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Spezialsprechstunde "Psychisch gesund für Zwei": / Evaluation of the special consultation "Psychisch gesund für Zwei"

Theoretischer Hintergrund: Psychische Störungen in Schwangerschaft und Postpartalzeit sind mit 10-15% häufig und erhalten aufgrund ihrer weitreichenden negativen Konsequenzen für den Schwangerschaftsverlauf, die Geburt, die Mutter-Kind-Bindung und die kindliche Entwicklung eine besondere Bedeutung bei der Behandlung (Alder et al., 2007, Reck, 2012). Obwohl das Wissen um die negativen Auswirkungen mittlerweile gut belegt ist und sich daraus die Notwendigkeit einer spezialisierten und vor allem kurzfristigen Behandlung ergibt, bestehen dennoch verschiedene Grenzen und Problemfelder in der Versorgungslandschaft. Hierzu zählen ein objektiver Mangel an Behandlungsangeboten mit schnellem Zugang, vor allem in ländlichen Gebieten (Köllner, 2012), Unsicherheiten hinsichtlich psychotherapeutischer und/oder psychopharmakologischer Optionen bzw. des Settings (Mitnahme des Neugeborenen in die Therapie; Mutter-Kind-Therapie; Weidner et al., 2012) und eine geringe Inanspruchnahme professioneller Hilfe bei Frauen in Schwangerschaft und Postpartalzeit, was am ehesten mit Stigmatisierungsangst oder Angst vor Nebenwirkungen bzw. Wissen um Versorgungsengpässe sowie Organisationsprobleme begründet werden kann (Freed et al., 2012). Um dem Versorgungsdefizit zu begegnen, wurde in Dresden eine sektorenübergreifende multiprofessionelle Behandlung für betroffene Frauen etabliert. Ein bedeutsamer Teil dieses Behandlungsangebotes leistet die Spezialsprechstunde "Psychisch gesund für Zwei" an der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik des Universitätsklinikums Dresden.

In der vorliegenden Dissertationsschrift wurde dieses spezialisierte Sprechstundenangebot evaluiert mit den Zielen, den Status quo darzulegen und Schwachstellen oder Versorgungslücken zu identifizieren, den objektiven Versorgungsbedarf und die Behandlungsinanspruchnahme gegenüberzustellen, Einflussfaktoren speziell für die Inanspruchnahme von Psychotherapie zu analysieren und die Psychopathologie im Verlauf in Abhängigkeit der Therapieinanspruchnahme zu beschreiben.

Fragestellungen: Die Fragestellungen lauteten: (1) Wie sind die Frauen charakterisiert, die in die Sprechstunde kommen? (2) Wie wird die Spezialsprechstunde bewertet, wie ist der Zuweisungsmodus, die Wartezeit auf einen Ersttermin, wie viele Termine werden in Anspruch genommen und wie zufrieden sind die Patientinnen mit den Behandlungsempfehlungen sowie der Unterstützung bei der Weitervermittlung? (3) Wie häufig werden welche Behandlungs- und Unterstützungsangebote empfohlen und wie häufig werden diese im Zeitraum von t0 bis sechs Monate nach dem Erstgespräch umgesetzt? (4) Was sind Einflussfaktoren auf die Psychotherapieinanspruchnahme und (5) wie ist der Verlauf des psychischen Befindens in Abhängigkeit der Psychotherapieinanspruchnahme?

Methoden: Es handelte sich um eine Versorgungsstichprobe mit zwei Messzeitpunkten. N=147 Frauen (49 schwanger, 98 postpartal; Alter: 29,9 Jahre, SD=5,3, 18-45 Jahre) wurden bei Erstvorstellung in der Spezialsprechstunde (t0) und sechs Monate später (t1) untersucht. Zu t0 wurden Informationen zu soziodemografischen, schwangerschafts- und geburtsspezifischen Merkmalen, zur Psychopathologie mittels SKID-I, BSI, EPDS und GAF-Skala, zu Persönlichkeitsstilen mittels PSSI, zur sozialen Unterstützung mittels F-SozU und zu Aspekten der Sprechstunde (Zuweisungsmodus, Zufriedenheit mit dem Sprechstundenangebot, Beziehungserleben im Erstkontakt) mittels selbstentwickeltem Fragebogen erfasst. Zu t1 wurden die Zufriedenheit mit den Behandlungsempfehlungen und der Weitervermittlung sowie die aktive Unterstützung durch den Therapeuten mittels selbstentwickeltem Fragebogen erhoben. Probandinnen, denen zu t0 eine Psychotherapie empfohlen worden war, wurden zu t1 zur Psychotherapie-Inanspruchnahme befragt. Zu t1 umfasste die Stichprobe 102 Frauen, was einer Teilnehmerquote von 69.4% entspricht.

Ergebnisse: Frauen, die die Sprechstunde aufsuchten, verfügten über ein gutes Bildungsniveau, lebten überwiegend in einer festen Partnerschaft bzw. waren verheiratet und zwei Drittel der Probandinnen waren Erstgebärende. Frauen, die sich während der Schwangerschaft vorstellten, gaben häufiger eine ungeplante und ungewollte Schwangerschaft im Vergleich zu Frauen, die sich postpartal vorstellten an. Am häufigsten wurden die Kriterien für Angst- und depressive Störungen, gefolgt von Anpassungsstörungen erfüllt. Fast 75% berichteten psychische Störungen in der Vorgeschichte und zwei Drittel der Frauen gaben Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen an. Die Bewertung der Sprechstunde durch die Patientinnen fiel sehr zufriedenstellend aus, bei kurzen Wartezeiten von durchschnittlich zwei Wochen und durchschnittlich 2-3 Therapeutenkontakten. Hauptzuweiser waren Frauenärzte, Hebammen und Psychotherapeuten. Hinsichtlich der erhaltenen Empfehlungen und Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Weiterbehandlung bestand ebenfalls eine hohe Zufriedenheit. Von 102 Frauen erhielten 88 Frauen (86.3%) eine Psychotherapie-Empfehlung. 78.4% setzten die Empfehlung um. (Tendenziell) signifikante Einflussfaktoren auf die Therapieinanspruchnahme waren: psychische Komorbidität, psychische Störungen in der Vorgeschichte, geringes globales Funktionsniveau, ausgeprägte Zwanghaftigkeit und Ängstlichkeit, zurückhaltend-selbstunsicher-fürsorglicher Persönlichkeitsstil, positives Beziehungserleben im Erstgespräch und eine direkte Therapieanbahnung durch den Sprechstundentherapeuten. Die Psychopathologie verbesserte sich im Verlauf von sechs Monaten sowohl bei Frauen, mit und ohne Psychotherapie-Inanspruchnahme. Auch wenn kein statistisch signifikanter Interaktionseffekt für die Inanspruchnahme von Psychotherapie nachgewiesen werden konnte, wiesen die deskriptiven Daten dennoch auf eine allgemein stärker ausgeprägte psychische Belastung und höhere Krankheitsschwere zu t0 bei den Frauen mit Psychotherapieinanspruchnahme hin.

Schlussfolgerungen: Die Spezialsprechstunde wird von Frauen mit peripartalen psychischen Belastungen gut angenommen und gibt innerhalb von wenigen Stunden die Möglichkeit für eine auf das jeweilige Anliegen angepassten Diagnostik, Problemanalyse, Krisenintervention, Kurzzeittherapie, Psychopharmakotherapie bzw. Vermittlung in weiterführende ambulante oder stationäre Psychotherapieangebote. Erstgebärende, Frauen mit Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen und Frauen mit psychischen Störungen in der Vorgeschichte sollten über peripartale psychische Beschwerden, deren Behandelbarkeit und über verfügbare Versorgungsstrukturen im Rahmen der Geburtsvorbereitung und Nachsorge aufgeklärt werden. Ein Großteil der Patientinnen konnte in eine für sie geeignete Therapieform vermittelt werden, was für eine gute Netzwerkarbeit spricht. Dabei ließ sich die Psychotherapie-Inanspruchnahme durch konkrete Hilfestellung bei der Therapievermittlung durch den Sprechstundentherapeuten und einem positiven Beziehungserleben im Erstgespräch positiv beeinflussen. Die Ergebnisse zur Psychotherapieinanspruchnahme weisen auf eine Selbstselektion der Patientinnen hin: Frauen mit einer stärker ausgeprägten Psychopathologie konnten für die Inanspruchnahme von Psychotherapie motiviert werden; weniger stark psychisch belastete Frauen erfuhren durch die Kurzintervention innerhalb der Sprechstunde Stabilisierung und Entlastung. Patientinnen mit einem eher selbstsicheren Persönlichkeitsstil, einem guten globalen Funktionsniveau, einer geringen psychischen Komorbidität und ohne psychische Vorbelastung sollten frühzeitig herausgefiltert und für eine Kurzzeitpsychotherapie motiviert werden. Die Sprechstunde übernimmt als "Weichensteller" eine wichtige Funktion im Versorgungsnetz und leistet einen Beitrag zur Prävention von Mutter-Kind-Beziehungsstörungen und potentiell nachfolgenden Verhaltens- und emotionalen Problemen des heranwachsenden Kleinkindes. Die Verfügbarkeit dieses professionellen Hilfsangebotes hilft den potentiellen Zuweisern im Umgang mit ihren eigenen Unsicherheiten bzgl. der Behandlung und fördert somit in gewisser Weise erst das „Hinsehen“ und damit die adäquate Versorgung von Mutter und Kind. / Background: Mental disorders during pregnancy and postpartum period have a high prevalence of 10 to 15%. Their treatment is of particular importance with respect to their far-reaching negative consequences for pregnancy, birth, mother-child-relationship, and child development (Alder et al., 2007, Reck, 2015). Although the knowledge about these negative consequences is well documented which results in the necessity of a specialized urgent care, different limits and problem areas can be identified within the care landscape. Firstly, there exists an objective lack of therapeutic services with fast access, particularly in rural areas (Köllner, 2012). Secondly, uncertainties on the side of the therapist concerning the psychotherapeutic and/or psychopharmacological treatments and the treatment setting (bringing the newborn to therapy, mother-child-treatment, Weidner et al., 2012) can be identified. Finally, women in pregnancy and postpartum period hardly seek professional help, which can be explained through fears of stigmatization or of possible side effects, knowledge about supply deficits in psychological health care, and problems with treatment organization (Freed et al., 2012). To overcome these deficits, a cross-sector multidisciplinary treatment for women with perinatal mental disorders was established in Dresden. A significant part of this treatment service is the special consultation hour called "Psychisch gesund für Zwei", offered by the Department of Psychotherapy and Psychosomatics at University Hospital Dresden.

In the present work the special consultation was evaluated in order to show the status quo, identify supply gaps, compare objective treatment needs and treatment utilization, analyze influencing factors for psychotherapy use, as well as to analyze the psychopathology over time in relation to psychotherapy use.

Objectives: The research questions included: (1) How are the women visiting the special consultation hour characterized? (2) The general evaluation of the consultation service: How is the assignment mode? How long do patients have to wait for their first contact? How many consultations are attended and how satisfied are the patients with the recommended treatments and the offered support concerning re-assignments? (3) What kind of treatment was how often recommended and utilized by the women within a period of six months? (4) Which factors influence the utilization of psychotherapy? (5) How does the mental condition change in the course of psychotherapy utilization?

Methods: This research is based on a supply sample with two measurement time points: N=147 women (49 pregnant, 98 postpartal; mean age 29.9 ± 5.3 years SD; aged from 18 to 45 years) were interviewed at their first contact (t0) and 6 months later (t1). At t0, socio-demographic data, information concerning pregnancy and birth, psychopathology by SKID-I, BSI, EPDS and GAF-scale, style of personality by PSSI, social support by F-SozU, and evaluations of the special consultation hours (assignment mode, satisfaction with the special consultation, therapeutic relationship) were assessed with the help of a self-designed questionnaires. At t1, the degrees of satisfaction with treatment recommendations, transfer to an appropriate form of treatment and active support in seeking recommended treatment were also assessed by self-designed questionnaires. Women, to whom the utilization of psychotherapy had been recommended at t0, were interviewed regarding their psychotherapy utilization at t1. At t1, the sample size was 102 women which corresponds to a participation rate of 69,4%.

Results: Women who attended the special consultation hours had a high level of education and were living together with a partner or were married. Two thirds of them were primiparae. Woman who joined the consultation service already during pregnancy were more likely to have an unplanned and unwanted pregnancy than women who were participating postpartum. Most frequently, anxiety and depressive disorders were diagnosed, followed by adjustment disorders. Almost 75% of women reported mental disorders in their personal medical history and 60% indicated pregnancy or birth complications. There was a high level of satisfaction with the consultation at short waiting periods and an average of 2-3 therapeutic contacts. Main assigning healthcare professionals were gynecologists, midwifes and psychotherapists. Altogether, patients were content with treatment recommendations and the support for acquiring further treatment possibilities. Out of 102 women, 88 women (86,3%) were recommended a psychotherapy. If recommended, psychotherapy was utilized in 78,4% of cases. Significant factors influencing the utilization of treatment were the comorbidity of mental disorders, mental disorders in personal medical history, low levels of global functioning, distinct compulsiveness and anxiety, restrained-avoidant-considerate personality traits, a positive therapeutic relationship at initial consultation and active support in seeking recommended psychotherapy. Psychopathology improved in the course of 6 months for both, women who utilized psychotherapy, as well as for those without psychotherapy. Although no statistically significant interaction effect for the utilization of psychotherapy could be proven, the descriptive data indicated a stronger severity of disease at t0 for women who utilized psychotherapy.

Conclusions: The opportunity to attend the special consultation was received very well by women suffering from peripartal mental disorders. The consultations offered short-range adequate diagnosis, problem analysis, crisis intervention, short-term treatment, psychopharmacological therapy or the transferal to ambulatory and hospital psychotherapy. Primiparae, women with pregnancy or birth complications, and women with mental disorders in their medical history should be informed about peripartal mental symptoms, their treatability and available mental health services in the context of birth preparation and postnatal care. The majority of patients could be transferred successfully to an appropriate form of treatment, which indicates efficient networking activities among health professionals. The active support by healthcare professionals in seeking psychotherapy had a positive impact on the factual utilization of recommended psychotherapeutic treatments. With regard to the utilization of psychotherapy, the results suggest a self-selection of the patients: Women with increased severity of mental disorders could successfully be motivated to seek psychotherapy; less severe mentally strained women profited from short-term intervention within the consultation through stabilization and relief of strain. Patients with a confident personality, sufficient global level of functioning, slight mental comorbidity and without prior mental charge should be selected early and then motivated to seek short-term psychotherapy. The special consultation hours play an important role in the treatment of peripartal mental disorders and make an important contribution to prevent mother-child attachment disorders and potential behavioral and emotional problems of the growing child. The availability of this professional offer helps potentially re-assigning healthcare professionals to deal with their own uncertainties regarding adequate treatment and encourages them to pay closer attention to this topic, which eventually results in an adequate treatment for mother and child.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:14-qucosa-235264
Date31 May 2018
CreatorsGalle, Michaela
ContributorsTechnische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Prof. Dr. med. habil. Kerstin Weidner, Prof. Dr. med. habil. Kerstin Weidner, PD Dr. phil. Jörg Reichert
PublisherSaechsische Landesbibliothek- Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
Languagedeu
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/pdf

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