Return to search

Psychische Belastung, Familienbeziehungen und Kommunikation über die politische Haft in Familien ehemaliger politisch Inhaftierter der DDR

In der DDR waren Schätzungen zufolge ungefähr 200 000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Für viele von ihnen hat diese Inhaftierung bis heute negative Folgen für ihre psychische Gesundheit. Verschiedene Studien belegten erhöhte Prävalenzen psychischer Störungen in der Gruppe der ehemaligen Inhaftierten, vor allem hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die zum Teil über Jahrzehnte persistierte.
Die Familien der ehemaligen Inhaftierten standen hingegen bisher nur selten im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die politische Haft und damit in Zusammenhang stehende Erlebnisse auch für Angehörige politisch inhaftierter Menschen langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben konnten. Zum einen war das Miterleben der Haft und anderer Formen politischer Gewalt potenziell belastend, und es wurde verschiedentlich berichtet, dass auch Angehörige in der DDR Ziel politischer Repressionsmaßnahmen wurden. Zum anderen wurde aus anderen Kontexten berichtet, dass sich eine Traumatisierung als sogenannte sekundäre Traumatisierung (Figley, 1983) auf Angehörige der traumatisierten Person auswirke. Als Mechanismen dieser sekundären Traumatisierung wurden unter anderem die Beeinträchtigung der Familienbeziehungen sowie eine über innerfamiliäre Kommunikation vermittelte psychische Belastung diskutiert.
In der vorliegenden explorativen Untersuchung sollte deshalb geprüft werden, ob Partner*innen und Kinder ehemaliger Inhaftierter der DDR erhöhte Symptome psychischer Belastung aufwiesen und weiter, inwieweit diese auf Mechanismen primärer und sekundärer Traumatisierung zurückzuführen waren.
Für die Angehörigen ehemaliger politisch Inhaftierter wurde angenommen, dass sie zum einen durch das Miterleben der politischen Haft und gegen sie gerichtete nichtstrafrechtliche Repressionsmaßnahmen stärker psychisch belastet sein würden, zum anderen, dass diejenigen, deren Partner*in bzw. Mutter oder Vater eine PTBS aufwies, höhere Symptome psychischer Störungen aufweisen würden. Zudem sollte erfasst werden, inwieweit die Befragten potenziell belastenden Stressoren im Zusammenhang mit der politischen Haft ausgesetzt waren.
Für die Analyse der sekundären Traumatisierung wurde eine erhöhte Belastung der Familienbeziehungen bei PTBS der Indexperson postuliert und eine vergleichsweise geringere Belastung auf der Individual- und Familienebene bei moderater innerfamiliärer Kommunikation über die politische Haft im Vergleich zu häufiger und seltener Kommunikation.
Die Untersuchung wurde über die Befragung von 91 ehemaligen Inhaftierten, 35 Partner*innen sowie 64 erwachsenen Kindern (n=91 Familien) realisiert. Die Symptome psychischer Störungen wurden über die Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS) sowie die Symptom-Checklist-27 (SCL-27) erfasst, die Familienbeziehungen über das Family Assessment Device (FAD) sowie die Family Adaptability and Cohesion Scales (FACES-III). Alle anderen Dimensionen wurden über selbst entwickelte Items erhoben.

Es ergaben sich signifikant höhere Prävalenzen der PTBS und Hinweise auf das Vorliegen anderer psychischer Störungen im Vergleich zu gematchten Vergleichsstichproben aus Repräsentativbefragungen in allen drei Untersuchungsgruppen. Ein substantieller Teil der PTBS konnte auch für die befragten Angehörigen auf Erlebnisse im Zusammenhang mit der politischen Haft zurückgeführt werden, wobei allein das Miterleben politischer Verfolgung im Gruppenvergleich nicht mit signifikant höheren Symptomen psychischer Störungen assoziiert war. Für die ehemaligen Inhaftierten wurde die in anderen Untersuchungen berichtete hohe Prävalenz der PTBS und hohe Belastung durch andere Symptome psychischer Störungen bestätigt. Zudem ergaben sich Hinweise darauf, dass die PTBS der ehemaligen Inhaftierten zu einer erhöhten psychischen Belastung ihrer Partner*innen und Kinder führte. Diese sind jedoch vor dem Hintergrund methodischer Einschränkungen lediglich als Hinweise zu interpretieren und bedürfen einer eingehenderen Überprüfung.
Die Diagnose einer PTBS ging in der Gruppe der Indexpersonen mit als dysfunktionaler eingeschätzten Familienbeziehungen einher. In der Gruppe der Partner*innen galt dies in geringerem Maße, und in der Gruppe der Kinder ergab sich kein Zusammenhang. In Bezug auf die innerfamiliäre Kommunikation über die Haft zeigte sich für die ehemaligen Inhaftierten die vergleichsweise höchste psychische Belastung bei geringer Kommunikationshäufigkeit. Für die Nachkommen wurde die postulierte geringste psychische Belastung bei moderater erinnerter Häufigkeit innerfamiliärer Gespräche über die Haft bestätigt. Somit wurde die Bedeutsamkeit der Kommunikation über die politische Haft für die Vermittlung psychischer Belastung bestätigt. Hinsichtlich der Familienbeziehungen ergeben sich jedoch Widersprüche zu bestehenden Ergebnissen anderer Studien.
Die Ergebnisse belegen, dass ein Teil der Angehörigen der ehemaligen Inhaftierten in politische Repressionsmaßnahmen in der DDR einbezogen wurde und dass die Erfahrungen der politischen Haft über die ehemaligen Inhaftierten hinaus langfristige negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit ihrer Familienmitglieder haben konnten. Primäre Traumatisierung durch Erlebnisse in Zusammenhang mit der politischen Haft wurde auch für Partner*innen und Kinder ehemaliger Inhaftierter bestätigt. In Bezug auf die Prozesse sekundärer Traumatisierung wurden die Ergebnisse anderer Studien, nach denen die PTBS der Indexperson mit höherer psychischer Belastung ihrer Partner*innen und Kinder einhergehe, nur tendenziell bestätigt.
Auf der Grundlage der Ergebnisse, die bestehende wissenschaftliche Befunde aus anderen Kontexten teilweise stützen, ihnen zum Teil widersprechen, wurden abschließend Empfehlungen für die Differenzierung des Konzepts der sekundären Traumatisierung und dessen methodische Umsetzung erarbeitet.:1 VORBEMERKUNG 2
2 EINFÜHRUNG 3
3 THEORETISCHER HINTERGRUND 5
3.1 Politische Inhaftierung in der DDR 5
3.2 Folgen politischer Inhaftierung in der DDR für die Betroffenen 10
3.2.1 Traumatisierungen und Traumafolgestörungen – Definition und Modelle 11
3.2.2 Traumatisierungen und Traumafolgestörungen – Prävalenzraten 16
3.2.3 Risiko- und Schutzfaktoren für das Auftreten von Traumafolgestörungen 18
3.2.4 Ergebnisse zu psychischen und körperlichen Auswirkungen politischer
Haft in SBZ und DDR 19
3.3 Familie und politische Inhaftierung in der DDR 23
3.3.1 Belastungen durch die Inhaftierung eines oder mehrerer
Familienmitglieder 24
3.3.2 Gegen Angehörige gerichtete nichtstrafrechtliche
Repressionsmaßnahmen 27
3.4 Familie und Traumatisierung 29
3.4.1 Definitionen und Modelle: Familie und Familienstressoren 29
3.4.2 Definitionen und Modelle: Sekundäre Traumatisierung und familiäre
Bewältigung 33
3.4.3 Ergebnisse zu Auswirkungen von Traumatisierungen auf Familien 40
4 FRAGESTELLUNG 50
4.1 Zusammenfassung und Integration der theoretischen Befunde 50
4.2 Zielsetzung der Arbeit 52
4.3 Fragestellungen 53
4.4 Umsetzung der Fragestellungen in Hypothesen 54
5 METHODISCHE UMSETZUNG DER FRAGESTELLUNG 59
5.1 Untersuchungsdesign 59
5.2 Erhebungsinstrumente 59
5.3 Stichprobe 67
5.3.1 Gewinnung der Stichprobe 67
5.3.2 Rücklaufquote 70
5.3.3 Vergleichsstichproben 70
5.4 Kennwerte 71
5.5 Statistische Analyse 71
6 ERGEBNISSE 75
6.1 Beschreibung der Stichprobe 75
6.2 Politische Haft 79
6.2.1 Inhaftierte Familienmitgliedern in den befragten Familien 79
6.2.2 Dauer der politischen Haft, Tatvorwürfe, subjektive Vorhersehbarkeit
und Ort der Haftentlassung 80
6.2.3 Kontakt zu Partner-/innen und Kindern während der Haftzeit 82
6.2.4 Die Lebenssituation der Angehörigen 84
6.2.5 Erinnerte psychische Belastung während der Haftzeit
in den drei Gruppen 88
6.3 Nichtstrafrechtliche Repressionsmaßnahmen 89
6.4 Ausreise 93
6.5 Kommunikation über die politische Haft 93
6.5.1 Kommunikation in der Gruppe der ehemaligen Inhaftierten 93
6.5.2 Kommunikation in der Gruppe der Partner/ innen 98
6.5.3 Kommunikation in der Gruppe der Kinder 100
6.5.4 Einschätzung des Wissens über die politische Haft 104
6.6 Primäre Traumatisierung 106
6.6.1 Subjektive psychische Belastung und Bedeutsamkeit
der politischen Haft für das eigene Leben 106
6.6.2 Familienfunktionen 110
6.6.3 Beschreibung der Vergleichsstichproben 112
6.6.4 Trauma / PTBS 113
6.6.5 Belastung durch Symptome psychischer Störungen 123
6.6.6 Zusammenhänge zwischen erlebten Stressoren und
psychischer Belastung 129
6.7 Sekundäre Traumatisierung 135
6.7.1 PTBS der Indexperson und Symptome psychischer Störungen
der Angehörigen 135
6.7.2 PTBS der Indexperson und Einschätzung der Familienbeziehungen 138
6.7.3 Zusammenhänge zwischen der psychischen Belastung
der Familienmitglieder 140
6.7.4 Zusammenhänge zwischen der psychischen Belastung
der Indexpersonen und der Einschätzung der Familienbeziehungen 144
6.7.5 Kommunikation und psychische Belastung 147
6.7.6 Kommunikation und Familienbeziehungen 155
7 DISKUSSION 160
7.1 Zentrale Ergebnisse 160
7.1.1 Stressoren im Zusammenhang mit der politischen Haft 160
7.1.2 Kommunikation über die politische Haft 165
7.1.3 Psychische Belastung 170
7.1.4 Familienbeziehungen 175
7.1.5 Primäre Traumatisierung 178
7.1.6 Sekundäre Traumatisierung 181
7.1.7 Traumatisierung und Kommunikation über die Haft 191
7.2 Weiterführende Diskussion 196
7.3 Einschränkungen 200
7.4 Ausblick 207
8 LITERATURVERZEICHNIS 212
9 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 244
10 TABELLENVERZEICHNIS 246
11 DANKSAGUNG 249

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:76858
Date03 December 2021
CreatorsBöhm, Maya
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/updatedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

Page generated in 0.0067 seconds