Die fortlaufend stärkere Durchdringung unseres Alltags mit digitalen Technologien wird besonders deutlich durch tragbare Geräte wie Smartphones, auf die jederzeit zugegriffen werden kann. Noch einen Schritt weiter gehen körpernah getragene, vernetzte Self-Tracking-Systeme wie Aktivitätstracker, welche kontinuierlich Bewegungsdaten und physiologische Parameter erfassen, algorithmisch aufbereiten und an die Nutzer*innen als quantifiziertes Feedback, oft zur Verhaltensmodifikation, zurückmelden. Diese spezifische Form der Interaktion zwischen Mensch und Technologie – körpernah, kontinuierlich, quantifiziert, vernetzt und persuasiv – ist für die Ingenieurpsychologie besonders relevant, da sie eine sehr enge Verbindung von Körper und Technik erfordert und spezifische Herausforderungen für die Stärkung der Selbstbestimmung ihrer Nutzer*innen bereithält. Einerseits dienen Aktivitätstracker der erleichterten Selbstreflexion durch Sichtbarmachung von Zusammenhängen, die zuvor verborgen blieben, wie etwa zwischen sportlicher Aktivität und Ruheherzfrequenz. Andererseits sollen Aktivitätstracker die Motivation für körperliche Verhaltensänderungen steigern. Die Nutzung von Aktivitätstrackern bewegt sich also potenziell in einem Spannungsfeld zwischen der Steigerung von Selbstbestimmung durch erweitertes Wissen sowie Aufzeigen von Handlungsoptionen und der Einschränkung der Selbstbestimmung durch persuasive Strategien zur Motivationssteigerung. Dieses Spannungsfeld bedingt neue Ansätze zur Beziehungsgestaltung zwischen Mensch und Trackingsystem.
In der empirischen Forschung zur Nutzung von Aktivitätstrackern wird häufig darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Nutzenden nach wenigen Wochen oder Monaten den kontinuierlichen Gebrauch beendet. Dieser Befund deutet daraufhin, dass Barrieren existieren, die die Langzeitnutzung unwahrscheinlicher machen. Des Weiteren wird immer wieder über negative Effekte der Trackernutzung berichtet, beispielsweise Stress. Allerdings ist auch bekannt, dass zahlreiche andere Personen ihr Trackingsystem über Jahre hinweg intensiv und erfolgreich gebrauchen. Es lässt sich also in Bezug auf die Nutzungstrajektorien eine bedeutsame Varianz feststellen, die es zu erklären gilt, um Self-Tracking-Anwendungen für diverse Nutzende gewinnbringend zu gestalten. Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, ist es unabdingbar zu verstehen, welche individuellen Differenzen in der Gruppe der Nutzer*innen die Interaktion mit dem Aktivitätstracker, insbesondere in Bezug auf motivationale Aspekte, prägen. Dieser Herausforderung stellt sich die vorliegende Dissertation und greift dazu auf etablierte Theorien und Konzepte der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie zurück.
Da der theoriegeleitete Einbezug von Personenmerkmalen in die ingenieurpsychologische Forschung noch wenig vorangetrieben war, bestand zu Beginn des Promotionsvorhabens die Notwendigkeit, ein Konstrukt zu konzeptualisieren, welches zum einen auf einem stabilen psychologischen Theoriefundament steht und zum anderen spezifisch auf den Kontext der Mensch-Technik-Interaktion zugeschnitten ist. Im Rahmen der vorliegenden Dissertation wurde aus diesem Grund an der Herleitung der interaktionsbezogenen Technikaffinität (ATI) als kontextspezifische Variante der Denkfreude und ihrer Messbarmachung gearbei-tet. Insgesamt umfassten die Datenerhebungen zur Bestimmung der Gütekriterien der ATI-Skala fünf Datensätze mit über 1500 Teilnehmenden. Das Resultat der Skalenentwicklung ist ein unidimensionales, ökonomisches, reliables und valides Erhebungsinstrument der interaktionsbezogenen Technikaffinität (Artikel 1). Als relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das die Motivation zur Auseinandersetzung mit Technik grundlegend beeinflusst, wurde ATI in die folgenden Studien zur Interaktion zwischen Mensch und Aktivitätstracker miteinbezogen.
Um die alltägliche, individuelle Mensch-Tracker-Interaktion umfassend zu verstehen und erklären zu können, wie es zu den unterschiedlichen Nutzungsverläufen kommt, müssen verschiedene Phasen der Nutzung untersucht werden. Zunächst ist zu klären, welche Motivatoren Menschen eigentlich dazu veranlassen, mit der Trackernutzung zu beginnen. Weiterhin ist die Nutzungsphase selbst zu beleuchten, um zu beschreiben, wie sich die oben beschriebene, spezifische Form der Trackerinteraktion auf die Nutzungserfahrung und anhaltende Motivation auswirkt und wie sich negative Nutzungskonsequenzen bemerkbar machen. Schließlich sind zum Verständnis der Nutzungstrajektorien die Gründe für den Abbruch zu berücksichtigen, sodass auch die Phase nach der Nutzung relevant ist. Da sich diese Dissertation dezidiert damit beschäftigt, wie sich die Interaktion mit Aktivitätstrackern im Alltag gestaltet, ist die Untersuchung der Nutzung in Stichproben von tatsächlichen bzw. ehemaligen Aktivitätstracker-Nutzer*innen angezeigt. Aus diesem Grund wurden zwei Online-Erhebungen durchgeführt, um ebendiese Stichproben zu erreichen.
Das Ziel der ersten Studie (N = 210) war die quantitative Analyse von Nutzungsmotivationen sowie unintendierten, negativen Effekten der Trackernutzung im Alltagsgebrauch. Es zeigte sich, dass das Tracken sowohl zum Selbstzweck (intrinsische Motivation) als auch zur Erreichung eines externen Ziels (extrinsische Motivation) durchgeführt wird und diese Motivationstypen oft gleichzeitig auftreten. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass negative Effekte in Form von Motivationsverlusten in Bezug auf die Trackernutzung und die körperliche Aktivität eine Rolle im Alltag vieler Nutzer*innen spielen. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Effekte wird teilweise von Personenmerkmalen wie ATI und der Nutzungsmotivation bestimmt (Artikel 2). Die zweite Studie nahm ehemalige Nutzer*innen (N = 159) in den Blick und fokussierte auf die Erfassung der Gründe für den Nutzungsabbruch sowie die Stabilität der Abbruchentscheidung. Die Ergebnisse machten deutlich, dass zahlreiche Nutzungsbarrieren für die Entscheidung, den Tracker abzulegen, ausschlaggebend sind. Außerdem sind die Abbruchentscheidungen oft nicht permanent, was auf eine episodische Trackernutzung hindeutet (Artikel 3). Schließlich wurden wiederum Personenmerkmale und außerdem Interaktionscharakteristika in Betracht gezogen, um die große Varianz hinsichtlich Abbruchgründen und -permanenz zu erklären. Die Analysen offenbarten unter anderem, dass eine episodische Nutzung (d. h. nicht endgültige Beendigung) wahrscheinlicher ist, wenn sich die Nutzungsmotivation durch einen hohen Grad an Selbstbestimmung auszeichnet (Artikel 4).
Abschließend betonen die Befunde der Dissertation die zentrale Rolle der wahrgenommenen Selbstbestimmung im Kontext der Mensch-Tracker-Interaktion und geben Anlass für Designrichtlinien, die die Beziehung zwischen Trackingsystem und Nutzer*in mit all ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und individuellen Merkmalen berücksichtigen, um so die Selbstbestimmung zu erhalten oder sogar durch vertieftes Selbstwissen zu stärken. / The ongoing permeation of our daily life with digital technologies is particularly evident in wearable devices such as smartphones, which can be accessed at any time. Wearable, connected self-tracking systems such as activity trackers go even a step further. They continuously record movement data and physiological parameters, process them algorithmically and provide quantified feedback to the user, often for behavioral modification. This specific form of interaction between humans and technology – close to the body, continuous, quantified, connected, and persuasive – is particularly relevant for engineering psychology, as it requires a very close connection between body and technology and poses specific challenges for strengthening the self-determination of its users. That is, on the one hand, activity trackers serve to facilitate self-reflection by revealing relationships which were previously hidden, such as the relationship between physical activity and resting heart rate. On the other hand, activity trackers are intended to enhance motivation for physical behavioral changes. The use of activity trackers thus potentially moves in a field of tension between the increase of self-determination through expanded knowledge as well as the identification of behavioral options and the restriction of self-determination through persuasive strategies to increase motivation. This tension requires new approaches to the design of relationships between people and tracking systems.
Empirical research on activity tracker usage often highlights that a large proportion of users stop continuous use after a few weeks or months. This finding suggests the existence of barriers that make long-term use less likely. Furthermore, negative effects of tracker use, such as stress, are repeatedly reported. However, it is also known that many other users have enjoyed intensive and successful use of their tracking system for many years. Thus, a significant variance in usage trajectories can be observed, which needs to be explained in order to make self-tracking applications beneficial for diverse users. To meet this goal, it is essential to understand which individual differences in the group of users shape the interaction with their activity tracker, especially with respect to motivational aspects. This dissertation addresses this challenge by drawing on established theories and concepts of personality and social psychology.
At the beginning of the dissertation project, the theory-based inclusion of personal characteristics in engineering psychology had not yet been sufficiently advanced. Thus, there was a need to conceptualize a construct which, on the one hand, stands on a stable psychological theoretical foundation and, on the other hand, is specifically tailored to the context of human-technology interaction. For this reason, the conceptualization of affinity for technology interaction (ATI) as a context-specific variant of need for cognition and its measurability took place within the context of the dissertation. In total, the data collection to determine the quality criteria of the ATI scale comprised five data sets with over 1500 participants. The result of the scale development is a unidimensional, economical, reliable, and valid survey instrument of ATI (Article 1). As a relatively stable personality trait that fundamentally influences motivation to engage with technology, ATI was included in subsequent studies of human-activity tracker interaction.
In order to comprehensively understand the everyday, individual human-tracker interaction and to be able to explain how the various usage patterns occur, different phases of usage must be examined. First, it must be clarified which motivators actually cause a person to start using a tracker. Furthermore, the usage phase itself must be examined to describe how the specific form of tracker interaction described above affects the usage experience and ongoing motivation, and how negative usage consequences become apparent. Finally, to understand usage trajectories, the reasons for discontinuation need to be considered, hence the post-usage phase is also relevant. Since this dissertation decidedly focuses on the interaction with activity trackers in everyday life, the investigation of actual or former activity tracker users is indicated. For this reason, two online surveys were conducted to assess these actual (former) users.
The aim of the first study (N = 210) was to quantitatively analyze motivations for usage as well as unintended, negative effects of tracker usage in daily use. It was shown that tracking is performed both for an end in itself (intrinsic motivation) and to achieve an external goal (extrinsic motivation), and that these motivation types often occur simultaneously. Furthermore, it was shown that negative effects in terms of motivation losses with respect to tracker use as well as physical activity play a role in many users' daily lives. The likelihood of these effects occurring is partly determined by personal characteristics such as ATI and motivation for usage (Article 2). The second study examined former users (N = 159) and focused on the reasons for discontinuing use and the stability of abandonment. The results indicated that numerous barriers to use are decisive for the decision to discontinue tracking. In addition, abandonment decisions are often not permanent, suggesting episodic tracker use (Article 3). Finally, person and interaction characteristics were considered to explain the large variance in abandonment reasons and permanence. The analyses revealed, among other things, that episodic use (i.e., not definitive termination) is more likely when the motivation for usage is characterized by a high degree of self-determination (Article 4).
In conclusion, the findings of the dissertation emphasize the central role of perceived self-determination in the context of human-tracker interaction and give rise to design guidelines that take into account the relationship between the tracking system and the user with all its interdependencies and individual characteristics in order to preserve or even strengthen self-determination through deeper self-knowledge.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:85634 |
Date | 16 June 2023 |
Creators | Attig, Christiane Brunhilde |
Contributors | Strobel, Anja, Franke, Thomas, Technische Universität Chemnitz |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German, English |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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