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Effekte der transkraniellen Gleichstromstimulation auf das motorische Lernen bei Personen mit chronisch progredienter Multipler Sklerose

In einer doppelt verblindeten Studie untersuchten wir über mehrere Trainingssitzungen hinweg den Einfluss von transkranieller Gleichstromstimulation auf das motorische Lernen bei Personen mit progredienter Multipler Sklerose (PMS).
Motorisches Lernen wurde dabei anhand eines Paradigmas gemessen, welches die Ausführung von aus fünf Elementen bestehenden Fingerbewegungssequenzen umfasst. Diese sollten dabei mit den Fingern der rechten Hand auf einer Tastatur so schnell und fehlerfrei wie möglich eingegeben werden. Die Teilnehmenden übten die Ausführung von zwei unterschiedlichen Sequenzen in Trainingseinheiten an den Tagen eins, drei und fünf. An Tag acht stellten sie ihr erreichtes Können in einem finalen Test unter Beweis. Die 3 Trainingseinheiten bestanden dabei aus je 14 Blöcken zu jeweils 60 Tastenanschlägen. Da eine Sequenz aus jeweils 5 Elementen bestand konnten somit im
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Optimalfall pro Block 12 korrekt ausgeführte Sequenzen eingegeben werden. Der finale Test bestand aus nur vier Blöcken der Trainingsaufgabe.
Jeweils im Anschluss an jede der drei Trainingseinheiten erfolgte die Applikation der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) oder einer Scheinstimulation (englisch: sham tDCS). Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation handelt es sich um eine Form der nicht-invasiven Hirnstimulation. Sie zeichnet sich neben einer guten Verträglichkeit und vergleichsweise einfachen Anwendbarkeit dadurch aus, dass sie die Erregbarkeit des Kortex verändern und über diesen Weg Lernprozesse und die Induktion von Plastizität des Kortex beeinflussen kann. Die Stimulation in der vorliegenden Studie erfolgte für 15 min mit der Anode über dem linken (trainierten) primären Motorcortex (M1) und der Kathode supraorbital auf der gegenüberliegenden Seite. Alle Teilnehmenden absolvierten einen Durchlauf, bestehend aus den drei Trainingseinheiten und dem finalen Test, mit aktiver-tDCS sowie einen weiteren Durchlauf mit der Scheinstimulation. Zwischen den beiden Abschnitten lagen jeweils mindestens 4 Wochen, wobei die Verteilung der Startmodalität doppelt verblindet und balanciert auf die Teilnehmenden erfolgte. Die beiden unterschiedlichen Sequenzen wurden balanciert auf die beiden Durchläufe verteilt.
Die Studienpopulation bestand aus 16 Personen im Alter zwischen 33 und 64 Jahren (Mittelwert ± Standardabweichug 51,19 ± 10,56 Jahre). Sechs der teilnehmenden Personen waren weiblich, die Übrigen männlich. Merkliche Unterschiede innerhalb der Studienpopulation bestanden in der bisherigen Krankheitsdauer der PMS, die zwischen einem und 32 Jahren lag (13,13 ± 9,57 Jahre). Alle Teilnehmenden erhielten eine neurologische Untersuchung und wurden mit Hilfe der Expanded Disability Status Scale (EDSS) hinsichtlich ihrer Krankheitsschwere eingeordnet. Die Untersuchungen führten zu Werten zwischen 1,5 und 6,0 (4,38 ± 1,37). Zur Beobachtung der Gehgeschwindigkeit, der Feinmotorik und der kognitiven Auffassungsgabe über die beiden Versuchsabschnitte, wurden an den Tagen eins und acht ein Multiple Sclerosis Functional Composite (MSFC) bestehend aus dem Timed 25 Foot Walk (T25W) und dem Nine Hole Peg Test (9HPT) sowie ein gesprochener Symbol Digit Modalities Test (SDMT) durchgeführt.
Die Quantifizierung der motorischen Leistungen erfolgte durch Betrachtung der Geschwindigkeit, konkret der durchschnittlichen Zeit pro Block, die zur korrekten Eingabe einer Sequenz notwendig war, sowie der Genauigkeit, gemessen an der Anzahl an richtig eingegebenen Sequenzen pro Block.
Alle 16 Teilnehmenden absolvierten alle Trainingseinheiten und beide finalen Tests.
Die Ergebnisse der Fragebögen und Funktionstests der Teilnehmenden zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen dem aktive-tDCS- und Scheinstimulationsabschnitt (alle p > 0.26). Die Verblindung der Teilnehmenden hinsichtlich der aktiven bzw. Scheinstimulation erfolgte zufriedenstellend, da bei einer Befragung am Ende der Studie nur die Hälfte aller Teilnehmenden
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korrekt zuordnen konnten, welche der Interventionen sie bei der ersten und zweiten Trainingsreihe erhalten hatten.
Die Datenanalyse erfolgte mittels Messwiederholungs-Varianzanalysen (ANOVA) unter Berücksichtigung der Innersubjekt-Faktoren Intervention (aktive-tDCS, Scheinstimulation), Block (B1, B2..., B14) und Trainingssitzung (T1, T2, T3).
Hinsichtlich des primären Endpunkts (Sequenz-Performanz an Tag 8, finaler Test) ergab sich für den Faktor Intervention (akive tDCS vs. sham tDCS) kein signifikanter Unterschied bei der Geschwindigkeit (F(1,15) = 0.974, p = 0.339) oder der Genauigkeit (F(1,15 = 0.622, p = 0.443). Das bedeutet, dass unabhängig von der tDCS Intervention bei beiden Durchgängen das erreichte Leistungsniveau nicht signifikant unterschiedlich war.
Über die drei vorherigen Trainingssitzungen hinweg ergaben sich bezüglich der Geschwindigkeit signifikante Haupteffekte für die Faktoren Trainingssitzung (F(1.3,19,4) = 32.054, p < 0.001) und Block (F(2.5,37.6) = 5.039, p < 0.007). Auch für die Genauigkeit der Sequenzausführung zeigte sich ein signifikanter Effekt für den Faktor Training (F(1.3,19.7)=10.385, p=0.002).
Diese waren getrieben durch eine Zunahme der Geschwindigkeit sowohl während der einzelnen Trainings als auch von einer Trainingsitzung zur nächsten Sitzung. Während die Genauigkeit der Sequenzausführung sich nicht innerhalb einer Trainingssitzung sondern nur über die 3 Trainingssitzungen hinweg bzw. offline zwischen diesen besserte. Die Messwiederholungs ANOVA zeigte über die drei Trainingssitzungen hinweg bezogen auf die Geschwindigkeit, jedoch keinen signifikanten Effekt für den Faktor Intervention (F(1,15) = 0.670, p = 0.426) und auch keine signifikante Interaktion mit den beiden anderen Faktoren (beide p ≥ 0.563). Ebenso bezogen auf die Genauigkeit der Sequenzausführung zeigte sich kein Effekt des Faktors Intervention (F(1,15) = 1.000, p = 0.333) und ebenfalls keine signifikante Interaktion mit den anderen Faktoren (alle p ≥ 0.433).
Dies zeigt, dass die teilnehmenden Personen mit PMS in der Lage waren, die Ausführung der Aufgabe signifikant im Verlauf der wiederholten Trainingssitzungen zu verbessern. Es ergaben sich jedoch auch hier keine Hinweise dafür, dass die offline tDCS einen Einfluss auf die Leistungsparameter der motorischen Aufgabe, genauer die Geschwindigkeit oder die Genauigkeit, hatte.
Die Berechnung der Konsolidierung erfolgte als Differenz zwischen der durchschnittlichen Geschwindigkeit oder Genauigkeit der Sequenzausführung in den ersten zwei Blöcken eines Trainings und der durchschnittlichen Geschwindigkeit oder Genauigkeit der Sequenzausfühunrg in den letzten zwei Blöcken am Ende des vorangegangenen Trainings. Die Differenz wurde dabei so berechnet, dass positive Werte eine Verbesserung anzeigten, während negative Konsolidierungswerte eine Verschlechterung der Sequenzausführung im Vergleich mit der
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Performanz am Ende der vorangegangenen Sitzung bedeuteten. Eine Messwiederholungs ANOVA mit den Faktoren Intervention und Training für diese Konsolidierungswerte ergab weder bezogen auf die Geschwindigkeit noch auf die Genauigkeit signifikante Werte (alle p ≥ 0.275). Dies zeigt, dass die tDCS nicht in der Lage war die offline Konsolidierung signifikant zu beeinflussen. Des weiteren spricht das Fehlen eines signifikanten Haupteffektes des Faktors Trainingssitzung dafür, dass der Erfolg bei der Konsolidierung nach jeder einzelnen Session vergleichbar war und sich nicht über die Zeit änderte.
In Zusammenschau zeigen diese Ergebnisse, dass Personen mit PMS trotz ihrer krankheitsbedingten funktionellen Einschränkungen in der Lage sind, die Ausführung einer motorischen Sequenzlernaufgabe durch wiederholtes Üben signifikant zu verbessern. Hinsichtlich der Frage, ob motorisches Lernen durch offline-tDCS bei Personen mit PMS relevant unterstützt werden kann, zeigen die Ergebnisse, dass die tDCS keinen relevanten zusätzlichen Nutzen, weder auf die Fähigkeit, neue motorische Fertigkeiten online zu verbessern noch diese offline zu konsolidieren, hatte.
Ziel zukünftiger Forschung sollte es sein, den zugrunde liegenden Mechanismus des fehlenden Ansprechens bei PMS auf tDCS genauer zu untersuchen, um so die Möglichkeit für die nächsten Schritte in Richtung neuer therapeutischer Optionen zu schaffen.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:86010
Date13 June 2023
CreatorsSeelmann-Eggebert, Harald
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman, English
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relation10.1155/2021/6696341, 10.1155/2021/6696341

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