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Übergabe von hochautomatisiertem Fahren zu manueller Steuerung: Teil 1: Review der Literatur und Studie zu Übernahmezeiten: Forschungsbericht

Fahrzeuge in denen der Fahrer Teilstrecken automatisiert fahren kann und die Fahrt nicht mehr überwachen muss befinden sich derzeit bei vielen Automobilherstellern in der Entwicklung. Wenn diese hochautomatisierten Fahrzeuge Systemgrenzen erreichen muss die manuelle Steuerung an den Fahrer zurückgegeben werden. Hierzu ist es notwendig dem Fahrer einen ausreichenden Zeitraum für die Übernahme der manuellen Kontrolle über das Fahrzeug zur Verfügung zu stellen, damit die Übernahme sicher und komfortabel ablaufen kann. Um die notwendige Dauer für eine sichere Übernahme der manuellen Steuerung durch einen Fahrer zu ermitteln wurden zunächst relevante Konzepte der Automationspsychologie vorgestellt und auf den Kontext im Fahrzeug angewendet. Anschließend wurde eine Analyse der bislang veröffentlichten Studien zu der Dauer der Übernahme der Steuerung aus einer hochautomatisierten Fahrt durchgeführt um erste Hinweise auf eine realistische Übernahmezeit zu erhalten. Aufbauend auf der Analyse der Literatur und Interviews mit Automobilherstellern und Zulieferern wurden unterschiedlich komplexe Übernahmeszenarien und Nebenaufgaben entwickelt, die für zukünftige automatisierte Fahrzeuge realistisch und relevant sind. Diese Übernahmeszenarien und Nebenaufgaben wurden in einem statischen Fahrsimulator umgesetzt und mit N = 60 Probanden im Alter von 20 bis 76 (M = 36.0, SD = 15.2) Jahren getestet. Probanden waren nach einer hochautomatisierten Fahrt von ca. 5 Minuten, während der sie durch ein motivierendes Spiel auf einem in den Händen gehaltenen Tablet-PC stark abgelenkt waren, grundsätzlich in der Lage die manuelle Steuerung über das Fahrzeug wieder zu übernehmen. Diese Nebenaufgabe wurde verglichen mit einer vollständig manuellen Fahrt, in der dem Fahrer an der Stelle der Übernahmeaufforderung ein Warnton ausgegeben wurde, mit einer automatisierten Fahrt mit einer anderen Aufgabe auf einem Tablet-PC sowie mit einer vom Fahrer überwachten automatisierten Fahrt. Es zeigte sich, dass 90% der Fahrer nach einer Fahrt mit hoher Ablenkung nach 3-4 Sekunden das erste Mal den Blick wieder auf die Straße gerichtet haben, nach 6-7 Sekunden die Hände wieder am Lenkrad und die Füße an den Pedalen haben und nach 7-8 Sekunden die Automation abschalten. Untersucht man allerdings als Indikatoren des Situationsbewusstseins für die Fahrsituation den ersten Blick in den Spiegel und den Blick auf die Geschwindigkeitsanzeige, werden 12-15 Sekunden benötigt. Diese Reaktionen, die zum Verständnis der aktuellen Verkehrssituation notwendig sind, sind damit um bis zu 5 Sekunden verzögert im Vergleich zu der gleichen Situation bei einer manuellen Fahrt. Bei einzelnen Fahrern traten nach der Übernahme von der Automation Kollisionen oder kritische Fahrsituationen auf, was allerdings auch in der rein manuellen Fahrt in ähnlichem Umfang der Fall war. Diese Situationen hätten durch entsprechende Assistenzfunktionen verhindert werden können, die auch nach der Übergabe der Steuerung an den Fahrer aktiv bleiben und den Fahrer gerade in dieser Situation weiter besonders unterstützen. Weitere Reaktionszeiten und Fahrdaten wurden analysiert um ein vollständigeres Bild von dem Ablauf der Übernahmesituation zu erhalten. Veränderungen der Reaktionszeiten in realen Fahrten im Vergleich zu einer Fahrt im Simulator sind nicht auszuschließen. Noch offen ist außerdem, ob für Fahrer längere automatisierte Fahrten, Müdigkeit, oder noch stärker involvierende Nebentätigkeiten während der automatisierten Fahrt längere Übernahme- und Reaktionszeiten zur Folge gehabt hätten. Einige dieser offenen Fragen sollen als nächstes in einer geplanten Fahrsimulations-Studie adressiert werden. Soll aus der Einführung von Automation im Fahrzeug nicht nur ein Gewinn an Komfort, sondern auch ein Gewinn an Sicherheit im Vergleich zum manuellen Fahren entstehen, so muss der Fahrer in Übernahmesituationen nicht nur durch eine ausreichende Vorwarnzeit unterstützt werden. / Many automotive OEMs are currently developing automated driving functions that no longer require driver supervision in certain driving environments. If system boundaries are reached the driver has to retake manual control. The system needs to provide a sufficient period of time in which the driver can safely and comfortably regain control over the vehicle. To determine a period of time for such a transition, relevant concepts from the field of automation psychology were presented and applied to the automotive context. Additionally an analysis of existent studies concerning take-over transition times from highly automated driving to manual driving was carried out to gain first insights into the time required for this transition. Building on the analysis of the literature and based on interviews that were conducted with automotive OEMs and suppliers, complex take-over scenarios and secondary tasks were developed which represent realistic and relevant conditions for future automated cars. These scenarios and secondary tasks were implemented in a static driving simulator and tested with N = 60 test drivers aged 20 to 76 (M = 36.0, SD = 15.2) years. After an automated drive of approx. 5 minutes, during which the drivers were distracted by motivating game on a handheld tablet-pc, the drivers were generally able to regain manual control over the vehicle. This secondary task was compared to a manual drive, in which the take-over request was substituted by an auditory warning, to an automated drive, in which a different task was presented on a tablet-pc, as well as to an automated drive, in which the participants supervised the automation. It could be shown, that after a highly distracted drive 90% of the participants first had their eyes on the road after 3-4 seconds, had their hands on the steering wheel and their feet on the pedals after 6-7 seconds and disengaged the automation after 7-8 seconds. When analyzing the times taken to look at the side mirror and the speedometer as indicators of situation awareness during this driving situation, 12-15 seconds are needed. These reactions, which are necessary for the comprehension of the traffic situation, are therefore up to 5 seconds slower for the distracted automated driving compared to manual driving. For some automated drives collisions and critical situations were recorded, although they were comparably frequent in the manual drive condition. These critical situations might have been avoided through the use of suitable driver assistance systems that stay active and support the driver after the driver has disengaged the automation. Additional reaction times and driving data was analyzed to gain further insights into the process of the take-over transition process. Driving in a real world scenario may change the reaction times compared to driving in a simulator. Also, the effects of longer automated drives, sleepiness and more immersive secondary tasks on take-over process and reaction times are not yet clear. Some of these issues will be addressed in a planned simulator study. If there is to be a gain not only in comfort but in safety for automated driving compared to manual driving, drivers need to be not only sufficiently forewarned before takeover situations, but must additionally be supported by suitable assistance systems before, during and after the transition to manual driving.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:74680
Date28 April 2021
CreatorsGesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
PublisherGesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:book, info:eu-repo/semantics/book, doc-type:Text
SourceForschungsberichte / Unfallforschung der Versicherer, GDV
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relationurn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-746296, qucosa:74629

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