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Erfassung mutagener Effekte zweier Zementstäube an primären oropharyngealen Epithelzellen im Mikronukleus-Assay

In zahlreichen epidemiologischen Studien konnte ein Zusammenhang zwischen der Exposition von Zementstäuben mit einem erhöhten Risiko für Kopf-Hals-Tumore (HNSCC), insbesondere Larynxkarzinomen, gesehen werden. Das Risiko steigt, wenn die exponierten Personen rauchen (Dietz et al., 2004; Dietz et al., 1995).
Andere epidemiologische Untersuchungen konnten keine gesundheitsschädlichen Effekte von Zementstaub nachweisen (Cauvin et al., 1990; Fell et al., 2003). Insbesondere Vestbo et al. (1991) konnten in ihrer Kohortenstudie kein erhöhtes Risiko für Larynx- oder Magenkarzinome bei Zementarbeitern ermitteln.
Dies zeigt die Schwierigkeit bei Kohortenstudien. Meist können von den Probanden keine genauen Angaben bezüglich des genauen Expositionszeitraumes sowie auch der Konzentration der zu untersuchenden Substanz gemacht werden. Es müssen zudem geeignete Kontrollgruppen gefunden und andere schädliche Faktoren, wie insbesondere der Nikotinkonsum, herausgerechnet werden. Gerade bei in geringer Prävalenz auftretenden Erkrankungen wie bspw. Kehlkopfkrebs erweist sich die zu fordernde Fallzahl im Kontext der erforderlichen Nachbeobachtungszeit als prohibitiv bezüglich Durchführung von Kohortenstudien mit hinreichender Power, so dass Fall-Kontroll-Studien Vorteile bieten.
Um den Nachweis einer kausalen Beteiligung aus epidemiologischen Untersuchungen bekannter mit dem Auftreten von Erkrankungen wie bspw. Kehlkopfkrebs zu führen ist es wichtig, In-vitro-Untersuchungen durchzuführen, wie diese hier gezeigte zur mutagenen Wirkungen von Zementstäuben auf primäre humane Zellen. Davon existieren bislang jedoch nur wenige. Zudem beruhen die meisten dieser Studien auf Versuchen mit Leukozyten oder immortalisierten Krebszelllinien, welche unserer Ansicht nach nicht mit physiologischen Epithelzellen vergleichbar sind. Daher war es das Ziel dieser Studie nachzuweisen, dass Zementstäube DNS-Schäden und Mutationen an primären humanen Epithelzellen verursachen können. Wie eingangs beschrieben, sind Mikronuklei (MN) ein verläßlicher Indikator für DNS-Schäden. Für die Studie etablierten wir einen modifizierten, OECD-konformen Mikronukleus-Assay unter Verwendung primärer oropharyngealer Epithelzellen. Diese wurden im Rahmen von Biopsien von 52 Patienten gewonnen. Die Proben wurden unverzüglich in Behälter mit 10 ml Zellkulturmedium 1, einem Phenolrot- and Flavin-freien RPMI 1640 mit 10% Kalbsserum, Nystatin, Penicillin sowie Streptomycin transferiert und im Anschluss im Labor sofort unter Flavin-schützenden Bedingungen (FLAVINO-Assay, Dietz, 2009) bearbeitet. Die Proben wurden zerkleinert und über Nacht bei 4°C in sehr niedrig konzentriertem Trypsin/EDTA zum enzymatischen Zerfall gegeben. Nachdem sie mittels 5-min Zentrifugation bei 300 x g gewaschen wurden, wurden die Pellets mit Medium 1 wieder aufgefüllt. Die Epithelzellen wurden in Fibronektin-beschichtete Gewebekulturschalen gegeben und bei 36.5°C, 3.5% CO2 in einer luftbefeuchteten Umgebung kultiviert, bis ein ausreichendes Wachstum zu sehen war. Anschließend wurde Medium 1 sukzessive durch Medium 2 ersetzt und die Zellen für 2 -4 Wochen darin gezüchtet. Dann wurden die Zellen in 24-well Microtiter-Platten transferiert, 3 Tage inkubiert und im Anschluss mit den Testsubstanzen versehen. Als Testsubstanzen fungierten zum einen Medium 1 als Negativkontrolle (sNC), 2 Zementstäube (Zement H und G1) in unterschiedlichen Konzentrationen, Quartz DQ12 (SiO2) und Titan-IV-Oxid (TiO2) als Partikel-Positiv- bzw. Negativkontrolle (pPC bzw. pNC) sowie Mitomycin C als Positivkontrolle (sPC). Nach 24 Stunden erfolgte der Zytokinese-Block mit Cytochalasin B, nach weiteren 24 Stunden wurden die Zellen mit Ethanol fixiert und die DNS mit DAPI gefärbt. 2 unabhängige Untersucher zählten unter dem Fluoreszenzmikroskop die MN in 1000 zweikernigen Zellen. Der Mitoseindex (MI) wurde aus dem Verhältnis der zweikernigen Zellen zu der Gesamtanzahl der Zellen bestimmt und belegte, dass die experimentellen Bedingungen geeignet waren, mutagene Effekte in Abwesenheit von die Aussagefähigkeit der Untersuchungen limitierender Zytotoxizität nachzuweisen.

Von den 52 gewonnenen Proben zeigten 48 eine ausreichende Ex-vivo-Proliferation. Unter diesen 48 Proben war der MI der sPC sowie der pPC bzw. pNC im Vergleich zur sNC erniedrigt. Verglichen mit der pPC und pNC zeigte sich der MI bei den mit den beiden Zementstäuben inkubierten Zellen leicht erhöht, im Vergleich zur sNC jedoch nicht.
Im Rahmen des Mikronukleus-Assay wurde zunächst die MN-Bildung durch die sPC mit der sNC verglichen und ergab eine 3-fache Erhöhung. Entsprechend des 2-σ-Kriteriums wurde eine MN-Bildung von 130% als unterer Grenzwert für eine signifikante Induktion der MN gesetzt, wodurch nochmals 6 Proben ausgeschlossen wurden. Bei den verbliebenen 42 Proben zeigte sich bei allen Zementkonzentrationen eine erhöhte MN-Bildung. Die pNC zeigte bei 13 von 42 Proben eine Induktion der MN, wohingegen die pPC lediglich bei 17 der 42 Proben eine erhöhte MN-Bildung verursachte. Auch die Einteilung in Untergruppen (TiO2 –/DQ12 –; TiO2 –/DQ12 +; TiO2 +/DQ12 –; TiO2 +/DQ12 +) zeigte keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Induktion von Mikronuklei durch die Zementstäube.
Weiterhin wurden die Probenspender hinsichtlich ihres Geschlechts, Tumorstatus (Tumorpatient vs. Nicht-Tumorpatient), Alkohol- sowie Nikotinkonsums verglichen. Eine signifikant höhere MN-Bildung zeigte sich lediglich bei den 19 Probanden mit einem Nikotinkonsum von <30 pack years.
Diese Ergebnisse zeigten, dass beide Zementstäube eine signifikant erhöhte MN-Bildung verursachten. Daraus ergibt sich der Hinweis, dass Zementstäube mutagen wirken und kausal an der Entstehung von HNSCC beteiligt sein können, was auch die Beteiligung an der epidemiologisch gesehenen Assoziation von Exposition gegenüber Zementstaub und Larynxkarzinomen wahrscheinlich macht. Dies deckt sich mit Studien, die ein mehr als 4-fach erhöhtes Risiko von im Baugewerbe Tätigen für die Entwicklung eines Larynxkarzinoms ermittelten (Dietz et al., 2004; Dietz et al., 1995; Maier et al., 1992; Maier et al., 1994).

Darüber hinaus konnten unsere Versuche zeigen, dass sich der Mikronukleus-Assay auch unter Verwendung humaner primärer oropharyngealer Epithelzellen (OPCs) OECD 487 konform durchführen ließ. Die OPCs zeigten eine ausreichende Proliferation in vitro; 21% der Zellen waren zweikernig. Es wurden nur jene OPCs ausgewertet, die nach Behandlung mit der sPC eine signifikant erhöhte MN-Bildung gegenüber der sNC zeigten. Zudem untersuchten wir die Reaktion auf Partikelkontrollen. Als pPC wählten wir Quartz, welches ein bekanntes Karzinogen ist (IARC Monographs, 1990). Jedoch war Quartz in den Versuchen nur bei 17 von 42 OPCs in der Lage, eine signifikant erhöhte MN-Bildung zu induzieren. Titan-IV-Oxid sollte als pNC dienen (Hart et al., 1998). Jedoch induzierte es bei 31% der OPCs eine MN-Bildung. Auch in der Literatur finden sich gehäuft Hinweise auf die mutagenen Effekte von Titan-VI-Oxid (Klien et al., 2012; Trouiller et al., 2009; Sycheva et al., 2011).
Bei beiden Zementstäuben konnte eine signifikante MN-Induktion nachgewiesen werden. Bei nur 20% der Proben ergab sich keine eindeutige Signifikanz, damit lagen beide Zemente sowohl über den Werten der pNC als auch der pPC.

Soweit man bei Fehlen einer zuverlässigen pNC schlussfolgern kann, bestätigt sich die eingangs gestellte Hypothese, dass Zementstäube mutagen sind und insbesondere das epidemiologisch beobachtete Risiko für Larynxkarzinome von exponierten Personen gegenüber der Normalbevölkerung erhöhen.
Zudem konnte gezeigt werden, dass auch OPCs für einen OECD-konformen Mikronukleus-Assay geeignet sind. In zukünftigen Untersuchungen sollte der Nutzung dieser Zellen der Vorrang gegeben werden, da es sich um jene Zellen handelt, die auch tatsächlich den Schadstoffen ausgesetzt werden. Die bislang verwendeten Zelllinien dürften sich in ihrer physiologischen Reaktion deutlich von den OPCs unterscheiden.:Inhaltsverzeichnis
Überschrift Seite
1. Einleitung 4
1.1. Larynxkarzinome 4
1.1.1. Epidemiologie von Larynxkarzinomen 4
1.1.2. Ätiologie von Larynxkarzinomen 6
1.1.3. Histologie der Larynxkarzinome 7
1.1.4. Therapie und Prognose 8
1.2. Rhein-Neckar-Larynxstudie 9
1.3. Zementherstellung und -zusammensetzung 10
1.4. Zement- und Zementstaub-assoziierte Erkrankungen 10
1.4.1. Zementdermatitis 11
1.4.2. Erkrankungen der Atemwege 12
1.5. Mikronuklei und deren Bedeutung in der Kanzerogenese 13
1.5.1. Mutagenese und Kanzerogenese 14
1.5.2. Genotoxizitäts- und Mutagenitätstests 15
1.5.3. Anforderungen an Mutagenitätstest (OECD Guideline 487) 15
1.6. Aufgabenstellung 16
2. Publikationsmanuskript 17
3. Zusammenfassung der Arbeit 28
4. Literaturverzeichnis 32
5. Anlagen 36

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:80769
Date26 September 2022
CreatorsPawliczak, Jacqueline
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman, English
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relation10.21873/anticanres.14951

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