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Fahrscheinfrei im ÖPNV

Der öffentliche Personennahverkehr ist ein im Gesetz verankertes Instrument. Nach § 1 Absatz 1 des Regionalisierungsgesetzes (RegG) muss dieser eine Daseinsvorsorge sicherstellen, indem der Verkehrsbetrieb nach dem Personenbeförderungsgesetz zum Betrieb, zur Beförderung von Fahrgästen und zur Tarifgleichheit verpflichtet wird. Über Fahrscheine kann sich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) nicht eigenfinanzieren und benötigt daher Zuschüsse von Bund und Land über verschiedene Stränge, um die Betriebskosten zu decken.
Mit zunehmendem Umweltbewusstsein ist die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV ein großes Ziel, um mehr Fahrgäste zu gewinnen und resultierend eine Reduzierung des Motorisierten Individualverkehrs- (MIV) und Gesamtverkehrsaufkommens zu erzielen. Eine Variante ist die Einführung eines fahrscheinfreien ÖPNV, welcher durch den kommunalen Haushalt oder über eine Nahverkehrsabgabe finanziert werden kann. Dieses Instrument birgt viele Vor- und Nachteile, die sich je nach Gemeinde anders auswirken und so die Verkehrsverlagerung positiv oder negativ beeinflussen. Eine effiziente Umsetzung kann jedoch nur durch eine integrierte Gesamtheitsbetrachtung mit Pull- und Push-Faktoren geschehen, die auf der einen Seite den ÖPNV attraktiver gestalten und auf der anderen Seite die Nutzer des MIV zum Umstieg drängen.
Die belgische Stadt Hasselt und die Stadt Templin im Norden Brandenburgs sind Beispiele für den Betrieb eines fahrscheinfreien ÖPNV. In beiden Städten war der MIV-Anteil vor der Einführung besonders hoch, während es nur ein geringes ÖPNV-Angebot gab, das zudem kaum genutzt wurde. Nach der Einführung konnte in beiden Städten ein immenser Anstieg der Fahrgastzahlen beobachtet werden. Unterschiede gibt es in der Ausführung. In Hasselt wurden die Möglichkeiten des MIV durch Einfahrverbote und Parkraumabschaffung in der Innenstadt stark eingeschränkt, sodass nicht der Anreiz des kostenlosen ÖPNV allein den Wechsel vom Pkw zum Bus bewirkte. Solche Zwänge wurden in Templin hingegen nicht angewandt. In beiden Städten resultierte der Anstieg der Fahrgastzahlen weniger aus wechselnden Pkw-Fahrenden, sondern durch häufigeres Fahren von bereits den ÖPNV nutzenden Personen und Umsteigen des nichtmotorisierten Individualverkehrs. Insgesamt sind in beiden Städten die Lebensqualität und die Einnahmen durch Tourismus und Steuern gestiegen.
Sowohl in Hasselt als auch in Templin kann der kostenlose ÖPNV derzeit aus finanziellen Gründen in seinen Grundzügen nicht mehr durchgeführt werden. Diese und aktuelle Beispiele, wie die südfranzösische Stadt Aubagne und die estnische Hauptstadt Tallinn zeigen jedoch, dass eine Durchführung des Systems prinzipiell möglich ist. Demzufolge hat das Thema an Aktualität nicht eingebüßt, wie Diskussionen in Erfurt, Tübingen und weiteren deutschen Städten zeigen. Um bei zukünftigen Projekten einen dauerhaften fahrscheinfreien ÖPNV garantieren zu können, ist neben einer starken politischen Überzeugung vor allem eine speziell auf die jeweilige Stadt ausgerichtete Anpassung an die spezifischen Voraussetzungen notwendig.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:87094
Date13 September 2023
CreatorsGehrke, Marvin, Groß, Stefan
PublisherTechnische Universität Berlin
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:workingPaper, info:eu-repo/semantics/workingPaper, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relationurn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-876334, qucosa:87633, 2826257-8

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