Schlachtrinder werden in Deutschland gegenwärtig fast ausnahmslos mittels Bolzenschuss betäubt. Gründe dafür sind neben der guten Handhabbarkeit und Zuverlässigkeit der Geräte die hohe Betäubungssicherheit bei richtig gewähltem Ansatz des Gerätes am Kopf des Tieres. Dessen ungeachtet kommt es, durch menschliche als auch technische Fehler bedingt, immer wieder vor, dass Rinder nach dem ersten Schuss nicht oder nur unzureichend betäubt sind. Laut einschlägiger Literatur sind teilweise bis zu 32 % der Rinder von einer suboptimalen Betäubung betroffen, sowie bis zu 7 % von einer völlig fehlenden Betäubungswirkung nach dem ersten Schuss. Aus Sicht des Tier- als auch des Arbeitsschutzes ist es notwendig alle Tiere genauestens auf Anzeichen zu beobachten, die auf eine mangelhafte Betäubung oder auf ein Wiedererlangen der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit hindeuten und diese Tiere gegebenenfalls nachzubetäuben.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu prüfen, ob eine Automatisierung der Betäubungsüberwachung mithilfe eines Wiegesystems möglich ist. Hierzu wurden Wiegezellen unter einer Betäubungsfalle installiert, um den Verlauf des Niederstürzens der Tiere nach erfolgter Betäubung aufzuzeichnen. Durch das zunächst ruckartige Anziehen der Gliedmaßen und das darauf folgende Zusammenbrechen der Tiere entsteht ein charakteristischer Gewichtskurvenverlauf, welcher mit der Betäubungsqualität korreliert wurde. Hierfür wurden umfangreiche Daten zur Betäubungseffektivität an 10.154 Jungbullen an einem kommerziellen Schlachtbetrieb erhoben und im Zusammenhang mit den aufgezeichneten Wiegeprotokollen ausgewertet. Herangezogen wurden zur Beurteilung des Betäubungserfolges sowohl bewährte Parameter (u. a. sofortiges Niederstürzen, negativer Corneal- bzw. Palpebralreflex und Verlust der regelmäßigen Atmung) als auch weniger übliche oder umstrittene Befunde, deren Aussagekraft geprüft werden sollte (u. a. Pupillenform, Zungen-, Ohr- und Schwanztonus, Restatemzüge und Reaktion auf Entblutestich).
Anhand der insgesamt 21 erhobenen Befundparameter wurden die Tiere zum Zwecke der Auswertung in ein Schema eingeteilt. Demnach war die Betäubungswirkung nach dem ersten Schuss bei 0,3 % der Jungbullen fehlend, bei 1,8 % mangelhaft, bei 4,1 % fraglich und bei 7,4 % tadellos. 82,2 % der Tiere waren ausreichend betäubt, zeigten jedoch mindestens einen der zu prüfenden Befunde. Nachbetäubt wurden insgesamt 4,6 % der Rinder. Die zu prüfenden Parameter „keine runde, dilatierte Pupille“, „Pupille schlitzförmig“, „Ohrtonus“ und „deutliche Reaktion auf Entblutestich“ traten signifikant häufiger bei Tieren mit unzureichender Betäubungstiefe auf, während bei „Zungentonus“, „Schwanztonus“, „Restatemzügen“ und „deutlicher Erregung vor dem Schuss“ keine Korrelation erkennbar war. Die Ergebnisse zeigten auch, dass v. a. die Parameter „Schwanztonus“ und „aktives Hochziehen“ von verschiedenen Personen sehr subjektiv wahrgenommen wurden. Besondere Beachtung wurde dem Parameter „wiederkehrende regelmäßige Atmung“ geschenkt, da er erst zu einem relativ späten Zeitpunkt nach der Bolzenschussbetäubung auftritt. Eine solche wiederkehrende Atmung ca. 60 s nach der Betäubung trat bei 19 % der als unzureichend betäubt eingestuften Jungbullen sowie bei insgesamt 1,2 % aller untersuchten Tiere auf. 38 % dieser Tiere wies vorher bereits eine Bulbusrotation auf, sowie 22 % Nystagmus, während lediglich 4 % bzw. 2 % der Tiere ohne wiederkehrende Atmung diese Befunde zeigten. Zwischen der Länge des „stun-to-stick-Intervalls“ und dem Befund „wiederkehrende regelmäßige Atmung“ wurde kein verlässlicher Zusammenhang hergestellt. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung sind die Parameter „Zungentonus“, „Schwanztonus“, „Restatemzüge“, „deutliche Erregung vor dem Schuss“ und „aktives Hochziehen“ folglich wenig oder gar nicht aussagekräftig in Bezug auf die Betäubungsqualität. Im Gegensatz dazu sollte bei Bulbusrotation, Nystagmus und erhaltenem Ohrtonus eine sehr gewissenhafte weitere Beobachtung des Tieres bzw. eine „Sicherheits-Nachbetäubung“ erfolgen, um einem Wiederkehren der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Rindes zuvorzukommen. Darüber hinaus scheint eine präzise Betäubung und sorgfältige Beobachtung der Tiere bis zum Ende der „Schwall-Entblutung“ zudem zielführender im Hinblick auf den Tierschutz als eine rigide Einhaltung des vorgeschriebenen „stun-to-stick-Intervalls“ von 60 s.
Anhand der aufgezeichneten Wiegeprotokolle konnten 94 % der Tiere mit fehlender Betäubungswirkung bei einer Spezifität von 98 % korrekt als solche erkannt werden. Für Tiere mit mangelhafter Betäubungswirkung betrug die Sensitivität lediglich 49 %, bei einer Spezifität von 78 %. Nach den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit ist das entwickelte Wiegesystem folglich zur Echtzeit-Analyse der Betäubungstiefe in dieser Form wenig geeignet, da Rinder mit gering ausgeprägten Anzeichen unzureichender Betäubungstiefe nicht mit ausreichend hoher Sensitivität und Spezifität erkannt werden konnten. Echte Fehlbetäubungen allerdings (kein Niederstürzen der Tiere beim ersten Betäubungsversuch) sind mithilfe des erläuterten Wiegesystems überwiegend gut identifizierbar. Eine kontinuierliche statistische Erfassung dieser Fehlbetäubungsrate, wie sie mit Beschluss 672/12 vom Bundesrat gefordert wird, wäre durch das entwickelte System daher möglich. / In Germany, slaughter cattle are stunned by captive bolt with almost no exceptions. Reasons for this are the good practicability and reliability of the (stunning) device, as well as the high stunning safety when a correct positioning of the device on the animal’s head is ensured. Due to human or technical faults it can still happen that cattle are not at all or not sufficiently stunned after the first shot. According to relevant literature, in some cases up to 32 % of the cattle are affected by suboptimal stunning, and up to 7 % by complete stunning failure at the first shot. Both from an animal welfare and working safety point of view, it is necessary to thoroughly monitor all animals for signs of insufficient stunning or recovery of consciousness and, if necessary, to re-stun them.
The aim of this study was to determine if the monitoring of stunned cattle could be automated with the help of a weighing system. For this purpose, a weight scale was installed under the stunning box to plot the animals’ collapsing after the stun. The jerky lifting of the limbs and the following collapse create a characteristic weight curve, which was correlated to the stunning efficiency. For this purpose extensive data referring to the stunning efficiency were collected in 10,154 young bulls on a commercial slaughtering plant and interpreted in context with the recorded weight protocols. For the assessment of stunning efficiency, both established (e.g. immediate collapse, negative corneal- and palpebralreflex, cessation of rhythmic breathing) as well as less proved parameters (e.g. form of pupils, muscle tone of tongue, ears and tail, post stun exhalation, reaction to sticking), were used and the significance of the latter was investigated.
On the basis of the 21 assessed parameters the animals were classified in a scheme for further analysis. According to this scheme, the stunning effect of the first shot was totally absent in 0.3 % of the young bulls, incomplete in 1.8 %, doubtful in 4.1 % and perfect in 7.4 %. 82.2 % of the animals were adequately stunned, but showed at least one of the parameters to be checked. In total 4.6 % of the cattle were re-stunned. The parameters “pupils not round and dilatated”, “pupils slit-like”, “ear muscle tone” and “clear reaction to sticking” appeared significantly more often in animals with imperfect concussion, while muscle tone of tongue and tail, post stun exhalation, and clear excitement before stunning could not be correlated with the stunning efficiency. The results showed also that the parameters “muscle tone of tail” and “lifting on the bleeding rail” in particular, were judged very subjectively between different persons. Special attention was paid to the parameter “regular breathing regained” as it occurs at a quite late stage after captive bolt stunning. Such recurring breathing about 60 s after stunning appeared in 19 % of young bulls classified as imperfectly stunned as well as in 1.2 % of all examined animals. Before regaining regular breathing, 38 % of these animals showed a rotation of the eye and 22 % showed nystagmus whereas only 4 % and 2 % respectively of the animals without recurring breathing showed these results. No reliable correlation was found between the length of the stun-to-stick intervals and the parameter “regular breathing regained”. According to the findings of this study the parameters “muscle tone of tongue and tail”, “post stun exhalation”, “clear excitement before stunning” and “lifting on the bleeding rail” are either not, or only slightly, conclusive as to the stunning efficiency. In contrast to that, there should be a very careful observation of the animals showing “rotation of the eye”, “nystagmus” or “ear muscle tone”, or a safety re-stun to prevent the cattle from regaining consciousness and sensibility. Furthermore a careful observation of the animals until the end of bleeding seems to be more important in terms of animal welfare than the rigid fulfilling of the prescribed stun-to-stick-interval of 60 s.
With the help of the weight protocols, 94 % of the animals with absent stunning effect could be correctly identified, with a specificity of 98 %. For animals with incomplete stunning effect the sensitivity was only 49 %, with a specificity of 78 %. According to the results of this study, the developed system is not suitable in this form as a real-time-surveillance system to decide whether there should be a re-stun or not, as cattle with less distinctive signs of imperfect stunning efficiency could not be recognized with sufficiently high sensitivity and specificity. However, complete stunning failures (no collapse after first stun) are predominantly well detectable with the explained scale system. A continuous statistical recording of stunning failures, as demanded by the Bundesrat in the resolution (Beschluss) 672/12, would therefore be possible with the developed system.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:13484 |
Date | 16 June 2015 |
Creators | Schwarz, Judith |
Contributors | Lücker, Ernst, Troeger, Klaus, Klein, Günter, Universität Leipzig |
Publisher | Max Rubner-Institut |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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