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Fatigue bei unipolarer Depression, immunologischen und (neuro-) inflammatorischen Erkrankungen: die Rolle des ZNS-Arousal

Pathologische Fatigue wird von PatientInnen mit einem breiten Spektrum immunologischer, (neuro-) inflammatorischer und psychiatrischer Erkrankungen berichtet. Dabei kann Fatigue sowohl ein Zustand ausgeprägter Tagesschläfrigkeit, Energie- und Antrieblosigkeit sein (i.S.v. sickness behavior; häufig beobachtet im Kontext immunologischer und (neuro-)inflammatorischer Prozesse), als auch ein Zustand der Erschöpfung mit einer hohen inneren Anspannung, Antriebshemmung und Einschlafstörungen, welcher typisch für unipolare Depression ist. Um diese auf der physiologischen Ebene diametral entgegengesetzten Zustände auseinanderzuhalten, wurde eine Unterteilung in Fatigue mit Hypoarousal und Fatigue mit Hyperarousal vorgeschlagen (Hegerl et al., 2013). Die zugrundeliegenden Unterschiede des ZNS-Arousal und seiner Regulation können objektiv mittels EEG erfasst werden. Das ZNS-Arousal bildet ein Spektrum globaler Hirnfunktionszustände, die auf der Verhaltensebene von angespannter Wachheit über Ruhewachzustand und Dösigkeit bis in den Tiefschlaf reichen und auf der elektrophysiologischen Ebene unterschiedlichen EEG-Vigilanzstadien entsprechen. Die Mehrheit der gesunden ProbandInnen zeigt während eines 15-minütigen Ruhe-EEG mit geschlossenen Augen einen kontinuierlichen Abfall der Vigilanzstadien bis hin zum Einschlafen; nur wenige verbleiben in höheren Vigilanzstadien oder zeigen einen raschen Abfall in niedrige Stadien. Demgegenüber verbleiben depressive PatientInnen deutlich länger in höheren Vigilanzstadien (hyperstabile Arousalregulation), während bei PatientInnen mit tumorbedingter Fatigue niedrigere Vigilanzstadien früher und häufiger auftreten als bei gesunden Kontrollen (instabile Arousalregulation).

Publikation 1: Mehr als 90% der PatientInnen klagen über schwere Fatigue während einer depressiven Episode. Zugleich weist eine Vielzahl klinischer und neurophysiologischer Studien auf eine Assoziation zwischen unipolaren Depressionen und ZNS-Hyperarousal hin – neben der hyperstabilen Arousalregulation gehören auch Hyperaktivität der HPA-Achse und abweichende ANS-Parameter zu den typischen Befunden. Mehrheitlich berichten diese PatientInnen von Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen und Müdigkeit im Sinne von Erschöpfung bei innerer Daueranspannung. Gleichwohl werden von einem Teil der PatientInnen verlängerte Schlafzeiten und/oder exzessive Tagesschläfrigkeit angegeben, und während einer Ruhe-EEG-Messung mit geschlossenen Augen erreicht nur ein geringer Anteil niedrige Vigilanzstadien (Hypoarousal). Fragestellung: unterscheiden sich PatientInnen mit Fatigue und mit Hypoarousal hinsichtlich der depressiven Symptomatik von denen ohne Hypoarousal? Methode: Es wurden retrospektive Daten von 102 Patienten mit Fatigue während einer depressiven Episode analysiert. Nach Auswertung der 15-minütigen Ruhe-EEG-Messungen mittels VIGALL 2.1 erfolgte die Zuteilung in Gruppen mit oder ohne ZNS-Hypoarousal welche danach hinsichtlich ihrer Angaben zu Fatigue, depressiven Symptomatik, „trait“ und „state“ Tagesschläfrigkeit und Schlafqualität verglichen worden sind.
Ergebnis: Trotz ausgeprägter Fatigue zeigten nur 23.5% Anzeichen der Dösigkeit oder des Schlafbeginns nach 15 Minuten unter schlaffördernden Bedingungen. Was bei doppelt so vielen gesunden ProbandInnen (48,3%; Hegerl, Wilk et al., 2012) und sogar bei 59% einer Patientenstichprobe mit ähnlich schwerer tumorbedingter Fatigue beobachtet wurde (Olbrich et al., 2012). Dass der Rest der Stichprobe in höheren Vigilanz Stadien verblieb, bekräftigte erneut den Befund einer hyperstabilen Arousalregulation bei Depression. Die Gruppe mit Hypoarousal hatte signifikant höhere „state“ und „trait“ Schläfrigkeit, beklagte größere Konzentrationsschwierigkeiten (BDI-II), mehr Energieverlust (BDI-II), und stärkere kognitive Fatigue (MFI-20). Die erfasste Instabilität der Arousalregulation könnte Konzentrationsschwierigkeiten und die damit zusammenhängende kognitive Fatigue erklären. Stärker ausgeprägte Energielosigkeit steht im Einklang mit dem Modell von Hegerl und Ulke (2016), demnach das ZNS-Hypoarousal mit Antriebsmangel und ZNS-Hyperarousal mit Antriebshemmung einhergehen. Demgegenüber waren suizidale Gedanken marginal häufiger (BDI-II; p=.051) in der Gruppe ohne Hypoarousal und eine exploratorische partielle Korrelationsanalyse ergab einen signifikanten Zusammenhang (rho=.27, p=.018) zwischen ZNS-Arousal und dem Auftreten der Selbstmordgedanken, wenn Alter, Geschlecht und BDI-II Gesamtwert als Kontrollvariablen berücksichtigt wurden. Dieser Befund bekräftigt die Rolle des ZNS-Hyperarousal in der Pathophysiologie der suizidalen Gedanken.

Publikation 2: Fatigue gehört zu den häufigsten Symptomen einer ganzen Reihe immunologischer und (neuro-) inflammatorischer Erkrankungen wie Krebs, rheumatische Erkrankungen, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose. Verschiedene Indikatoren des ZNS-Hypoarousal wie exzessive Tagesschläfrigkeit, kurze Einschlaflatenzen, instabile Arousalregulation und Unterfunktion der HPA-Achse wurden für mehrere dieser Krankheiten aufgezeigt. Gleichzeitig weisen diese Erkrankungen hohe Komorbiditäten zu Depression auf. Fragestellung: Ist bei PatientInnen mit immunologischen/(neuro-)inflammatorischen Erkrankungen und Fatigue das ZNS-Hyperarousal mit höheren Depressionswerten assoziiert?
Methode: Daten von 60 ProbandInnen mit Krebs, neuroinflammatorischen und autoimmunen Erkrankungen aus der 60+LIFE Kohorte der LIFE-Adult Studie wurden analysiert. Nach Auswertung der 20-minütigen Ruhe-EEG-Messungen erfolgten Gruppenzuteilung und Vergleich hinsichtlich Fatigue, depressiven Symptomatik, „trait“ Tagesschläfrigkeit und subjektiven Schlafqualität. Ergebnis: Die Gruppe mit ZNS-Hyperarousal erzielte signifikant höhere Depressionswerte, welche vor allem durch depressionstypische Symptome wie z.B. verlängerte Einschlaflatenzen, Niedergeschlagenheit und Anspannung zustande kamen, und nicht lediglich durch Symptome der somatischen Erkrankungen selbst wie z.B. Schmerz oder negative Sicht auf die Zukunft. Obwohl ProbandInnen mit einer aktuellen depressiven Episode ausgeschlossen worden waren, berichteten 7% der Gesamtstichprobe von moderaten bis schweren depressiven Symptomen, weitere 53% gaben leichte depressive Symptome an. Die im Kontext einer depressiven Episode bereits mehrfach bestätigte Assoziation zwischen dem ZNS-Hyperarousal und der depressiven Symptomatik könnte somit bereits im subklinischen Bereich existieren.
Die Ergebnisse der vorliegenden Dissertation untermauern die Validität einer ZNS-Arousal geleiteten Differenzierung zweier Fatigue-Subtypen. Studien zur Pathophysiologie der Fatigue und Wirksamkeit therapeutischer Interventionen könnten durch die Berücksichtigung des generalisierten ZNS-Arousal höhere Homogenität innerhalb der Patientengruppen erzielen. Ebenfalls konnte die Rolle des ZNS-Hyperarousal als Marker der Depression wiederholt bestätigt werden.:Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zwei Gesichter der Fatigue
1.2 Theoretisches Modell der Arousalregulation des zentralen Nervensystems
1.3 Der Vigilanz Algorithmus Leipzig
1.4 Fatigue und Arousal im Kontext der unipolaren Depression
1.5 Fatigue und Arousal im Kontext immunologischer und (neuro-)inflammatorischer Erkrankungen
1.6 Klinische Relevanz der Differenzierung von zwei Fatigue-Subtypen
1.7 Fragestellungen der vorliegenden Arbeit
2 Publikationen
2.1 Publikation 1
2.2 Publikation 2
3 Zusammenfassung der Arbeit
4 Literaturverzeichnis
5 Darstellung des eigenen Beitrags
6 Selbstständigkeitserklärung
7 Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang
8 Danksagung

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:87288
Date05 October 2023
CreatorsSurova, Galina
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman, English
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess
Relationhttps://doi.org/10.1007/s00406-020-01216-w, https://doi.org/10.3390/brainsci10090569

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