Mit der Namenforschung, der Sprachkontaktforschung und der Translatologie existieren drei Teilbereiche der Linguistik, die sich als solche seit einiger Zeit etabliert haben und zu denen
ausgiebig geforscht wird. Doch obwohl diese drei Bereiche der Sprachwissenschaft stark interdisziplinär ausgerichtet sind, scheint die Problematik der Übersetzung von Eigennamen,
welche zwischen diesen drei Bereichen diskutiert werden müsste, nur unzureichend erforscht worden zu sein. „Die Forschungslandschaft zu dem Thema“, so das internationale Handbuch zur Onomastik, ist „immer noch karg“ (Kalverkämper 1996, 1021).
Da Eigennamen häufig als „semantisch reduziert“ oder „denotativ bedeutungslos“ (vgl. die Übersicht über die verschiedenen Forschungsstandpunkte zur Namensemantik in
Kalverkämper 1978, 62-85) angesehen werden, hat ihnen die Übersetzungswissenschaft auch nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Zugespitzt formuliert werden Eigennamen im Allgemeinen unverändert übernommen, und wenn nicht, dann ziehe man eine Liste der Übersetzungen, wie jene der deutschen und spanischen Ländernamen von Martínez/Wotjak (1979) zu Hilfe.
Die Namenforschung hingegen zeigt sich sehr interessiert an der Bedeutung der Namen, ihrer Geschichte und den Sprachkontakten, denen sie unterlagen. Dennoch scheinen die daraus hervorgegangenen Erkenntnisse nicht für Untersuchungen zur Problematik, wie in Texten und hierbei insbesondere bei Übersetzungen mit Eigennamen umzugehen ist, herangezogen worden zu sein. Auch die Antworten auf die Frage nach den Faktoren, die dazu führen, ob ein bestimmter Name aus anderen Sprachen unverändert übernommen, in irgendeiner Weise übersetzt oder gänzlich neu vergeben wird, beschränken sich häufig auf Kommentare wie „...liegen im pragmatischen Bereich und sind von Zufälligkeiten abhängig“ (Jäger/Jäger 1969, 110). Die Bedeutung dieser Problematik wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass fast jeder Text, der in der Praxis übersetzt wird, Eigennamen enthält. Gerade die im Studium häufig übersetzten Zeitungstexte sind durch eine große Fülle von Orts- und Personennamen gekennzeichnet, die nur dann kein Problem für den Übersetzer darstellen, wenn die benannten Personen und Dinge allgemein bekannt sind. Im Laufe meines Studiums ist mir jedoch aufgefallen, dass bei weniger bekannten Namen das mangelnde Bewusstsein über ihr Wesen selbst in wissenschaftlichen Arbeiten zu schwerwiegenden Fehlern führen kann. So haben bspw. trotz wissenschaftlicher Beschäftigung mit seinem Werk weder Prüfer Leske noch Beck bei der Übersetzung des von Alexander von Humboldt auf Französisch verfassten „Essai politique sur l’île de Cuba“ erkannt, dass Saint-Domingue und Santo-Domingo nicht
die französische und die spanische Version desselben Ortes sind, sondern dass es sich einmal um die französische Kolonie im Westen und einmal um die spanische Kolonie im Osten der
Insel Hispaniola handelt. Auch die Übersetzung eben jener Insel, im Französischen nach ihrem ursprünglichen (indigenen) Namen als Haïti bezeichnet, mit dt. Haiti wird den deutschen Leser eher an die heutige Republik Haiti denken lassen und ist somit äußerst
problematisch (vgl. Humboldt 1992, 5-7 und Humboldt 2002, 57-60).
Aus diesen Gründen halte ich es für wichtig, den Einfluss des Sprachkontakts auf die Vergabe und die Entwicklung von Eigennamen eingehender zu untersuchen und seine Auswirkungen auf die Übersetzungsproblematik zu klären. Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel der Untersuchung eines bestimmten Sprachkontaktgebiets und ausgewählter Namenarten einen Beitrag dazu leisten.
Gegenstand dieser Arbeit soll eine Untersuchung zur Übersetzung von Eigennamen sein.
Damit eine solche Untersuchung jedoch im Rahmen einer Diplomarbeit und mit wissenschaftlicher Exaktheit durchgeführt werden kann, muss das Thema zwangsläufig weiter eingegrenzt werden. Die Wahl fiel dabei auf die Untersuchung von Ortsnamen in Amerika, die aus den im Folgenden dargelegten Gründen als günstiger Studiengegenstand erachtet werden: Die Beschränkung auf Ortsnamen liegt zunächst schon allein aus dem Grund nahe, dass sich die meisten bereits veröffentlichten Arbeiten zur Übersetzung von Eigennamen überwiegend oder ausschließlich mit Ortsnamen befassen. Dies hat jedoch konkrete Gründe, die auch bei dieser Arbeit dazu geführt haben, den Untersuchungsgegenstand auf Ortsnamen zu begrenzen.
Zum Einen benennen Ortsnamen langlebigere Namenträger als bspw. Personen-, Erzeugnis oder Institutionsnamen. Zum Anderen sind Orte unbeweglich und haben zumeist einen
Besitzer, so dass eine klare Zuordnung in einen Sprachraum oder ein Sprachkontaktgebiet möglich ist. Hinzu kommt, dass Ortsnamen seit frühester Zeit auf Karten, in Reiseberichten
und in offiziellen Dokumenten verzeichnet wurden und dadurch historischen Untersuchungen zugänglich sind. Dieser hohe Grad an Vertextung macht sie schließlich für die ÜÜbersetzungswissenschaft besonders interessant, da er von ihrer Bedeutung in der schriftlichen Kommunikation zeugt.
Örtlich soll die Untersuchung auf den amerikanischen Kontinent beschränkt werden, wobei selbstverständlich kein Anspruch auf eine vollständige namenkundliche Untersuchung desselben erhoben wird. Im Mittelpunkt des Interesses sollen insbesondere englische, französische und spanische Ortsnamen stehen, an einigen Stellen könnte jedoch auch die Untersuchung portugiesischer und niederländischer Namen notwendig sein. Die Möglichkeit der Untersuchung von Ortsnamen, die europäischen Sprachen entstammen, ist selbstverständlich auch eines der wichtigsten Argumente für die Wahl Amerikas als Untersuchungsgegenstand. Der entscheidende Vorteil gegenüber dem europäischen Kontinent ist dabei jedoch, dass der Großteil der heutigen Städte und Länder erst nach der Entdeckung
Amerikas durch die Europäer entstanden ist, d.h. zu einem Zeitpunkt, als sich die europäischen Sprachen bereits in etwa in ihrer heutigen Form stabilisiert hatten und als durch die Erfindung der Druckerpresse bereits gute Möglichkeiten der Publikation und Verbreitung von Informationen bestand. Eine Untersuchung europäischer Toponyme hingegen würde die
Kenntnis keltischer und altgermanischer Sprachen sowie des Griechischen, des Lateins und der Übergangsformen zu den verschiedenen romanischen Sprachen voraussetzen. Während in
Amerika historisch meist hinreichend geklärt ist, welche Sprache zu welchem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort vorherrschend war und wann bestimmte Siedlungen entstanden oder andere geographische Einheiten benannt worden sind, liegen die Ursprünge vieler europäischer Namen nach wie vor im Dunkeln, da die großen Bewegungen der Völkerwanderung und der Quellenmangel viel Raum für Fehlinterpretationen lassen. In
Amerika ist demgegenüber leicht zu erkennen, welche Namen auf indigene Sprachen zurückgehen und welche erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden sein können. Durch den kolonialen Wettstreit der europäischen Mächte ist zudem gegeben, dass ein intensiver Sprachkontakt vorlag, der vor allem in Gebieten wie der Karibik zur Verbreitung der Ortsnamen in verschiedenen Sprachen beigetragen hat. Daher ist zu erwarten, dass in der vorliegenden Arbeit klare Erkenntnisse darüber gewonnen werden können, was mit Ortsnamen geschieht, wenn sie in andere Sprachen übergehen und wie sich dies auf ihre
heutige Übersetzung auswirkt.
In der vorliegenden Arbeit sollen bestehende Erkenntnisse zur Übersetzung von Eigennamen analysiert und anhand der Untersuchung amerikanischer Ortsnamen erweitert werden. Eine
Grundüberzeugung ist dabei, dass bei der Übersetzung von Eigennamen die Geschichte der Namenträger und insbesondere der Sprachkontakt, dem sie unterlagen, eine wichtige Rolle
spielen.
Aus diesem Grund sollen in einem theoretischen Teil zunächst Berührungspunkte zwischen den Phänomenen „Sprache“ und „Geschichte“ gefunden werden, um eine sprach- und geschichtswissenschaftlich fundierte Untersuchung zu ermöglichen (siehe Kapitel 2.1.). Die Beschäftigung mit Eigennamen setzt zudem eine Erörterung der Grundlagen der
Namenforschung voraus, insbesondere ihrer interdisziplinären Ausrichtung (siehe Kapitel 2.2.1.1.) und der Namenarten (siehe Kapitel 2.2.1.2.). Daraufhin soll die Bedeutung des Sprachkontakts für die Namenforschung erläutert werden (siehe Kapitel 2.2.2.), um im Anschluss daran konkrete Beispiele bereits bearbeiteter Problemfelder der amerikanischen
Toponymie zu geben (siehe Kapitel 2.2.3.) und so die Grundlagen der empirischen Untersuchung im zweiten Teil dieser Arbeit zu legen.
An die Darstellung der bereits vorhandenen Arbeiten zur Übersetzung von Eigennamen (siehe Kapitel 2.3.) können dann auf Basis der erarbeiteten Grundlagen auf den Gebieten der Geschichte, des Sprachkontakts und der Namenforschung sich aus der Analyse dieser Arbeiten ergebende Probleme erörtert werden. Dies ermöglicht die anschließende Konkretisierung der Zielstellung (siehe Kapitel 2.4.) und die Erarbeitung einer geeigneten Vorgehensweise zur Untersuchung der Ortsnamen in Amerika im empirischen Teil dieser Arbeit (siehe Kapitel 3.).
Die Bedeutung der dort gewonnenen Erkenntnisse für den Übersetzer soll dann in einem Schlussteil (siehe Kapitel 4.) zusammengefasst und im Sinne der Zielstellung dieser Arbeit ausgewertet werden.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:15-qucosa-124179 |
Date | 18 October 2013 |
Creators | Bahr, Christian |
Contributors | Universität Leipzig, Philologische Fakultät, Universitätsprofessor Carsten Sinner, Universitätsprofessor Carsten Sinner, Universitätsprofessor Carsten Sinner, Dr. Carlos Búa |
Publisher | Universitätsbibliothek Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | deu |
Detected Language | German |
Type | doc-type:masterThesis |
Format | application/pdf |
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