In der forensischen Fallarbeit gilt die Analyse von Short Tandem Repeats (STRs) als der Goldstandard zur Identifizierung unbekannter Personen. Aus biologischem Tatortspurenmaterial werden STR-Profile erstellt, die anschließend mit Vergleichsprofilen tatverdächtiger Personen oder mit Profilen in der nationalen DNA-Datenbank abgeglichen werden. Dieser Ansatz identifiziert jedoch nur Personen, die den Ermittlungsbehörden bereits bekannt sind. In Fällen ohne Datenbanktreffer oder fehlenden Augenzeugenberichten, die mögliche Hinweise auf Tatverdächtige liefern können, können unzureichende Ermittlungshinweise die Aufklärung einer Straftat verzögern. Die Limitierung der vergleichenden DNA-Analyse gab der forensischen Forschung in den vergangenen Jahrzehnten den Anstoß, Erkenntnisse aus der humangenetischen Forschung über die molekularen Grundlagen des menschlichen Aussehens für forensische Zwecke zu nutzen. Dies führte zu der Erweiterung der forensischen Genetik um die forensische DNA-Phänotypisierung (FDP), bei der DNA-Marker zum äußeren Erscheinungsbild, dem biologischen Alter und der biogeografischen Herkunft einer unbekannten Person untersucht werden können. Durch dieses Instrument kann die polizeiliche Investigativarbeit im Rahmen der Strafverfolgung unterstützt werden, indem durch Erhebung phänotyprelevanter Informationen der Pool potentiell tatverdächtiger Personen reduziert werden kann. Im Dezember 2019 ist in Deutschland mit einer Änderung der Strafprozessordnung die forensische DNA-Analyse gesetzlich auch zur Feststellung der Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie des biologischen Alters einer unbekannten Person zugelassen worden, nicht jedoch um die Bestimmung der biogeografischen Herkunft.
In genomweiten Assoziationsstudien verschiedener Populationen wurden in den vergangenen Jahrzehnten Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) identifiziert, die mit der humanen Pigmentierung bestimmter phänotypischer Merkmale assoziiert sind. Auf dieser Grundlage wurden forensische Testsysteme und statistische Vorhersagemodelle entwickelt, die mit einer relativ geringen Anzahl hochinformativer SNP-Marker relativ präzise Vorhersagen über die Pigmentierung von Körpermerkmalen treffen können. Ein bereits forensisch validiertes und anerkanntes Testsystem ist das HIrisPlex-S-System, mit dem eine DNA-basierte, probabilistische Vorhersage der Augen-, Haar- und Hautfarbe durch Untersuchung von 41 SNP-Markern möglich ist. Die Berechnung der Vorhersagewahrscheinlichkeiten erfolgt für drei Augenfarben-, vier Haarfarben- und fünf Hautfarbenkategorien mit Hilfe eines online verfügbaren Webtools (https://hirisplex.erasmusmc.nl) basierend auf einem multinomialen logistischen Regressionsmodell. Für die Interpretation der Ergebnisse stehen Leitfäden zur Verfügung, mit denen anhand der berechneten Wahrscheinlichkeitswerte die wahrscheinlichsten phänotypischen Merkmale abgeleitet werden.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde das HIrisPlex-S-System unter Verwendung der SNaPshot-Methode im molekulargenetischen Labor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Leipzig etabliert, um dieses Werkzeug zukünftig für die Anwendung in der Strafverfolgung in Sachsen anbieten zu können. Die Analyse der 41 SNP-Marker erfolgte in zwei Multiplex-Assays: einem 24-Plex-Assay mit den SNP-Markern zur Bestimmung der Augen- und Haarfarbe und einem 17-Plex-Assay mit den SNP-Markern zur Bestimmung der Hautfarbe. Im Zuge der Implementierung des SNaPshot-Workflows (Multiplex-PCR – Single Base Extension – Kapillarelektrophorese) wurden je Assay Primerkonzentrationen der PCR- und SBE-Primer sowie thermozyklische Reaktionsbedingungen und kapillarelektrophoretische Analyseparameter angepasst, um eine optimale Detektion der 41 SNP-Marker zu gewährleisten. In Anlehnung an die Validierungsrichtlinien der SWGDAM wurden die Sensitivität des Testsystems sowie die durchschnittlichen Peakhöhen und das heterozygote Peakhöhenverhältnis der SNPs bestimmt. Es konnten bis zu einer DNA-Inputmenge von 125 pg und teilweise bis zu 63 pg vollständige SNP-Profile erzeugt werden, was die hohe Sensitivität des Testsystems belegt. Durch die Bestimmung der durchschnittlichen Peakhöhen und der heterozygoten Peakhöhenverhältnisse bei unterschiedlichen DNA-Mengen konnten Erkenntnisse über die Detektionseigenschaften der SNP-Marker gewonnen werden, die für die Beurteilung der Quantität und Qualität der analysierten Probe von Bedeutung sind. Die Analyse von Mischspuren zeigte, dass eine Detektion in Abhängigkeit vom Mischungsverhältnis zwar potenziell möglich ist, biallelische Marker wie SNPs jedoch weniger dafür geeignet sind.
Mit dieser Arbeit wurde eine überwiegend europäische Studienpopulation von 300 Personen mit dem HIrisPlex-S-System untersucht und die ermittelte, wahrscheinlichste Augen-, Haar- und Hautfarbe der Probandinnen und Probanden mit deren tatsächlichen, mittels Fragebogen erhobenen Merkmalen, verglichen. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse können folgende Fragestellungen beantwortet werden:
1) Welche Genauigkeit besitzt das HIrisPlex-S-System in der Vorhersage der Augen-, Haar- und Hautfarbe?
Das HIrisPlex-S-Vorhersagemodell zeigt eine gute Leistung bei der Differenzierung und Klassifizierung kontrastierender Farbkategorien wie blaue und braune Augen (AUC > 0,9), rote und schwarze Haare (AUC > 0,8) sowie sehr helle und dunkle Haut (AUC > 0,8) und eine geringere Leistung bei der Identifikation von Zwischentönen, wie intermediäre Augen (grün, grün-braun etc.), blonde und braune Haare und intermediäre Haut.
2) Stehen die erzielten Ergebnisse im Einklang mit der Literatur?
Mit der Anwendung des etablierten HIrisPlex-S-Systems auf die untersuchte, überwiegend mitteleuropäische Studienpopulation konnten Vorhersagegenauigkeiten erzielt werden, die im Einklang mit den in der Literatur publizierten Ergebnissen von Untersuchungen an verschiedenen (europäischen und nicht-europäischen) Populationen stehen, insbesondere hinsichtlich der Vorhersage einer intermediären Augenfarbe oder blonder und brauner Haarfarbe.
3) Welche Bedeutung hat das Testsystem für die forensische Praxis?
Das HIrisPlex-S-System kann die Aufklärung von Straftaten unterstützen, indem es den Ermittlungsbehörden Hinweise auf das äußere Erscheinungsbild tatrelevanter Personen geben kann, wenn ein Abgleich mit der DNA-Datenbank zu keinem Ergebnis geführt hat. Da die Analysmethode auch die Untersuchung degradierten Materials erlaubt, kann sie zur auch Identifizierung menschlicher Überreste eingesetzt werden.
Die Ergebnisse dieser Studie und die erfolgreiche Teilnahme am Pigmentierungsmodul der GEDNAP-Ringversuche 64 und 65 belegen die zuverlässige Anwendbarkeit des spezifisch angepassten HIrisPlex-S-Systems in der forensischen Routine mit der beschriebenen Vorhersagegenauigkeit.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:90329 |
Date | 06 March 2024 |
Creators | Dika, Beate |
Contributors | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
Page generated in 0.0031 seconds