Hintergrund: Das idiopatische Parkinson-Syndrom (IPS) ist die zweithäufigste neurode-generative Erkrankung nach Morbus Alzheimer. Bei über 60-Jährigen liegt die Prävalenz bei bis zu zwei Prozent. Die somatischen Symptome verursachen vielfältige Beeinträchtigungen der Grob- und Feinmotorik und damit der Alltagsaktivitäten, viele Patienten leiden zusätzlich unter neuropsychiatrischen Symptomen. Das prominenteste neuropathologische Korrelat des IPS ist der Untergang dopaminerger Neurone in der Substantia Nigra. Dessen Ursachen sind nicht vollständig bekannt. Mit der Dopaminsubstitution steht eine erfolgreiche, jedoch nur symptomatische Therapie der chronisch progredienten Erkrankung zur Verfügung.
Epidemiologisch besteht ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen dem IPS und depressiven Störungen. Bis zu 40% der IPS-Patienten leidet unter klinisch relevanten depressiven Symptomen (IPS-D). Einige von ihnen erfüllen nicht die gängigen Diagnosekriterien depressiver Störungen, leiden jedoch unter vergleichbaren Einschränkungen der Lebensqualität und des Funktionsniveaus. IPS-D ist ferner mit schnellerem Krankheitsprogress, höherer Angehörigenbelastung, Heimunterbringung und höheren sozioökonomischen Kosten assoziiert. In der Praxis ist von einer Untererkennung und -versorgung der IPS-D auszugehen. Die Spontanremissionsraten sind gering, auch bei Patienten unter antidepressiver medikamentöser Therapie bleibt häufig eine Restsymptomatik bestehen. Die pathogenetischen Mechanismen der IPS-D sind nur teilweise verstanden, es ist von einem komplexen Vulnerabilitäts-Stress-Modell mit neurobiologischen und psychosozialen Komponenten auszugehen. Ferner bestehen vermutlich Subtypen der IPS-D mit unterschiedlichen Ursachenkonstellationen und therapeutischen Bedürfnissen. Medikamentöse Interventionen sind weniger wirksam als bei primären depressiven Störungen. Psychosoziale Interventionen, speziell kognitive Verhaltenstherapie, sind ersten Studien zufolge eine vielversprechende Therapieoption. Die Zugangsbarrieren zu Psychotherapie sind jedoch relativ hoch.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Entwicklung einer niederschwelligen, speziell auf die IPS-D zugeschnittenen psychoedukativen Gruppenintervention. Hierfür wurde didaktisch und inhaltlich auf edukative Patientenprogramme zum IPS sowie Techniken der Psychoedukation und kognitiven Verhaltenstherapie als am besten beforschten Psychotherapieverfahren primärer depressiver Störungen zurückgegriffen. Es wurde eine multi-modale, ressourcenaktivierende, neunwöchige Intervention konzipiert, in deren Rahmen Informationen vermittelt und praktische Übungen zur Krankheitsbewältigung durchgeführt werden. In einem zweiten Schritt sollte Durchführbarkeit, Akzeptanz und subjektive Nützlichkeit sowie die Wirksamkeit der entwickelten Intervention auf die IPS-D an einer Patien-tenstichprobe evaluiert werden. Es wurde postuliert, dass sich die Intervention als gut durchführ bar erweist, von den Patienten gut angenommen wird und dass die fremd- und selbstgeratete Depressivität, das Belastungserleben und subjektive psychische Wohlbefinden durch die Intervention gebessert werden.
Forschungsmethoden: Zur Überprüfung der Hypothesen wurde eine unizentrische, raterverblindete Studie mit kontrollierter Randomisierung und Wartekontrollgruppe an einer Patientenstichprobe mit IPS-D durchgeführt. Es erfolgte eine randomisierte Zuweisung der Teilnehmer zu Kontroll- (KG) oder Interventionsgruppe (IG) nach entsprechend des Ergebnis der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) stratifizierten Paaren. Aufgrund von Rekrutierungsproblemen wurden Teilnehmer der KG später in die IG eingeschlossen. Insgesamt wurden 26 Patienten in die Studie eingeschlossen, fünf von ihnen brachen die Teilnahme ab oder wurden aufgrund von Verletzungen des Studienprotokolls ausgeschlossen, fünf nahmen sowohl an KG als auch IG teil. Somit konnten 26 Fälle unter Berücksichtigung der zweifach allokierten Patienten und 19 Patienten gemäß Studienprotokoll ausgewertet werden. Zur Evaluation des Programms kamen entsprechende Fragebögen zum Einsatz. Primäres Outcomemaß der Wirksamkeitsprüfung war die fremdgeratete Depressivität gemäß MADRS. Weiterhin wurden bei Studienbeginn, unmittelbar postinterventionell sowie nach weiteren sechs Monaten selbstgeratete Depressivität, Lebensqualität, Belastungserleben, subjektives Wohlbefinden, Funktionsniveau und somatische Parameter der Erkrankung erhoben. Zur Auswertung des mehrfaktoriellen Versuchsplans mit zwei Faktorstufen (Gruppen) und drei Messzeitpunkten mit abhängigen Stichproben und Stichprobenziehung mit Zurücklegen wurden unter anderem Varianzanalysen mit Messwiederholung und lineare kovarianzanalytische Modelle mit drei Prüffaktoren und Ausgangswertadjustierung erstellt.
Ergebnisse: Die Intervention erwies sich als gut durchführbar und wurde durch die Pati-enten gut akzeptiert. Die Rücklaufquote der Evaluationsfragebögen war mit 90% gut. Die meisten Patienten bewerteten das Programm als anschaulich und verständlich, die orga-nisatorischen Rahmenbedingungen als gut und die Inhalte als „hilfreich“. Insbesondere der Austausch mit Gleichbetroffenen wurde positiv bewertet. Es zeigte sich eine ausreichende Konzentrationsfähigkeit und bis auf wenige Ausnahmen ein gutes Verständnis der vermittelten Inhalte. In der per Protokoll analysierten Stichprobe konnten keine signifikanten Interventionseffekte nachgewiesen werden. Für die laut Studienprotokoll ausgewerteten ersten zwei Interventionsdurchgänge zeigte sich im Verglich mit der KG eine mit d=1,1 starke Reduktion der gesamten sowie der rein psychischen depressiven Symptomatik (Gesamtstichprobe: d=0,2 bzw. d=0,6), welche jedoch nur für die erstgenannte Teilstichprobe und nur unter Auslassung der somatischen Symptome statistische Signifikanz erreichte. Mit 38,5% erreichte ein nahezu signifikant größerer Teil der IG der Gesamtstichprobe Remission (p=0,063), bei 69,2% war die psychische Symptomatik mindestens um zwei Punkte gebessert, was als Minimum klinischer Relevanz gesehen wird. Die Effekte konnten über den Katamnesezeitraum nicht aufrechterhalten werden. In KG und IG kam es zu unterschiedlich starken Veränderungen der einzelnen depressiven Symptome mit einer stärkeren Reduktion von Traurigkeit, Untätigkeit und Suizidgedanken in der IG. Als Moderatorvariable der Treatmentresponse wurde lediglich die Teilnahme an einem der drei Interventions-Durchgänge identifiziert. Es konnten keine Interventionseffekte auf die wei-teren erhobenen psychischen Parameter erreicht werden.
Schlussfolgerungen: In Anbetracht der spärlichen Studienlage und des hohen Bedarfs hat diese Untersuchung einer niederschwelligen psychosozialen Intervention zur Besserung der IPS-D einen Beitrag zum Erkenntnisgewinn geleistet. Zum Zeitpunkt des Studienbeginns war noch keine, aktuell sind nur drei kontrollierte Studien dieser Art publiziert. Das untersuchte Gruppenprogramm hat sich als gut durchführbar und für die Patienten annehmbar und subjektiv hilfreich erwiesen. Leider konnten mit den gewählten Untersuchungsmethoden zusammenfassend keine signifikanten Interventionseffekte auf die IPS-D nachgewiesen werden. Dennoch wurde, je nach Analyseverfahren, eine mäßige bis starke Reduktion der depressiven Kernsymptomatik in der IG erreicht, welche im Vergleich zu anderen unkontrollierten und kontrollierten Studien im Gruppensetting als etwas gleichwertig einzuschätzen ist, im Vergleich zu Einzel-KVT jedoch als geringer. Es zeigte sich, dass die Gruppenzusammensetzung Auswirkungen auf den Erfolg der Intervention haben kann. Die Divergenz von fremdgerateter Depressivität, subjektiver Nützlichkeit und anderen Maßen psychischen Wohlbefindens weist darauf hin, dass durch die Intervention möglicherweise positive Veränderungsprozesse angestoßen, nicht aber abgeschlossen wurden. Die untersuchte Intervention kann nach leichter Modifizierung, insbesondere dem Einbezug von Angehörigen, eine hilfreiche Ergänzung im Behandlungsplan der IPS-D darstellen. Bei Persistenz der depressiven Symptomatik sollte jedoch individualisierte KVT und Pharmakotherapie zum Einsatz kommen. Es erscheint wichtig, ins Bewusstsein zu rücken, dass die IPS-D keine unabwendbare Begleiterscheinung des IPS sein muss. Neben weiterer Forschung zu psychosozialen Interventionen in verschiedenen Settings sollte die Abgrenzung verschiedener IPS-D-Subtypen mit Blick auf die Wahl verschiedener therapeutischer Strategien vorangetrieben werden. Dies gilt auch für die Wahl des optimalen Zeitpunktes, der Intensität und inhaltlichen Schwerpunktsetzung psychosozialer Interventionen wie der untersuchten.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:30188 |
Date | 20 February 2017 |
Creators | Linse, Katharina |
Contributors | Storch, Alexander, Donix, Markus, Technische Universität Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
Page generated in 0.0031 seconds