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Vergleich von offen-operativer, perkutan-operativer und nicht-operativer Behandlung bei geriatrischen, gering dislozierten Acetabulumfrakturen - eine Registerstudie

Aufgrund des demographischen Wandels und der zunehmenden Mobilität im Alter stieg der Anteil der geriatrischen Patientinnen bei den Acetabulumfrakturen in den letzten Jahren rasant an. Die optimale Therapie für geriatrische Acetabulumfrakturen bleibt jedoch weiterhin kontrovers. Vorrangiges Ziel bei der Behandlung älterer Menschen ist die frühzeitige und langfristige Mobilisation. Voraussetzung dafür ist eine primäre Gelenkstabilität. Gering dislozierte Frakturen können als stabil angesehen und zumeist konservativ behandelt werden. Aufgrund der begrenzten Fähigkeit zur Teilbelastung im Alter ist bei konservativer Therapie jedoch mit einer verlängerten Immobilisation und deren Komplikationen zu rechnen. Durch operative Reposition und Fixation der Fraktur kann eine frühzeitige Gelenkstabilität und damit Mobilisation erreicht werden. Dies könnte dazu verleiten, operative Verfahren zu favorisieren. Multimorbidität und verringerte physiologische Reserven schränken die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs im Alter jedoch ein. Operationen können dabei unterschiedlich invasiv erfolgen. Offen-operative Verfahren erfordern eine hohe Invasivität. Perkutane Verfahren ermöglichen eine primäre Gelenkstabilität bei gleichzeitig geringerer Invasivität, lassen jedoch Einbußen bei der Qualität der Reposition erwarten. Der Vorteil primärer Stabilität ist gegen die potenziellen Komplikationen eines chirurgischen Eingriffs abzuwägen.
Ein Vergleich von offen operativer, perkutan operativer und konservativer Behandlung bei geriatrischen, gering dislozierten Acetabulumfrakturen anhand eines Datensatzes ist bislang noch nicht erfolgt. Primäres Ziel dieser Studie war daher, den Einfluss der drei Therapieformen auf die Komplikationsrate und die Qualität der Reposition bei geriatrischen, gering-dislozierten Acetabulumfrakturen anhand eines Datensatzes zu vergleichen. Für diese Arbeit wurden die Daten des prospektiven „Beckenregisters“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie zum Thema Acetabulumfrakturen, im Rahmen einer retrospektiven, multizentrischen Registerstudie, zwischen Juli 2008 und März 2018 ausgewertet (n=3432). In die Studie eingeschlossen wurden Patient*innen im Alter von ≥ 60 Jahren, die eine gering dislozierte Acetabulumfraktur mit einem prätherapeutischen Frakturspalt und einer -stufe von maximal 5mm aufwiesen. Ausgeschlossen wurden Patient*innen bei gleichzeitigem Vorliegen einer Beckenringfraktur Typ B/C (Tile Klassifikation) sowie gleichzeitiger Os Sacrum Fraktur, bei bilateralen, periprothetischen oder metastasenbedingten Frakturen, primärer Versorgung mittels Totalendoprothetik oder fehlender Information zur primären Versorgungsart. Die insgesamt 608 verbliebenen Patient*innen wurden, je nach erhaltener Therapie, in drei Gruppen eingeteilt: in die konservative (n=429), offen-operative (n=117) oder perkutan-operative (n=62) Gruppe. Für die statistische Auswertung wurden die Programme Microsoft Excel (Microsoft Corporation, Redmond, USA) und SPSS 24.0 (SPSS Inc., Chicago, IL, USA) verwendet. Nominal skalierte Variablen wurden mittels Pearson Chi-Quadrat-Test analysiert, metrische Variablen mittels Kruskal-Wallis-Test mit Dunn-Bonferroni-Korrektur (3 Gruppen) oder Mann-Whitney-U-Test/ t-Test (2 Gruppen). Das Signifikanzniveau wurde auf p<0,05 festgelegt.
Das Durchschnittsalter der Patient*innen zum Zeitpunkt des Traumas lag bei 77,3 Jahren (60-100 Jahre). Konservativ behandelte Patient*innen waren signifikant älter als operativ behandelte Patient*innen. Mehrheitlich betrafen die Frakturen, wie für ältere Menschen typisch, den vorderen Bereich des Acetabulums. Mit 31,4% traten isolierte Vordere-Pfeiler-Frakturen am häufigsten auf, gefolgt von Frakturen des vorderen Pfeilers mit Hemiquerfraktur (20,2%).
Die Dauer des Krankenhausaufenthalts betrug bei den konservativ behandelten Patient*innen durchschnittlich 12,9 Tage. Damit erfolgte ihre Entlassung signifikant früher als nach perkutaner (16,8 Tage) und offener Therapie (23,6 Tage). Sowohl die OP-Dauer als auch der intraoperative Blutverlust konnten durch einen minimalinvasiven Eingriff signifikant verringert werden.
Bei ca. 11% der Patient*innen traten stationäre Komplikationen auf. Trotz chirurgischen Vorgehens zeigten perkutane Verfahren keine signifikant höhere stationäre Komplikationsrate als konservative Verfahren. Nach offen-operativer Therapie lag die Komplikationsrate jedoch signifikant höher als nach perkutan-operativer oder konservativer Behandlung. Da auch der Krankenhausaufenthalt und somit das Follow-Up nach offener Therapie länger war als nach perkutan/ konservativer Therapie, erfolgte zusätzlich eine partielle Korrelation, um den Effekt der Krankenhausverweildauer auf den Zusammenhang zwischen Therapieform und Komplikationsrate zu analysieren. Nach Adjustierung zeigte sich der Unterschied in der Komplikationsrate nicht mehr signifikant. Ob sich der Krankenhausaufenthalt dabei durch die Komplikationen nach offener Therapie verlängerte, oder die Komplikationen durch den längeren Krankenhausaufenthalt entstanden, konnte durch die Registerdaten nicht abgegrenzt werden.
Sowohl perkutane als auch offene Operationen ermöglichten eine signifikante Reduktion von Frakturspalt und Frakturstufe. Interessanterweise zeigten beide operative Therapien bezüglich der Qualität der Reposition vergleichbare Ergebnisse
Damit bieten perkutane Methoden beides: die Möglichkeit einer anatomischen Frakturreposition mit primärer Gelenkstabilität bei gleichzeitig geringer Invasivität und niedriger stationärer Komplikationsrate. Eine offen-operative Therapie wiederum bietet vergleichbare Ergebnisse bei der Qualität der Reposition, ist jedoch mit einem verlängerten Krankenhausaufenthalt, höherem Blutverlust und OP-Dauer und einer höheren Rate stationärer Komplikationen assoziiert. Für die konservative Therapie hebt diese Studie die Vorteile einer kurzen Krankenhausverweildauer und einer niedrigen Komplikationsrate hervor.
Im Rahmen dieser Studie konnten neue Erkenntnisse bezüglich des Repositionsergebnisses und der Komplikationsrate nach konservativer, perkutan- und offen-operativer Behandlung geriatrischer, gering-dislozierter Acetabulumfrakturen gewonnen werden. Dieses Wissen soll zur Optimierung der Therapieentscheidung bei Acetabulumfrakturen alterstraumatologischer Patient*innen beitragen. Unter Berücksichtigung zukünftiger Forschungsergebnisse sollten diese Ergebnisse bei der Erstellung einheitlicher Behandlungsstrategien Berücksichtigung finden.
Insbesondere könnte, entsprechend den Erkenntnissen dieser Studie, eine Ausweitung perkutan-operativer Verfahren bei geriatrischen Acetabulumfrakturen in Erwägung gezogen werden, da sie gleichzeitig primäre Stabilität und eine geringe Invasivität gewährleisten. Aktuell werden perkutane Operationen bei Acetabulumfrakturen im klinischen Alltag noch zurückhaltend angewendet, da sie als komplex und für Chirurg*innen herausfordernd gelten. Gleichzeitig wird gerade im Bereich perkutaner Methoden und insbesondere auch der Visualisierungstechniken viel geforscht, was ihre Anwendung in Zukunft erleichtern kann.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:90716
Date03 April 2024
CreatorsErnstberger, Helene
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relation10.1007/s00068-020-01346-9

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