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Die Analyse von Transfusionszwischenfällen an den Instituten für Rechts- und Transfusionsmedizin Leipzig: Eine explorative retrospektive Studie an 322 Patienten

Transfusionen sind eine grundlegende Therapiemaßnahme (Murphy et al., 2011; Hatayama et al., 2018) und eine der am häufigsten durchgeführten Prozeduren im klinischen Alltag (Delaney et al., 2016; Pfuntner et al., 2011). Heute stellen sie eine sichere Behandlungsmaß-nahme dar, nichtsdestotrotz können Fehler im Transfusionsprozess auftreten und zu schweren Reaktionen der Patienten sowie zu tödlichen Verläufen führen (Aubron et al., 2018).
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, im Rahmen einer retrospektiven Beobachtungsstudie das Wissen über Transfusionszwischenfälle zu erweitern und einen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit zu leisten. Folgende Fragen sollen beantwortet werden:
– Welche Merkmale weist die beobachtete Kohorte auf?
– Wo finden die meisten Zwischenfälle statt und war die Hämotherapiemaßnahme indiziert?
– Welche Fehler treten in der Transfusionskette beim Personal auf und welche rechtlichen Konsequenzen resultieren daraus?
– Wie ist der Ausgang der Transfusionsreaktionen und gibt es eine klinische Konsequenz aus den Ereignissen?
– Verfahren die behandelnden Ärzte im Management der Zwischenfälle nach den aktuell gültigen Leitlinien?
In der vorliegenden Arbeit wurden zur Datengenerierung transfusionsmedizinische Akten, Sektionsberichte, Digitalisate von Sektionen und Gerichtsakten genutzt. Die zu erfassenden Variablen orientierten sich an dem Protokoll zur Transfusionsreaktion des Universitätsklini-kums Leipzig sowie den Formblättern für Transfusionsreaktionen des Paul-Ehrlich-Institutes. Die statistische Auswertung erfolgte mit SPSS Statistics und umfasste zur Beschreibung der deskriptiven Daten Häufigkeiten, Mittelwerte, den Median und die Standardabweichung. Mit Hilfe von Kreuztabellen, dem Chi-Quadrat-Test nach Pearson auf Unabhängigkeit und dem Fisher-Yates-Test wurde bestimmt, ob ein Zusammenhang zwischen kategorialen Variablen besteht. Zur Ermittlung der Signifikanz wurden Phi und Cramér‘s V bestimmt.
Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig lag für die Datenanalyse vor (Zeichen: 499/20-ek).
Insgesamt konnten 322 Transfusionszwischenfälle in die Studie eingeschlossen werden. Aus dem Institut für Transfusionsmedizin Leipzig stammten 314 Fälle, die Institute für Rechtsmedizin der Universitäten Leipzig und Dresden konnten jeweils 4 Fälle beitragen. Es wurden alle aktenkundig gewordenen Transfusionszwischenfälle der Jahre 2011 bis 2019 des Instituts für Transfusionsmedizin Leipzig in die Studie eingeschlossen. Im Institut für Rechtsmedizin Leipzig wurden alle Akten mit dem Kürzel A14 (medizinische Behandlungs-fehler) der Jahre 1990 bis 2019 eingesehen (n = 932). Ergab sich hierbei als Todesursache ein Transfusionszwischenfall oder trug ein solcher zum tödlichen Verlauf einer Erkrankung bei, wurden diese Fälle eingeschlossen. Das Institut für Rechtsmedizin Dresden traf selbstständig eine Auswahl der Fälle in den Jahren 2010 bis 2019 und stellte diese zur Verfügung.
Im Zeitraum von 2011 bis 2019 wurden insgesamt 312.803 Erythrozytenkonzentrate, 59.850 Thrombozytenkonzentrate und 137.999 gefrorene Frischplasma-Dosen an das Universitäts-klinikum Leipzig sowie externe Abnehmer ausgegeben. Lediglich 0,06 % aller Transfusio-nen waren mit einem Zwischenfall assoziiert; pro Jahr traten durchschnittlich 35 Fälle auf. Die Altersspanne erstreckte sich von 0 bis 92 Jahren (M = 53,0 Jahre, Mdn = 60,0, SD = 24,4). Die Geschlechter waren genau gleichverteilt. Die häufigsten Grunderkrankungen der Patienten stammten mit 35,4 % aus dem hämatologischen Bereich, gefolgt von der Chirurgie mit 21,5 % sowie der Inneren Medizin mit 17,1 %. Allergische Reaktionen waren mit 55,9 % die häufigste Zwischenfallart und bei 9,0 % der Reaktionen war ein Handlungsfehler des Personals als ursächlich anzusehen. Hierbei wurde besonders häufig der Bedside-Test fehlerhaft bzw. nicht durchgeführt (3,7 % der Handlungsfehler) oder es erfolgte eine nur unzureichende Identitätskontrolle der Konserve und des Patienten (1,6 %) bzw. eine Verwechslung des Blutproduktes und eine Fehltransfusion (1,6 %). Im klinischen Manage-ment der Zwischenfälle verfuhren 80,4 % der behandelnden Ärzte leitlinienkonform. Bei 96,3 % der Patienten wurden klinische Symptome einer Reaktion nach der Gabe des Blutproduktes dokumentiert. Am häufigsten waren hierbei Unwohlsein und ein Temperatur-anstieg (78,3 %) sowie Schüttelfrost und Urtikaria/Hautjucken (59,0 %). In 58,1 % der Fälle war der Patient nach dem Abklingen der Symptome wiederhergestellt bzw. rekonvaleszent, bei 3,4 % (n = 11) endete die Transfusionsreaktion tödlich. In einem Fall kam es hierbei zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Personals. In einem weiteren wurden die Ermittlun-gen seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der größte Anteil der Transfusionszwischen-fälle ereignete sich auf Normalstationen (78,9 %) und Intensiv- bzw. Intermediate Care-Stationen (IMC; 13,4 %). 1,2 % der Transfusionen (n = 4) waren nach der gültigen Leitlinie (Bundesärztekammer, 2020) als nicht indiziert anzusehen. Eine klinische Konsequenz wurde in 23,3 % der Patientenfälle dokumentiert. Die beiden häufigsten klinischen Folgerungen waren der Hinweis, dass für den jeweiligen Patienten bei Thrombozytenkonzentratgabe nur HLA-ausgewählte Präparate verabreicht werden sollten (57,3 %) und dass die Durchführung einer HLA-Diagnostik sinnvoll sei (29,3 %).
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Gabe von Erythrozytenkonzentraten und der Art des Zwischenfalles zeigte sich eine mittlere Effektstärke: 81,9 % der allergischen Reaktionen waren mit diesem Blutprodukt assoziiert. Die Gabe von gefrorenem Frischplas-ma führte zu signifikant weniger klinischen Symptomen und eine hohe Signifikanz konnte beim Einfluss der Zwischenfallart auf die klinischen Symptome ermittelt werden.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, wie wichtig die Implementierung einer systematischen und standardisierten Datenerfassung im Rahmen von Hämovigilanz-systemen ist, um das Verständnis über Transfusionsreaktionen weiter auszubauen und somit die Sicherheit der Patienten während Hämotherapiemaßnahmen zu erhöhen. Um die juristische Sicherheit des transfundierenden Personals zu erhöhen, sollten im Rahmen des Qualitätsmanagements bei tödlichen Zwischenfällen mehr forensische Obduktionen durchgeführt werden. Dies würde eine umfassendere Bearbeitung der Fälle gewährleisten und somit das Verständnis der Ursachen verbessern. Weitere Studien zu dieser Thematik könnten die Vorteile dieser Vorgehensweise im internationalen Vergleich beleuchten oder eine Datenerfassung über das Nominalniveau hinaus vornehmen, um so noch differenzierte-re Aussagen zu den Patientenkollektiven und den Zusammenhängen zwischen Transfusion und Transfusionsreaktion treffen zu können.:Abbildungsverzeichnis III
Tabellenverzeichnis IV
Abkürzungsverzeichnis V
1 Einleitung 1
1.1 Definition Transfusionszwischenfall und Near-Miss-Ereignis 1
1.2 Rechtliche Grundlagen 1
1.3 Indikationen der verschiedenen Blutprodukte 2
1.3.1 Erythrozytenkonzentrate 2
1.3.2 Thrombozytenkonzentrate 3
1.3.3 Gefrorenes Frischplasma 3
1.4 Einteilung der Transfusionszwischenfälle 3
1.4.1 Allergischer Zwischenfall 4
1.4.2 Febriler, nicht-hämolytischer Zwischenfall (FNHTR) 5
1.4.3 Hämolytischer Zwischenfall 5
1.4.4 Anaphylaktischer Zwischenfall 7
1.4.5 Fehltransfusion/Inkompatibilität 8
1.4.6 TRALI 9
1.4.7 TACO 10
1.5 Vorgehen bei einem Zwischenfall 12
1.6 Fehlermanagement 12
2 Zielstellung 15
3 Material und Methoden 16
4 Ergebnisse 18
4.1 Ausgewählte Fallbeispiele des Instituts für Rechtsmedizin Leipzig 27
4.1.1 Fall 1 27
4.1.2 Fall 2 28
4.1.3 Fall 3 29
4.1.4 Fall 4 30
5 Diskussion 31
5.1 Diskussion der Methodik 34
5.2 Schlussfolgerungen 35
6 Publikationsmanuskript 36
7 Zusammenfassung 45
Literaturverzeichnis 48
Anhang 53
Erklärung über die eigenständige Abfassung der Arbeit 63
Darstellung des eigenen Beitrags 64
Lebenslauf 65
Danksagung 66

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:93623
Date09 September 2024
CreatorsNitsche, Elisabeth
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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