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Transfereffekte zweier Arbeitsgedächtnistrainings auf die kognitive Kontrolle im Vergleich

Die Motivation zu dieser Arbeit war es, einen Weg zu finden, Ziele, gute Vorsätze und Verhaltensweisen, die zu vermehrtem Wohlbefinden führen, mittels eines AG-Trainings besser realisieren zu können. Die Umsetzung von Zielen oder neuen Verhaltensweisen wird nämlich beständig durch konkurrierende Handlungsalternativen oder unerwünschten Gewohnheiten erschwert. Wie ist es möglich, Absichten auch über längere Zeiträume und im Angesicht verführerischer Alternativen zu verfolgen? Und wie kann man eine schlechte, automatisierte Gewohnheit durch eine neue, förderlichere Denk- und Verhaltensweise oder Emotionsregulation ersetzen?

Die Beschäftigung mit den beiden Modellen Arbeitsgedächtnis (AG) und kognitive Kontrolle erschien dabei äußerst hilfreich. Das Arbeitsgedächtnis nimmt eine zentrale Rolle beim Denken ein. Es beschreibt nicht weniger als all jene Informationen, die dem Bewusstsein gegenwärtig zugänglich sind, und ist damit dem Denken in all seinen Formen innewohnend (Richardson et al., 1996). Aufgabe des AG ist es, Ziele, Absichten und Pläne im Bewusstsein aufrechtzuerhalten, und diese gegenüber konkurrierenden Alternativen abzuschirmen. Ferner werden im AG all jene Informationen verfügbar gehalten, die für das Umsetzen von Zielen nötig sind. Wie der Name schon nahe legt, werden diese handlungsrelevanten Informationen im AG zudem zur Zielerreichung weiterverarbeitet.
Die kognitive Kontrolle (synonyme Bezeichnungen sind auch volitionale Kontrolle oder Exekutivfunktionen (Müsseler, 2008)) beschreibt all jene Prozesse, die für die Planung, Koordination und Kontrolle von Denkabläufen, Handlungen und Emotionen vonnöten sind (Hommel, 2008). Die große Überschneidung der beiden Modelle ist somit klar und manche Theorien vereinigen sie in einer integrativen Theorie der Handlungskontrolle (z.B. Miller and Cohen, 2001).
Eine Verbesserung der AG-Leistung erschien aufgrund der zentralen Rolle für kognitive Kontrollprozesse daher eine geeignete Möglichkeit, dem o.g. Ziel näher zu kommen. Und seit ca. 10 Jahren entwickelt sich ein wachsendes Interesse an AG-Trainings, denn aufgrund seiner elementaren Funktion für das Denken ist das AG Grundlage und Prädiktor einer Vielzahl höherer kognitiver Leistungen. Von einer verbesserten AG-Leistung erhofft man sich daher eine positive Übertragung auf diese Bereiche. Auch rehabilitative Motive sind zahlreich, denn traumatisch- oder erkrankungsbedingte AG-Defizite resultieren in einer verminderten Leistungsfähigkeit dieser Funktionen.
Da bei bisherigen AG-Trainingsstudien eine unzureichende Fundierung durch eine genaue Analyse des AG bemängelt wird (Shipstead et al., 2012), findet eine gründliche Betrachtung der relevanten, kognitionswissenschaftlichen AG-Modelle statt, die um neurowissenschaftliche Ansichten ergänzt wird. Aus den Blickwinkeln beider Disziplinen wird die besondere Rolle der Aufmerksamkeitskontrolle (attentional control oder executive attention) deutlich. Sie ermöglicht den willentlichen Zugang von Informationen in das AG sowie deren Aufrechterhaltung und Abschirmung zur Weiterverarbeitung. Die Aufmerksamkeitskontrolle stellt somit den leistungsdeterminierenden Faktor des AG dar.
Die Analyse der kognitiven Kontrolle erfolgt für das Verständnis der Mechanismen zur Steuerung von Denken, Verhalten und der Emotionsregulation; diese ergibt gleichfalls die entscheidende Funktion von Aufmerksamkeitskontrollprozessen. In dieser Gemeinsamkeit zum AG bildet sich der Erklärungsansatz einer verbesserten kognitiven Kontrolle durch ein AG-Training heraus, wenn dieses auf die Verbesserung der Aufmerksamkeitskontrolle hin ausgerichtet ist. In gegenwärtigen Studien mit computerbasierten AG-Trainings zeigt sich jedoch das vorherrschende Konzept, das AG durch eine zunehmende Gedächtnisbelastung zu trainieren durch Erhöhung zu memorierender Stimuli. Eine genaue Beschreibung des Wirkmechanismus des Trainings bleibt häufig aus oder wird in Analogie zu einem Muskeltraining mit ansteigender Gewichtsbelastung beschrieben, was aufgrund fehlender Übertragbarkeit auf die neuronalen Netzwerke des AG kritisiert wird (Melby-Lervag and Hulme, 2013). Und bei fehlendem klaren Wirkungsmodell werden die Ergebnisse bisheriger computerbasierter Interventionen zudem kontrovers diskutiert (vgl. Morrison and Chein, 2011; Shipstead et al., 2012; Melby-Lervag and Hulme, 2013; Weicker and Thöne-Otto, in preparation). Zur Klärung wurde eine vergleichende Analyse von Studien zur Meditation durchgeführt, was als Alternative zur Verbesserung von AG-Leistungen beschrieben wird (Shipstead et al., 2012). Diese Analyse ergibt gleichfalls die Verbesserung von Aufmerksamkeitskontrolle durch Meditation. Dies bekräftigt weiter das genannte Erklärungsmodell, dass ein AG-Training zu dessen Erfolg auf die Förderung der Aufmerksamkeitskontrolle hin ausgerichtet sein muss.

In der vorliegenden Arbeit wurde ein interferenzbasiertes AG-Training zur Aufmerksamkeitskontrollförderung (Interferenzen = Störinformationen) mit einem üblichen, gedächtnisbasierten AG-Training verglichen (die ursprüngliche Interpretation wurde adaptiert, s. Kap 1). Die zwei Trainingsgruppen sowie eine passive Kontrollgruppe wurden in ihren Leistungen in einem 3x2 faktoriellen Design mit Testzeitpunkten vor und nach dem Training verglichen (bzw. gleichlangem Zeitintervall für die Kontrollgruppe). Hirnleistungstests zu den Bereichen Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit, kognitive Kontrolle, Gedächtnis, Intelligenz und Depressivität fanden dazu Verwendung. Im Anschluss an die Nachtestung gab es für die Trainingsteilnehmer einen Fragebogen zur Trainingsevaluation. Die Studie wurde randomisiert, kontrolliert und doppelverblindet durchgeführt (Kontrollgruppe einfach verblindet), mit 58 in die Datenanalyse eingeschlossenen Probanden.

Beide Trainingsgruppen konnten ihre Leistungen in der Trainingsaufgabe geringfügig, aber signifikant steigern, was Erklärungsgrundlage möglicher Transfereffekte sein könnte. Zu deren Überprüfung wurden für jeden Test Varianzanalysen mit Messwiederholungen gerechnet. Der Testzeitpunkt (Nachuntersuchung versus Voruntersuchung) wurde als Innersubjektfaktor und die Untersuchungsbedingung als Zwischensubjektfaktor gesetzt. Beim AG zeigte sich bei einem Test in drei von vier Maßen eine spezifische Verbesserung der Gruppe vom interferenzbasierten AG-Training. Dabei ist unklar, ob diese auf Bodeneffekten der beiden anderen Gruppen oder der Intervention beruhen. Die Maße zur Aufmerksamkeit, kognitiven Kontrolle und zum Gedächtnis zeigten keine trainingsspezifischen Verbesserungen. Beim Test für fluide Intelligenz verbesserten sich im Einzelgruppenvergleich beide Interventionsgruppen, wobei die Gruppe vom interferenzbasierten AG-Training die höhere Signifikanz und Effektstärke aufwies.
Bei der großen Gesamtzahl von Tests mit mehrfach durchgeführten Signifikanztests für dieselbe Stichprobe ist die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler 1. Art insgesamt zu groß, um einzelne Verbesserungen als sicheren Beleg annehmen zu können.

Die vergleichende Betrachtung einer Studie mit sehr ähnlichem, interferenzbasierten Training macht deutlich, dass auch bei optimierter Trainingsbeanspruchung und Softwareumsetzung (während des Trainings traten technische Störungen auf und die Trainingsevaluation ergab eine nur mittelmäßige Beanspruchung durch die Trainingsgestaltung) kein Effekt durch die verwendete Aufgabe zu erwarten ist. In der genannten Studie konnten trotz hoher Teststärke und deutlicherem Trainingsgewinn ebenfalls keinerlei Transfereffekte erzielt werden (Redick et al., 2013).
Ein Vergleich der Trainingsaufgabe mit der Vorgehensweise bei der Meditation, welche in Trainingsstudien positive Effekte auf die AG-Leistung vorweist, (Tang and Posner, 2009; Jha et al., 2010; Zeidan et al., 2010; van Vugt and Jha, 2011), erklärt, warum die Trainingsaufgabe nicht optimal ist: bei der Meditation wird im Gegensatz zum interferenzbasierten Training die Aufmerksamkeitskontrolle ohne künstlich eingebrachte Interferenzen trainiert.
Bei der vergleichenden Betrachtung von Meditation fällt ein weiterer Vorteil gegenüber dem IB-AGT auf: während beim IB-AGT Interferenzen starr ausgeblendet werden sollten, kann durch das Trainieren einer balancierten Aufmerksamkeitskontrolle in der Meditation, bei der Interferenzen weder nachgegangen wird noch komplett unterdrückt werden (Andersson-Reuster, 2009; Mingyur, 2007; Wallace, 2007), eine nachhaltig-dosierte Kontrolle zur Zielaufrechterhaltung ohne unerwünschte Impulsivität und zugleich eine für Rückmeldungen und Adaptivität offene Lernfähigkeit erreicht werden.

Für zukünftige Studien folgt daher die Empfehlung, mögliche Transfereffekte moderiert durch verbesserte Aufmerksamkeitskontrolle von Meditationstrainings auf die kognitive Kontrolle zu untersuchen.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:15-qucosa-156232
Date24 November 2014
CreatorsBenk, Falco
ContributorsUniversität Leipzig, Medizinische Fakultät, Professor Arno Villringer, Doktor Angelika Thöne Otto, Professor Hermann Josef Gertz, Professor Steffi G Riedel Heller
PublisherUniversitätsbibliothek Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
Languagedeu
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/pdf, application/pdf, application/zip

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