Pulmonale Surfactant-Proteine sind seit vielen Jahrzehnten bekannt und wurden erstmals in der Lunge beschrieben, wo sie wichtige Funktionen wie die Reduktion der Oberflächenspannung der Alveolarflüssigkeit erfüllen. Aufgrund dieser Eigenschaft stellen diese Proteine Eckpfeiler in der Therapie des Atemnotsyndroms von Frühgeborenen dar, seitdem sie synthetisch produziert werden können. Während der letzten Jahre wuchs das Interesse an zerebralen Surfactant-Proteinen, die rheologische Eigenschaften von Grenzmembranen beeinflussen sowie immunmodulatorische Aufgaben erfüllen und in Verbindung mit Entzündungen des ZNS sowie hydrozephalen Zuständen stehen.
Das Surfactant-Protein-G (SP-G) wurde ebenfalls zunächst in der Lunge nachgewiesen, später aber auch im Gehirn. Dort wurde es z.B. entlang der Blut-Hirn-Schranke detektiert und zeigte veränderte Proteinlevel bei intrazerebralen Blutungen, Infektionen oder dem posthämorrhagischen Hydrozephalus. Weiterhin wird eine mögliche Rolle des SP-G für das glymphatische System diskutiert.
Es galt lange Zeit als sicher, dass dem ZNS ein Lymphgefäßsystem fehlt und Schadstoffe über den Liquor cerebrospinalis in die venösen Duralsinusse geleitet werden. Seit einigen Jahren ändert sich jedoch das Bild von der „Abfallentsorgung“ im Gehirn, wobei die Astroglia eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Mit ihren Endfüßen umgeben diese Zellen die intrazerebralen Arterien und erzeugen über polarisierte Aquaporin 4 (AQP4) -Kanäle einen durch arterielle Pulsation ausgelösten, gerichteten Einstrom von Flüssigkeit aus dem periarteriellen Raum in das Hirnparenchym. Nachdem sie das Parenchym durchflossen haben, werden die transportierten Flüssigkeiten über perivenöse und perineuronale Räume sowie über Lymphgefäße innerhalb der Duralsinusse zu den extrakraniellen Lymphknoten geleitet. Dieses System wird als Glia-lymphatisches, kurz glymphatisches, System bezeichnet. Eine Störung des Flüssigkeitsstroms führt auch zu einer gestörten Entsorgung von schädlichen Metaboliten, darunter β-Amyloid (Aβ).
Hauptsächlich aus Aβ bestehende senile Plaques und Neurofibrillen aus hyperphosphoryliertem Tau sind die histopathologischen Hauptkennzeichen der Alzheimerschen Erkrankung (AD), der mit Abstand häufigsten Demenzform. Weltweit sind etwa 50 Millionen Menschen von der AD betroffen, was zu enormen familiären, gesellschaftlichen und ökonomischen Belastungen führt. Steigendes Alter ist der Hauptrisikofaktor für das Auftreten der AD, sodass diese Belastungen insbesondere in der alternden deutschen Bevölkerung noch weiter zunehmen werden. Hieraus erklärt sich das enorme Forschungsinteresse an dieser Krankheit. Dabei ermöglichen Tiermodelle für einzelne Aspekte der AD Untersuchungen ihrer Pathogenese sowie die Entwicklung möglicher Therapie- und Behandlungsansätze.
Die vorliegende Studie basiert auf dem etablierten 3xTg-Mausmodell, das Alzheimer-artige Veränderungen und kognitive Einschränkungen aufweist, sowie altersgleichen Wildtyp-Mäusen, die als Vergleichsgruppe dienten. Hauptziele der durchgeführten Untersuchungen waren immunhistochemische Analysen der Lokalisation von SP-G im Vorderhirn von Mäusen, die Lagebeziehungen von SP-G-Immunreaktivität (Ir) zu Komponenten der Neurovaskulären Einheit (NVU) und zu AD-Läsionen in alten 3xTg-Mäusen sowie biochemische Analysen der Proteinlevel von SP-G im Gehirn von Versuchstieren unterschiedlichen Alters und Genotyps.
Mittels Fluoreszenz-Dreifachmarkierungen wurden zunächst die Lagebeziehungen zwischen SP-G-Ir und neuronalen, glialen sowie vaskulären Komponenten der NVU detektiert. Der Nachweis von Nervenzellen gelang durch indirekte Immunfluoreszenz mit Antikörpern gegen neuronale Nuklei (NeuN), Mikroglia wurden mit anti-Iba (Ionisiertes Kalium-bindendes Adapter-Molekül 1) visualisiert, während Astrozyten durch die Marker GFAP (Saures Gliafaserprotein) und S100β sowie astrozytäre Endfüße durch AQP4-Ir sichtbar wurden. Biotinylierte Lektine aus der Kartoffel (Solanum tuberosum Lektin, STL) und der Tomate (Lycopersicon esculentum Agglutinin, LEA) dienten zusammen mit fluorochromierten Streptavidin-Derivaten der simultanen Detektion von Gefäßen.
Die vorliegende Studie zeigt erstmals SP-G-immunreaktive Somata und Zellfortsätze von Neuronen z.B. in der Habenula, im Hypothalamus und im Infundibulum. SP-G-Ir in sensorischen Fortsätzen bipolarer Interneurone, die in Kontakt mit dem Liquor cerebrospinalis stehen, ist ein Hinweis auf eine mögliche Rolle des Proteins bei Kontrolle und Regulation von Liquorzusammensetzung und -fließgeschwindigkeit. Zusätzlich vorliegende vorläufige Befunde zu SP-G-Ir in mit dem Plexus choroideus assoziierten Iba-positiven Kolmer-Zellen bleiben noch zu validieren.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit war der Nachweis von SP-G-Ir in dotartigen, häufig geclustert auftretenden Ablagerungen vor allem im Hippokampus, aber auch im piriformen Kortex. Die SP-G-Dots zeigten sich in 3xTg-Mäusen mit altersabhängigen Aβ-Plaques und hyperphosphoryliertem Tau stets räumlich getrennt von diesen Läsionen. Die geclustert auftretenden Dots waren auch immunpositiv für Reelin und ähnelten im Erscheinungsbild den in früheren Studien detektierten Ablagerungen z.B. von Laminin-bindendem Protein und SP-C.
Ein Hauptgegenstand der vorliegenden Studie war die computergestützte Semiquantifizierung von SP-G-immunreaktiven hippokampalen Dots in insgesamt 55 3xTg- und Wildtyp-Mäusen im Alter von 3, 6, 12, 16 und 24 Monaten. Dabei ergab sich unabhängig vom Genotyp eine starke und signifikante Zunahme der SP-G-immunpositiven Ablagerungen im Altersgang der untersuchten Tiere. Außerdem zeigten 3xTg-Mäuse einen signifikant erhöhten hippokampalen Anteil der dotartigen Ablagerungen im Vergleich mit den altersentsprechen Wildtyp-Mäusen.
Abschließender Schwerpunkt waren biochemische Analysen zur Quantifizierung des SP-G-und Reelin-Gehalts in der Gesamtproteinfraktion sowie im intra- und extrazellulären Kompartiment des ZNS von 3xTg- und Wildtyp-Mäusen. Die durchgeführten Enzymimmunassays (ELISAs) umfassten Hirnproben von 67 Tieren im Alter zwischen 3 und 24 Monaten. Dabei korrelierte das zunehmende Alter der 3xTg-Mäuse mit erhöhten SP-G-Konzentrationen, während sich bei Wildtyp-Tieren keine signifikante Veränderung im Altersgang nachweisen ließ. Zudem zeigten die transgenen Tiere höhere SP-G-Level als altersgleiche Wildtypen. Darüber hinaus waren auch die Reelin-Level aller Altersgruppen in 3xTg-Mäusen höher als in Wildtyp-Mäusen. Eine Korrelation zwischen zunehmendem Alter und Reelingehalt konnte für 3xTg-Mäuse nachgewiesen werden, wogegen sich diese Korrelation in Wildtyp-Tieren invers zeigte.
Die hier vorgelegten Ergebnisse deuten auch auf eine mögliche Rolle von SP-G bei der Pathogenese der AD hin. Dennoch bildet diese Arbeit nur einen Ausgangspunkt für zukünftige Studien von Funktionen des SP-G innerhalb des glymphatischen Systems und für die zerebrale Immunabwehr. Zusätzliche elektronenmikroskopische Analysen von SP-G in Gehirnen weiterer Säugetier-Spezies sowie in autoptischen humanen Proben bleiben wünschenswert.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:84666 |
Date | 12 April 2023 |
Creators | Meinicke, Anton |
Contributors | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
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Relation | 10.3390/biom12010096 |
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