Hintergrund: Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. Auf Platz vier folgen psychische und Verhaltensstörungen (Statistisches Bundesamt, 2020). Verschiedene Studien zeigen, dass Straßenverkehrslärm das Risiko erhöht, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder an einer Depression zu erkranken (Seidler et al., 2017; WHO, 2018). Zunehmend betrachten Studien die Auswirkungen von Straßenverkehrslärm und Luftschadstoffen auf die Gesundheit unter Berücksichtigung der jeweiligen anderen Exposition (Sørensen et al., 2014; Zijlema et al., 2016). Systematische Übersichtsarbeiten, die den Einfluss der Berücksichtigung des potenziellen Confoundings durch Luftschadstoffe auf Krankheitsrisiken durch Straßenverkehrslärm untersuchen, gibt es bisher kaum. Lediglich die systematischen Reviews von Tétreault et al. (2013) und Vienneau et al. (2015) untersuchten die eventuelle Verzerrung der Risikoschätzer durch die jeweilige andere Exposition. Aufgrund der Zunahme der Studien zu dieser Fragestellung seit 2013 und den aktuellen Leitlinien der WHO für Umgebungslärm, die Lärmbelastung zu den wichtigsten umweltbedingten Gefahren für die Gesundheit zählen, soll mit Methoden der evidenzbasierten Medizin die Frage nach den „isolierten“ gesundheitlichen Auswirkungen von Straßenverkehrslärm auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen untersucht werden. Forschungsanliegen: Die verkehrslärmbedingten Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und depressive Erkrankungen sollen unter der Berücksichtigung des Einflusses von Luftschadstoffen mit einem systematischen Review mit Metaanalyse untersucht werden. Methode: Zunächst wurde mittels eines Rapid Reviews der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Herzkreislauferkrankungen sowie Depressionen zusammengefasst. Die Literaturrecherche wurde in der Datenbank PubMed durchgeführt, und die AMSTAR 2 Checkliste wurde zur Qualitätsbewertung der systematischen Reviews genutzt. Anschließend wurde ein originäres systematisches Review durchgeführt, eng angelehnt an die Arbeitsschritte, die vom Cochrane-Netzwerk entwickelt wurden. Demnach wurde nach dem Erstellen eines Studienprotokolls, dem Festlegen der Ein- und Ausschlusskriterien und der Entwicklung eines Suchstrings eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed, EMBASE und PsycInfo durchgeführt. Es folgte die Titel-/Abstract-Sichtung sowie eine anschließende Volltextsichtung durch zwei Reviewerinnen unabhängig voneinander. Zusätzlich wurde das „Risk of Bias“ (RoB) der eingeschlossenen Studien bewertet. Anschließend wurde geprüft, ob eine Metaanalyse durchgeführt werden kann. Zur Ermittlung der Verzerrung des Risikoschätzers für Straßenverkehrslärm durch Luftschadstoffe wurde mit dem Change-in-Estimate-Verfahren (CIE-Verfahren) der adjustierte Effektschätzer (mit Adjustierung für Luftschadstoffe) mit dem nicht für Luftschadstoffe adjustierten straßenlärmbezogenen Effektschätzer verglichen. Es wurden zur Berechnung des CIE-Wertes drei Hauptanalysen durchgeführt, bei denen drei unterschiedliche Rechenwege (1. nach Tétreault et al. (2013), 2. nach Floud et al. (2013) und 3. unter Anwendung der selbst abgeleiteten Methode der Exzess-Risiko-Veränderung) genutzt wurden. Weiterhin wurden zwei Sensitivitätsanalysen durchgeführt, die die Stabilität des CIE-Wertes gegenüber Veränderungen der Expositionsmetriken untersuchen sollten. Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die Risikoschätzer der einbezogenen Primärstudien auf einen kontinuierlichen Straßenverkehrslärmanstieg pro 10 dB umgerechnet und je nach Outcome-Definition einer Haupt- und vier Nebenanalysen unterzogen. In der Hauptanalyse wurden die Risikoschätzer der Inzidenz- und Prävalenzstudien zu MI, KHK und Schlaganfall zusammengefasst. Abschließend wurden die GRADE-Kriterien im Sinne einer Bewertung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz verwendet (Guyatt et al., 2011). Ergebnisse: Im Zuge des Rapid Reviews wurden 14 systematische Reviews eingeschlossen. In dieser Arbeit konnten die Ergebnisse von drei qualitativ hochwertigen Reviews zur Einschätzung der Erkenntnislage zu den Auswirkungen von Straßenverkehrslärm auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden. Auf Grundlage der qualitativ hochwertigen Reviews zeigte sich ein relevanter Einfluss von Straßenverkehrslärm auf Herzkreislauferkrankungen (RR: 1,08 pro 10 dB (LDEN); 95 % Konfidenzintervall (KI): 1,01–1,15 (Van Kempen et al., 2018)) und nur eine geringe Risikoerhöhung für eine Hypertonie (Dzhambov & Dimitrova, 2017, 2018). Zwei systematische Reviews betrachteten die Auswirkungen von Straßenverkehrslärm auf Depression und konnten keinen wesentlichen Einfluss von Straßenverkehrslärm aufzeigen. In das systematische Review konnten 22 Primärstudien eingeschlossen werden. Von diesen konnten sechs Inzidenzstudien, drei Prävalenzstudien und vier Mortalitätsstudien in die Metaanalyse einbezogen werden. Drei dieser Inzidenzstudien erhielten im Zuge der RoB-Bewertung eine hohe Qualitätsbewertung. Die Hauptanalyse zeigte für die Diagnose eines MI, einer KHK und eines Schlaganfalls eine statistisch signifikante Risikoerhöhung um 3 % pro 10 dB Erhöhung des Straßenverkehrslärmpegels nach Adjustierung für Luftschadstoffe. Die Ergebnisse zeigten, dass je nach verwendeter Methode die CIE-Werte stark variierten. Die von Tétreault et al. (2013) angewandte Methode sollte zukünftig nicht mehr verwendet werden, da sie bei einem linearen Risikoverlauf in Abhängigkeit von der Wahl des Nenners der Steigung (z.B. pro 10 dB, pro 30 dB) unterschiedliche CIE-Werte liefert. Bei allen Metaanalysen der Inzidenz- und Prävalenzstudien waren die für Luftschadstoff adjustierten gepoolten Risikoschätzer etwas größer als die gepoolten unadjustierten Risikoschätzer, lediglich bei den gepoolten Risikoschätzern der Mortalitätsstudien waren die adjustierten Risikoschätzer etwas kleiner als die nicht adjustierten. In keiner Analyse konnte ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen adjustierten und nicht adjustierten Risikoschätzern gefunden werden. Es fand-sich somit kein Anhalt für eine Überschätzung der Risiken von Straßenverkehrslärm durch einen konkurrierenden Effekt von Luftschadstoffen. Für Depressionen erlaubte die Studienlage keine Aussage dazu, ob die straßenverkehrslärmbezogenen Risiken bei fehlender Berücksichtigung eines potenziellen Confoundings durch Luftschadstoffe überschätzt werden. Schlussfolgerung: Zusammenfassend konnte mit Methoden der evidenzbasierten Medizin (Meta-Review in Form eines Rapid Reviews, systematisches Review mit Metaanalyse) ein Anstieg des Risikos für spezifische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (MI, KHK und Schlaganfall) um 3 % pro 10 dB Straßenverkehrslärm gefunden werden. Der vorgenannte Risikoschätzer berücksichtigt Luftschadstoffe als potenzielle Confounder. Eine fehlende Adjustierung für Luftschadstoffe führt in der Tendenz zu einem etwas geringeren straßenlärmbezogenen Risikoschätzer; der Unterschied zwischen adjustiertem und nicht adjustiertem Risikoschätzer ist allerdings statistisch nicht signifikant. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit kann geschlussfolgert werden, dass straßenverkehrslärmbezogene Risiken nicht zur Überschätzung tendieren, wenn nicht für Luftschadstoffe adjustiert wird. Studien und Reviews der letzten Jahre haben gezeigt, dass Menschen mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status die am stärksten exponierte Gruppe bezüglich Umweltfaktoren darstellen (Hoffimann et al., 2017; Seidler et al., 2019; WHO, 2019a). Maßnahmen zur Reduktion des Straßenverkehrslärms können das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen und auch für Depressionen verringern; die Planung solcher Maßnahmen sollte den Aspekt der Umweltgerechtigkeit berücksichtigen.:Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Formelverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Hintergrund
1.1.1 Betrachtete Krankheitsbilder
1.1.1.1 Herz-Kreislauf-Erkrankungen
1.1.1.2 Depression
1.1.2 Soziale Determinanten von Gesundheit
1.1.3 (Mögliche) pathophysiologische Auswirkungen der Straßenverkehrslärmexposition
1.1.4 (Mögliche) pathophysiologische Auswirkungen der Luftschadstoffe
1.1.5 Lärm
1.1.5.1 Straßenverkehrslärm
1.1.5.2 Maße und Erhebung
1.1.6 Luftschadstoffe
1.1.6.1 Definition
1.1.6.2 Maße und Erhebung
1.1.7 Potenzieller konkurrierender Effekt von Luftschadstoffen auf die Auswirkungen von Straßenverkehrslärm auf Herz-Kreislauf-Erkrankung und Depression
1.1.8 Konkurrierende Faktoren bzw. Confounding
1.2 Intention und Bedeutung des Reviews
1.3 Definition des Forschungsanliegens
2 Methoden
2.1 Rapid Review
2.1.1 Grundlegendes
2.1.2 Studienprotokoll
2.1.3 Formulierung der Forschungsfrage
2.1.4 Definition der Ein- und Ausschlusskriterien
2.1.4.1 Population
2.1.4.2 Exposition
2.1.4.3 Outcome
2.1.4.4 Design
2.1.5 Sprache und Zeitraum
2.1.6 Literaturrecherche und Erstellen eines Suchstrings
2.1.7 Sichtung und Auswahl der systematischen Reviews
2.1.8 Datenextraktion der Systematischen Reviews
2.1.9 AMSTAR 2–Instrument
2.2 Systematisches Review
2.2.1 Grundlegendes
2.2.2 Studienprotokoll
2.2.3 Formulierung der Forschungsfrage
2.2.4 Definition der Ein- und Ausschlusskriterien
2.2.4.1 Population
2.2.4.2 Exposition
2.2.4.3 Outcome
2.2.4.4 Design
2.2.5 Sprache und Zeitraum
2.2.6 Entwicklung eines Suchstrings
2.2.7 Elektronische Datenbanken
2.2.8 Ergänzende Suchstrategie
2.2.9 Studienselektion
2.2.10 Datenextraktion
2.2.11 Bewertung der Studienqualität
2.2.12 Statistische Auswertung
2.2.12.1 Betrachtung des möglichen konkurrierenden Effektes und Change-in-Estimate
2.2.12.2 Berechnung des CIE
2.2.12.3 Metaanalyse
2.2.13 Bewertung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz
3 Ergebnisse
3.1 Rapid Review
3.1.1 Literaturrecherche
3.1.2 Flussdiagramm
3.1.3 Charakteristika der eingeschlossenen Reviews und AMSTAR 2-Bewertung
3.1.4 Effekte der Exposition auf das Outcome
3.1.5 Primärstudien (NORAH-Studie zu Krankheitsrisiken)
3.1.6 Zusammenfassung der Ergebnisse mit Bezug zur Forschungsfrage des Rapid Reviews
3.2 Systematisches Review
3.2.1 Ergebnisse der Literaturrecherche
3.2.1.1 Elektronische Datenbanksuche
3.2.1.2 Flussdiagramm
3.2.1.3 Ergänzende Suchstrategie
3.2.1.4 Kontaktieren der Autor*innen
3.2.2 Verlauf der Studienselektion
3.2.3 Allgemeine Studien Merkmale
3.2.3.1 Publikationsjahre
3.2.3.2 Länder und Stichprobengrößen
3.2.3.3 Einzelstudien
3.2.4 Qualitätsbewertung der Studien – Risk of Bias
3.2.5 Effekte der Exposition auf das Outcome
3.2.5.1 Inzidenzenzstudien zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und kardiovaskulären Erkrankungen
3.2.5.2 Inzidenzenzstudien zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Myokardinfarkt
3.2.5.3 Inzidenzenzstudien zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Schlaganfall
3.2.5.4 Prävalenzstudien zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
3.2.5.5 Mortalitätsstudien zu den Auswirkungen von Straßenverkehrslärm auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen
3.2.5.6 Inzidenzstudien zum Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Depression
3.2.6 Metaanalyse
3.2.6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
3.2.6.2 Change-in-Estimate-Berechnung
3.2.7 Publikationsbias
3.2.8 Bewertung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz
3.2.9 Beantwortung der Forschungsfragen
3.2.9.1 Gibt es einen Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Herzkreislauf-Erkrankung sowie Depression, wenn gleichzeitig die Exposition gegenüber Luftschadstoffen (z.B. NOX; PM2.5; PM10) berücksichtigt wird?
3.2.9.2 Was ist die Expositions-Risiko-Beziehung von Straßenverkehrslärm und Herz-Kreislauf-Erkrankung und Depression, wenn die Exposition gegenüber Luftschadstoffen berücksichtigt wird?
4 Diskussion
4.1 Rapid Review
4.1.1 Interpretation
4.1.2 Stärken und Limitationen
4.2 Systematisches Review
4.2.1 Ergebnisdarstellung vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur
4.2.2 Interpretation der Ergebnisse
4.2.2.1 Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter der Berücksichtigung von Luftschadstoffen
4.2.3 Stärken und Limitationen
4.2.3.1 Stärken
4.2.3.2 Mögliche Fehlerquellen und Limitationen
4.2.4 Publikationsbias
4.2.5 Bewertung der Vertrauenswürdigkeit der Evidenz
4.3 Schlussfolgerung und Ausblick
Zusammenfassung
Summary
Literaturverzeichnis
Anhang
Danksagung
Anlagen
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:78644 |
Date | 01 April 2022 |
Creators | Hopf, Antonia |
Contributors | Seidler, Andreas, Bauer, Andrea, Technische Universität Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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