Seit der Entdeckung, dass das ZNS ein immunprivilegiertes Organ ist, wurde
dies vor allem durch das Fehlen einer afferenten zellulären immunologischen
Versorgung erklärt, also dem Fehlen einer zur Auswärtsmigration fähigen APZ-
Population im Parenchym und der fehlenden Versorgung des ZNS mit Lymph-
gefäßen. In letzter Zeit wurde dieses Erklärungsmodell sowohl prinzipiell als
auch experimentell in Frage gestellt. Durch die Verwendung von transgenen
Mäusen, die unter dem Promoter von CD11c GFP (green fluorescent protein)
exprimieren, konnten wir zum ersten Mal im ZNS-Parenchym von gesunden
Mäusen eine CD11c-positive Zellpopulation nachweisen. Diese Zellen zeigen
morphologisch starke Ähnlichkeit zu DZs und sind vor allem dort zu finden,
wo sich im Rahmen der MS-Erkrankung Demyelinisierungen finden lassen. Mit
ihren Fortsätzen sind sie teilweise an der Bildung der glia limitans beteiligt,
stehen also in enger anatomischer Beziehung zum perivaskulären Raum. In
diesem Raum findet die Selektion der Lymphozyten statt, denen ein Übertritt in
das ZNS ermöglicht wird. Eine Beteiligung der CD11c-positiven Zellpopulation
an diesem Prozess ist wahrscheinlich.
Um diese Zellen genauer zu typisieren isolierten wir mithilfe eines einheitlichen
Isolationsprotokolls mononukleäre Zellen aus Gehirn, Lunge, Leber und Milz
von Wildtypmäusen und untersuchten diese nach immunologischer Färbung
von CD11b, CD11c, CD45, CD80, CD86, F4/80, CD103, CCR2, CX 3 CR1 und Flt 3 mittels Durchflusszytometrie. Hiermit konnten wir zeigen, dass sich in den
verschiedenen Organen stark heterogene, umgebungsspezifische CD11c-positive
Zellpopulationen finden. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Mikro-
glia, charakterisiert durch ihre intermediäre Expression von CD45, eine äußerst
geringe Expressivität von MHC-II aufweisen. Zusätzlich kultivierten wir isolier-
te mononukleäre Zellen aus Hirngewebe und aus der Milz von MHC-II-eGFP
Mäusen auf organotypischen Schnittkulturen, die aus dem Hippocampus (engl.:
organotypical hippocampal slice cultures - OHSC), respektive der Milz (engl.:
organotypical spleen slice cultures - OSSC) von Wildtyptieren gewonnen wurden.
Hier konnten wir am lebenden Gewebe über einen Zeitraum von mindestens 72
Stunden mittels konfokaler Mikroskopie eine umgebungsspezifische Adaption
der eingebrachten transgenen MHC-II-eGFP-positiven Zellpopulation zeigen.
Aus Milzgewebe isolierte mononukleäre Zellen, die auf OHSC kultiviert wurden,
ramifizierten und verringerten ihre Expression von MHC-II; wurden diese auf
OSSC kultiviert, behielten sie ihre amöboide Form und zeigten eine hohe Ex-
pression von MHC-II. Mononukleäre Zellen aus Hirngewebe ramifizierten auf
OHSC und zeigten eine geringe Expression von MHC-II; auf OSSC blieben diese
Zellen amöboid und zeigten keine signifikante Expression von MHC-II. Diese
Befunde lassen den Schluss zu, dass sowohl Umgebungsfaktoren als auch der Ur-
sprung dieser mononukleären Zellen ihre immunologische Funktion beeinflussen
können.
Um der Frage nachzugehen, welche immunologische Funktion die CD11c-positive
Zellpopulation im ZNS unter neuroinflammatorischen Bedingungen besitzt und
ob sich Anzeichen für eine Auswärtsmigration dieser Zellen finden lassen,
verwendeten wir myeloablativ bestrahlte CD11-GFP transgene Tiere, denen
wildtyp Knochenmark transplantiert wurde und in denen EAE induziert wurde.
Vorangegangene Arbeiten hatten eine mechanische Zerstörung von natürlichen
Barrieren, u.a. von Blutgefäßen mit ihren Endothelien, Lymphgefäßen der Haut
und der Subcutis, neuronalem Gewebe, Hirnhäuten, etc., in Kauf genommen,
um Farbstoffe oder Zellen einzubringen. Durch die Chimärisierung wird eine –
nicht vollumfängliche – Trennung der zentralnervösen DZ-Population und ihrem
systemischen Gegenstück ohne o.g. mechanische Zerstörung von physiologischen
Barrieren erreicht. So kann die Mehrheit der transgener Zellen, die sich 6 bis
8 Wochen nach Chimärisierung findet, dem ZNS zugeordnet werden. Mono-
nukleäre Zellen aus homogenisiertem Hirngewebe dieser Tiere wurde mittels
Durchflusszytometrie nach Färbung von CD11b, CD45, CD11c, CD80, CD86,
F4/80 und MHC-II untersucht. ZNS-ständige Mikroglia, in unserem Modell
charakterisiert durch GFP-Positivität und die intermediäre Expression von
CD45, zeigen in der Gruppe der stark erkrankten Tiere eine signifikante Erhö-
hung ihrer Expression von CD11c-GFP, MHC-II und CD80. Dieses Muster der
Oberflächenmarker zeigt die Fähigkeit zur Stimulation von T-Zellen. Verschie-
dene Lymphknotenstationen wurden homogenisiert und mittels quantitativer
PCR auf ihren Gehalt an transgener DNA hin untersucht. Hier konnten wir
eine signifikante Zunahme dieser transgenen DNA in zervikalen und axillären
Lymhpknoten stark erkrankter Tiere zeigen. Zusätzlich ließen sich in der Fluo-
reszenzmikroskopie ramifizierte Zellen in diesen Lymphknoten finden, welche
sowohl GFP als auch P2Y 12 -positiv waren. P2Y 12 ist ein rezent beschriebener
Oberflächenmarker, der spezifisch für Mikroglia ist. Zusammenfassend lassen
sich diese Ergebnisse dahingehend deuten, dass die CD11c-positive Population
im ZNS im Rahmen eines neuroinflammatorischen Prozesses in ZNS-assoziierte
Lymphknoten migrieren und dort T-Zellen stimulieren kann. Bei an MS erkrank-
ten Patienten könnten diese Lymphknoten ein lohnenswertes anatomisches Ziel
darstellen, um zu versuchen mittels immunmodulierender oder -suppressiver
Medikamente den neuroinflammatorischen Prozess zu lindern. Auf diese Wei-
se ließe sich eventuell die Effektivität dieser Medikamente erhöhen und die
systemische, unerwünschte, Wirkung reduzieren.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:80296 |
Date | 02 August 2022 |
Creators | Schiefenhövel, Fridtjof |
Contributors | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German, English |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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