Smartwatches übernehmen im Alltag verschiedene Aufgaben wie das Annehmen von Telefongesprächen, das Empfangen von Nachrichten oder gar das Überwachen von Vitalfunktionen. Mittels eingebauter Sensoren lassen sich Puls- und Herzfrequenz kontrollieren, Blutdruck sowie Sauerstoffgehalt des Blutes messen und seit 2018 ein Elektrokardiogramm (EKG) aufzeichnen. Zudem verfügen Smartwatches über Warnsignale, die aktiviert werden, sobald ausgewählte Parameter einen gesundheitsgefährdenden Wert erreichen. Mit dem stetigen Tragen einer Smartwatch werden kontinuierlich Daten generiert, selbst wenn sich der Anwender im Schlaf befindet. Insbesondere für Patienten mit bereits bestehendem Krankheitsbild können diese Funktionen der Smartwatches ein nützliches Werkzeug in der Patientenbegleitung darstellen.
Zu einer solchen Gruppe gehören Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). Diese in Deutschland nachweislich am schlechtesten kardiologisch versorgte Patientengruppe weist sehr heterogene Krankheitsbilder auf. Geprägt durch die Diversität von Herzanatomien und die dadurch kardiophysiologisch veränderte Erregungsausbreitung können die Herzachsen, der Situs (Levo-, Meso- und Dextrokardie) und die ventrikuläre Anatomie (biventrikulär, single left und single right ventricle) von der Anatomie eines gesunden Herzens deutlich abweichen. Demzufolge kann die Funktionalität des Herzens und des Herzkreislaufes negativ beeinflusst werden. Klinische Daten zeigen bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern im Verhältnis zur Allgemeinbevölkerung eine signifikant erhöhte Morbidität und Mortalität. Begründet ist dies in einem steigenden Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz, einer infektiösen Endokarditis, einer Arrhythmie und ihrer Folgekomplikationen. Insbesondere Arrhythmien und deren Symptome können intermittierend auftreten, sodass bei Routineuntersuchungen von EMAH-Patienten beispielsweise die Anzeichen für eine Herzrhythmusstörung fehlen.
Hier könnte die Anwendung von Verfahren, die ein mehr oder weniger kontinuierliches Aufzeichnen des Herzrhythmus ermöglichen, von großem Nutzen sein. Einen Ansatz hierzu bieten Smartwatches wie die Apple Watch Series 4, deren Verwendung zur Generierung von EKG-Ableitungen und zur Detektion von Herzrhythmusstörungen Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist.
Als erste Smartwatch erhielt die Apple Watch Series 4 im August 2018 eine De-novo-Zulassung der Food and Drug Administration (FDA). Diese ermöglicht das Aufzeichnen eines iEKGs (ein durch eine Smartwatch aufgezeichnetes EKG) mit einer einzelnen Ableitung, die der Einthoven-Ableitung I entspricht, sowie die Registrierung des Sinusrhythmus und unregelmäßigen Herzrhythmen. Mittels Positionsänderungen der Smartwatch und folglich Änderungen des Vektors konnten in Studien auch die Einthoven-Ableitungen II und III zuverlässig generiert werden. Die Studien von Samol et al. zeigten, dass bei herzgesunden Patienten die drei aufgezeichneten iEKG-Ableitungen eindeutig einem konventionell geschriebenen 12-Kanal-EKG zugeordnet werden konnten. Zudem wurden starke Korrelationen für die einzelnen EKG-Parameter aller drei iEKG-Ableitungen durch die Leipziger Gruppe um Shamloo et al. bei Herzgesunden nachgewiesen.
Die vorliegende Arbeit ist die erste Studie, die sich qualitativ und quantitativ mit der Fragestellung auseinandersetzt, ob die mit einer Smartwatch generierten iEKGs der Ableitungen I, II und III nach Einthoven aussagekräftige Informationen für EMAH-Patienten liefern können. Hierfür wurden bei 106 erwachsenen Patienten mit angeborenen Herzfehlern (51 weiblich; 55 männlich) nach Genehmigung des Ethikantrages durch die Ethikkommission der Universität Leipzig und unterzeichneter Einverständniserklärung je ein 12-Kanal-EKG und drei iEKGs aufgezeichnet. Diese wurden daraufhin durch zwei unabhängige, auf dem Gebiet erfahrene Kardiologen in willkürlicher Reihenfolge verblindet ausgewertet. Die retrospektive Datenerhebung der Patientencharakteristika erfolgte im Anschluss. Analysiert und verglichen wurden hierfür die gängigen EKG-Parameter sowie der Rhythmustyp.
Aus diesen Daten geht hervor, dass die drei iEKG-Ableitungen der EMAH-Patienten unabhängig von der individuellen Anatomie und den Patientencharakteristika zu vergleichbaren Ergebnissen in Bezug auf die Goldstandard-EKG-Ableitungen I, II und III nach Einthoven führten. In allen drei iEKG-Ableitungen zeigten sich starke bis sehr starke Korrelationen zwischen iEKG- und Goldstandard-EKG-Parametern. Signifikante, jedoch schwächere Korrelationen waren in den P- und T- Wellenintervallen zu verzeichnen. Grund hierfür könnte die bei der Aufzeichnung von iEKGs halbierte Schreibgeschwindigkeit (25mm/s) sein. Eine Schwäche zeigte insbesondere die iEKG-Ableitung III in ihrer Generierung. Während bei der iEKG-Ableitung I und II lediglich zwei Ableitungen nicht auswertbar waren, konnten bei der iEKG-Ableitung III zwölf Ableitungen in nicht auswertbarer Qualität geschrieben werden.
Ebenso sind Defizite bei der Rhythmusanalyse ersichtlich. Insgesamt stimmten die Rhythmen der iEKGs mit den Rhythmen der konventionellen 12-Kanal-EKGs nur zu 77,4 Prozent überein. Dies liegt darin begründet, dass die Apple Watch einzig zwischen dem Sinusrhythmus und unregelmäßigen Herzrhythmen differenzieren kann. Von diesen abweichende pathologische Rhythmen (z.B. Pacemaker-Rhythmus) konnten nicht als solche detektiert werden und wurden dementsprechend fälschlicherweise vorwiegend dem Sinusrhythmus zugeordnet.
Dass symptomatische und in das Aufzeichnen von iEKGs geschulte EMAH-Patienten selbstständig bei Arrhythmie-Symptomen ein EKG mittels der Apple Watch generieren können, ist als großer Fortschritt zu betrachten. Damit lassen sich diagnostische Hinweise während des Auftretens von Symptomen für das Vorliegen einer Herzrhythmusstörung unabhängig vom Arztbesuch allerorts detektieren und dokumentieren. Zwar vermag der durchschnittliche EMAH-Patient nicht zwischen relevanten und irrelevanten Herzrhythmusstörungen zu unterscheiden, dennoch kann der Patient bei vorliegender relevanter Pathologie ganz nach dem Motto “Time is Heart“ schnellstmöglich durch den behandelnden Arzt therapiert werden. Ob die nachweislich psychisch vorbelastete Patientengruppe durch die Anwendung der Smartwatch positiv oder negativ beeinflusst wird, kann mit der aktuellen Datenlage nicht bewertet werden und bedarf weiterer klinischer Untersuchungen.
Die zunehmende Digitalisierung und Verfügbarkeit von Smartwatches, derer Weiterentwicklung sowie die stets wachsende Anzahl der EMAH-Patienten motivierten uns, diese neue Technologie mit Blick auf kardiologische Fragestellungen zu untersuchen.
Diese Arbeit zeigt auf, dass zwischen den mit der Apple Watch Series 4 aufgezeichneten Einthoven-Ableitungen I, II und III und den korrespondierenden Ableitungen des konventionellen Goldstandard-12-Kanal-EKGs bei erwachsenen Patienten mit angeborenen Herzfehlern starke Korrelationen bestehen. Schlussfolgernd sind wir der Auffassung, dass die Apple Watch 4.1 im Sinne eines Eventrekorders bei erwachsenen Patienten mit angeborenen Herzfehlern unabhängig von den vorliegenden Patienteneigenschaften Anwendung finden kann, wobei sich die iEKG-Ableitungen I und II nach Einthoven als besonders zuverlässig erweisen.
Es bleibt abzuwarten, welche Entwicklungen die nächsten Smartwatch-Generationen nehmen werden. Die fortschreitende Technologie mit Ausbau der Künstlichen Intelligenz (KI) ermöglicht es gegebenenfalls in der Zukunft, Patienten auf ihren Wunsch hin permanent kardiologisch zu überwachen. Bei vorliegender Pathologie könnten die Patienten frühzeitig gewarnt werden, um Folgekomplikationen effektiv vorzubeugen.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:92371 |
Date | 28 June 2024 |
Creators | Striepe, Stephan |
Contributors | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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