsten signifikant und erzielten hohe Effektstärken. Modelle der Technikakzeptanz, insbesondere das Technology Assessment Model und seine Erweiterung, die Unified Theory of Acceptance and Use of Technology, sind klassischen Verhaltenstheorien, aus denen heraus sie entwickelt wurden, in ihrer Erklärungskraft hinsichtlich der Akzeptanz von Telemedizin-Anwendungen, gemessen anhand der Varianzaufklärung, überlegen. Die an den Interviews teilnehmenden ruandischen Patient:innen mit Diabetes wünschten sich von einer App für das Diabetes-Selbstmanagement vor allem, dass diese ihnen Informationen zu Krankheitsverlauf, Symptomen, Warnsignalen für Komplikationen sowie gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen (Ernährung und Bewegung) in übersichtlicher, leicht verständlicher Form darböte. Zudem sollte die App eine Reminder-Funktion mit Bezug auf Selbsttestung des Blutzuckerwerts, Medikamenteneinnahme und sportlicher Aktivität beinhalten. Der erste Prototyp der App wurde insbesondere aufgrund des Erkenntnisgewinns zu den oben genannten Themen und der umgesetzten niedrigschwelligen Erinnerungen für das Diabetes-Selbstmanagement im Alltag durch die Nutzer:innen positiv bewertet. Allerdings bemängelten sie die fehlende Option zum sozialen Austausch mit anderen Patient:innen und die rein text- und bildbasierte anstelle einer interaktiven Informationsvermittlung. Für Patienten mit Diabetes konnten signifikante, klinisch relevante Reduktionen des HbA1c durch Telemedizinanwendungen festgestellt werden, wobei Patient:innen mit einer kürzlich erfolgten Diagnose und jene mit einem erhöhten Baseline-HbA1c (> 8 % mmol/l) mehr von der Nutzung profitierten. Interventionen, die Feedback zu den von Patient:innen selbst gemessenen Werten durch Leistungserbringende ermöglichtem, führten zu größeren klinischen Effekten, wobei für die Art des Feedbacks (Telefon, SMS, automatisiert oder manuell) kein Unterschied zu beobachten war. Signifikante – jedoch klinisch nicht relevante – Reduktionen des Blutdrucks bei Patient:innen mit Hypertonie konnten festgestellt werden. Der Einsatz von Telemedizin-Anwendungen hatte keinen signifikanten klinischen Effekt auf die LDL- , HDL-c-, Triglycerid- und Total Cholesterol-Werte bei Patient:innen mit Diabetes. Anwendungen, die ausschließlich auf Dyslipidämien ohne Komorbiditäten abstellten, wurden in den eingeschlossenen Reviews und Meta-Analysen nicht untersucht. Die Qualitätsprüfung der eingeschlossenen Übersichtsarbeiten zeigte teils gravierende Mängel insbesondere der Metaanalysen auf. So waren vor allem das Risiko für Verzerrungspotential in den jeweils gepoolten Effektschätzern, vor allem aufgrund fehlender Verblindung sowohl der Studienteilnehmenden als auch der –assessor:innen, und die Heterogenität der verglichenen Interventionen, Studienpopulationen und Interventionsdauern hoch. Forschende auf dem Gebiet der Telemedizin sowie Leistungserbringende und Entscheidungsträger:innen des Gesundheitswesens priorisierten insbesondere die systematische Entwicklung und Evaluation von Implementierungsstrategien, den Zuschnitt von Telemedizin-Anwendungen auf klar definierte Zielgruppen und den Datenschutz als zukünftige Forschungsbedarfe auf dem Gebiet der Telemedizin. Gemeinsam belegen die Ergebnisse die Relevanz theoriegeleitet entwickelter Implementierungsstrategien, die die Nutzer:innenakzeptanz berücksichtigen und die potentiellen Nutzer:innengruppen in den Entwicklungsprozess von Telemedizin-Anwendungen mit einbeziehen. Die klinische Wirksamkeit von Telemedizin-Anwendungen ist zwar für einzelne Krankheitsbilder, insbesondere den Diabetes, nachweisbar, sollte aber anhand methodisch robuster Studiendesigns bestätigt werden, die dem multimodalen Charakter digitaler Interventionen Rechnung tragen. Subgruppenanalysen zur Identifikation von Patient:innengruppen, die besonders vom Einsatz von Telemedizin profitieren sowie die Identifikation von wirksamen Anwendungskomponenten sollten in Evaluationsstudien umgesetzt werden. Das erwartete Potential von Telemedizin-Anwendungen war ursächlich für die Beschleunigung der Zulassung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) im deutschen Gesundheitssystem, die im Jahr 2020 gesetzlich beschlossen wurde und seitdem durch das BfArM in einem Fast Track-Verfahren umgesetzt wird. DiGA entsprechen aufgrund ihrer Zweckbestimmung, einen patient:innenrelevanten Nutzen durch den Einsatz digitaler Anwendungen zu generieren, in weiten Teilen der Telemedizin-Definition und sollen nach einer Testphase von nur einem Jahr in die Regelversorgung übernommen werden. Die Ergebnisse der Promotionsschrift sind somit von Relevanz für die zukünftige Ausgestaltung des BfArM-Fast Tracks zur Zulassung von DiGA.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:86080
Date19 June 2023
CreatorsHarst, Lorenz
ContributorsSchmitt, Jochen, Sedlmayr, Martin, Technische Universität Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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