Amputierte verwenden häufig eine Prothese als Hilfsmittel, zum einen aus kosmetischen Gründen und zum anderem zur Erhöhung ihrer Mobilität und zur Verrichtung alltäglicher Aktivitäten. Die Prothese besteht aus mehreren Komponenten, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Der Schaft stellt die Verbindung zwischen dem Stumpf der Patientinnen und Patienten und den übrigen Komponenten der Prothese dar. Er bildet die Schnittstelle zwischen der Prothese als Hilfsmittel und dem Weichteilgewebe der Trägerinnen und Träger. Orthopädietechnikerinnen und -techniker berücksichtigen bei der Auslegung die
biomechanischen Parameter des Amputationsstumpfes, um die bestmögliche Passform und den bestmöglichen Tragekomfort zu ermöglichen. Die Weichteile stumpfamputierter Patientinnen und Patienten unterliegen im Laufe des Tages jedoch Volumenschwankungen, die zu einer Veränderung der Passform zwischen Prothese und Stumpf führen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei Menschen mit Oberschenkelamputation im Verlauf eines Tages Schwankungen im Stumpfvolumen von −4,2% bis 2,6% auftreten können. Diese Schwankungen werden durch vorübergehend veränderte Gewebeperfusion verursacht. Darüber hinaus sind langfristige Volumenveränderungen des Stumpfes aufgrund von Veränderungen in der Gewebezusammensetzung (wie Gewichtsveränderungen und Atrophie) zu erwarten. Die Intensität dieser Volumenveränderungen ist hochgradig individuell und wird von Faktoren wie begleitenden Gesundheitszuständen (z. B. Diabetes, periphere Gefäßerkrankungen), Körperzusammensetzung, Aktivitätsniveau, Umgebungsbedingungen, Ernährungsgewohnheiten und dem weiblichen Monatszyklus beeinflusst. Schwankungen im Volumen des Stumpfes können zu lokalen Druckstellen führen. Dies hat z. T. negative Einflüsse auf das Gewebe und kann den Tragekomfort für die Patientinnen und Patienten negativ beeinflussen.
Eine Adaption des Prothesenschaftes an das veränderliche Stumpfvolumen könnte entstehende negative Einflüsse auf das Gewebe reduzieren. Die Analyse der Passform eines Prothesenschaftes bildet die Grundlage für dessen adaptive Anpassung. Eine adäquate und messtechnische Analyse der Passform des Prothesenschaftes im Verlauf des Tages existiert bisher nicht. Gängige Techniken zur Erkennung dieser Volumenschwankungen greifen häufig in die sensible Schnittstelle zwischen Stumpf und Prothese ein. Dies führt zu einer Veränderung der patientenspezifischen Passform, erfordert Topologieänderungen des Schaftes und geht häufig mit einer Erhöhung des Gesamtvolumens und der Masse der Prothese einher. Außerdem beeinflussen Relativbewegungen an der Schnittstelle und
die Auflösung der eingesetzten Sensoren die Reproduzierbarkeit sowie die Interpretation der erfassten Daten. Zudem sind bisherige Betrachtungen der Schnittstellenbelastung auf einige wenige spezifische Bereiche des Stumpfes beschränkt, was die Eignung als Einganggröße dieser Daten zur örtlich aufgelösten Adaptation einer Prothese limitiert. Die aufgezeigten Schwächen und das Optimierungspotenzial bei der Analyse lokaler Druckstellen in Prothesenschäften zeigen den Bedarf an weiteren Forschungsaktivitäten in diesem Bereich. Eine Optimierung kann hierbei durch ein nicht intrusives Messverfahren erreicht werden, das im Vergleich zum Stand der Forschung keinen Einfluss auf die empfindliche Schnittstelle zwischen Amputationsstumpf und Prothesenschaft hat.
Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung der Eignung eines nicht intrusiven Messverfahrens aus dem Bereich der Strukturdynamik zur Charakterisierung der Passform einer Prothese für die Versorgung nach Majoramputationen an den unteren Extremitäten.
Jede mechanische Struktur kann inAbhängigkeit ihrer mechanischen Eigenschaften (Masse, Steifigkeit, Dämpfung, Lagerrandbedingung) durch äußere Kräfte zu Schwingungen angeregt werden. Änderungen der genannten mechanischen Eigenschaften führen immer auch zu einer Änderung des Schwingungsverhaltens. Das Fachgebiet, das die Analyse der auftretenden Schwingungen umfasst, wird als Strukturdynamik bezeichnet. Die Schwingungen der mechanischen Bauteile werden als Körperschall bezeichnet. Aus strukturdynamischer Sicht bilden der Stumpf und die Prothese ein schwingungsfähiges Feder-Masse-Dämpfer-System. Das im Tagesverlauf variierende Stumpfvolumen führt dabei zu lokalen Änderungen von Kontaktstellen zwischen Prothese und Stumpf, die als verteilte Feder-Dämpfer-Elemente abgebildet werden können. Eine Veränderung von Randbedingungen der Prothese (Volumenschwankungen) bewirkt Änderungen in deren Schwingungsverhalten, die mit Hilfe geeigneter Messtechnik und Analyseverfahren
detektiert werden können.
Mit Hilfe von Beschleunigungssensoren auf der Außenfläche der Prothese und unterschiedlichen Signalanalysen im Frequenzbereich können Veränderungen des dynamischen Verhaltens ermittelt und daraus Rückschlüsse auf die Verteilung lokaler Volumenschwankungen gezogen werden. Die Untersuchungen erfolgten in diesem Stadium der Forschung nicht an Patientinnen und Patienten. Der als Untersuchungsobjekt dienende Prothesenschaft wurde von einem realen Patientenmodell abgeformt und entspracht auch in der Auswahl der Materialien gängigen Prothesenmaterialien. Um den Effekt der Volumenschwankung im Amputationsstumpf nachzubilden, wurden verschiedene Kontaktkräfte an der Innenkontur realisiert. Die Applikation der Kontaktkräfte erfolgte durch mechanische und pneumatische Versuchsaufbauten. Zur Absicherung der Ergebnisse hinsichtlich der Reproduzierbarkeit und Funktionalität der technischen Hilfsmittel, die zur Nachbildung der Volumenschwankungen dienten, war eine zusätzliche Kraftsensorik im Versuchsaufbau vorgesehen. Die Analyse der Ergebnisse erfolgte anschließend durch die Betrachtung von Frequenzverschiebungen bei unterschiedlichen nachgebildeten Volumenzuständen und der Korrelation der Sensorpositionen mit Schwingformen der Prothese.
Es konnten Volumenschwankungen im Prothesenschaft in der experimentellen Durchführung durch eine Hilfsvorrichtung mittels eines Gewindestabes zum Aufbringen verschiedener Vorlasten nachgebildet werden. Nach einer Weiterentwicklung des Versuchsaufbaus wurde zur Nachbildung von Volumenschwankungen des Stumpfes ein Druckbeutel im Inneren der Prothese genutzt. Der Beutel wurde hierzu mit einem pneumatischen Hilfssystem
verbunden, um einen Innendruck aufzubringen. Das dynamische Verhalten des
untersuchten Systems konnte in Formvon Frequenzgangfunktionen analysiertwerden. Die Frequenzgangfunktionen zeigten für die verschiedenen Randbedingungen Veränderungen in ihren frequenzabhängigen Zusammensetzungen. Die Ergebnisse zeigen, das die angewandte Methode die Identifizierung von Veränderungen lokaler Druckstellen hinsichtlich der Variation von Position und Vorlast ermöglicht. UmInformationen über die Schnittstelle zu erhalten und die Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, wurden Kraftsensoren an verschiedenen Stellen an der Innenfläche des untersuchten Prothesenschaftes angebracht. Die gemessene Kraft wurde genutzt, um zu überprüfen, ob steigende Systemdrücke im Beutel zu höheren Kräften an der Schnittstelle führen. Die Messungen wurden für verschiedene Systemdrücke durchgeführt, wobei die Veränderungen der lokalen Druckstellen zwischen Stumpf und Prothesenschaft zu einer Veränderung des dynamischen Verhaltens (Verschiebung der Resonanzfrequenzen) führten. Die Ermittlung der Messwerte konnte im gesamten
Versuchsaufbau rückwirkungsfrei (für den Amputationsstumpf) an der Außenfläche der Prothese durchgeführt werden. Mit den zur Überprüfung des Messaufbaus eingebrachten Sensoren konnte nachgewiesen werden, dass die Verschiebung der Resonanzfrequenzen abhängig von der Kontaktkraft ist, wobei steigende Kräfte zu höheren Frequenzen führen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Absolutwerte der Messungen variieren können. Dies stellt jedoch keine Einschränkung für die spätere Anwendung der Methode bei Patientinnen und Patienten dar, da das Ziel dieser Methode darin besteht, durch Druckschwankungen verursachte Veränderungen in den Prothesen zu erkennen. In der Praxis würde nach dem Anlegen der Prothese eine initiale Messung durchgeführt. Diese bildet die Referenz, auf die sich alle im Verlauf der Tragedauer durchgeführten Messungen beziehen. Auf der Grundlage der gezeigten experimentellen Untersuchungen und der abgeleiteten Ergebnisse kann geschlossen werden, dass strukturdynamische Messungen eine vielversprechende
nicht intrusive Technik zur Beurteilung der Passform von orthopädischen Prothesenschäften bei majoramputierten Patienten sind. Im Vergleich zu anderen Verfahren sind keine Änderungen an der Topologie des Prothesenschaftes erforderlich. Auch die sensible Schnittstelle zwischen Stumpf und Prothese bleibt unberührt, sodass eine negative Auswirkung der Messtechnik auf das Gewebe in diesem Bereich ausgeschlossen ist.:1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Amputation und Stumpfversorgung
2.2 Passformmonitoring in der Prothesen- und Stumpfversorgung
2.3 Nicht invasive versus nicht intrusive Charakterisierung
2.4 Strukturdynamische Untersuchungen als nicht intrusive Charakterisierung
3 Ziel der Arbeit
4 Publikationen
4.1 Proof of Concept for the Detection of Local Pressure Marks in Prosthesis
Sockets Using Structural Dynamics Measurement
4.2 Approach for Non-Intrusive Detection of the Fit of Orthopaedic Devices
Based on Vibrational Data
5 Diskussion
5.1 Technische Umsetzbarkeit und Datenanalyse
5.2 Klinischer Ausblick
5.3 Limitierungen der Untersuchungen
6 Zusammenfassung
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:94046 |
Date | 09 October 2024 |
Creators | Neupetsch, Constanze |
Contributors | Heyde, Christoph-Eckhard, Drossel, Welf-Guntram, Schleifenbaum, Stefan, Hepp, Pierre, Fakler, Johannes, Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/acceptedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
Relation | 10.3390/s21113821, 10.3390/s23146500 |
Page generated in 0.0029 seconds