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Pränatale und geburtshilfliche Parameter von Spätabbrüchen: eine retrospektive Analyse

Am Universitätsklinikum Leipzig wurden von 2016 bis 2019 insgesamt 164 Spätabbrüche von der 21,5 bis 36,2 Schwangerschaftswoche durchgeführt. Damit lag der Anteil der Spätabbrüche bei 1,6 % der Gesamtgeburtenrate. Nur die Hälfte der Frauen kam im Untersuchungszeitraum aus Sachsen, die andere Hälfte aus fünf angrenzenden Bundesländern, überwiegend aus Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Hauptgründe für die Schwangerschaftsbeendigung waren in allen Schwangerschaftsaltern ZNS-Fehlbildungen und numerische Chromosomenanomalien mit 29,3 %, gefolgt von strukturellen Chromosomenanomalien mit 21,3 %. Diese Verteilung überrascht nicht, da die Hirnentwicklung und damit ihre Störungen in der bildgebenden Diagnostik erst ab dem 2. Trimenon sichtbar werden und häufig konkreter ab der 28. SSW durch ein fetales MRT diagnostiziert werden können.
Der Blutverlust variierte zwischen 100 und 2000 ml, der Mittelwert lag bei 326,3 ml. Die Höhe des Blutverlustes korrelierte mit der Dauer der Weheninduktion vom Fetozid bis zur Geburt des Kindes. Je höher der Blutverlust war, desto wahrscheinlicher war eine Kürettage. Bei einem Blutverlust von mehr als 500 ml wurden 84,4 % der Patientinnen kürettiert.
Der späte Schwangerschaftsabbruch, mit und ohne Fetozid, muss als Konsequenz der modernen Pränataldiagnostik verstanden und akzeptiert werden. National fehlt es leider an flächendeckenden Beratungs- und Versorgungsangeboten. Auf professionelle und kompetente Hilfsangebote sind die betroffenen Eltern in dieser schwierigen Lebenssituation jedoch angewiesen. Oft führen Beratungs- und Versorgungslücken neben der zusätzlichen Belastung zu Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung der Eltern und der daraus eventuell entstehenden Schwangerschaftsbeendigung. National variiert das Zeitintervall zwischen erster Verdachtsdiagnose bis zum Fetozid zwischen 5 bis 70 Tagen! In unserem Kollektiv lag das Zeitintervall bei 20 Tagen. In ihrer Pressemitteilung von 07/2020 fordert die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) eindringlich diesen Missstand zu beheben und betroffenen Frauen in Not zu helfen . Die qualitative pränatale Diagnostik liegt nicht in der „gesellschaftlichen Begehrlichkeit“ nach dem perfekten und „gesunden“ Kind, sondern dient auch der Diagnosestellung fetaler Fehlbildungen und deren Therapie, womit der Fetozid als eine Konsequenz der Pränataldiagnostik zu werten ist. Die Verweigerung von Hilfe in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft kann zu existentiellen Bedrohungen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und einem Verlassenheitsgefühl führen und mit Selbstmordgedanken und Suizid assoziiert sein. Es muss in Deutschland weiterhin gewährleistet sein, dass Frauen in Not aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft durch eine zugewandte und sensible Versorgung flächendenkend geholfen wird. Frauenärzte und besonders Pränataldiagnostiker sollten es als ihre sowohl gesellschaftliche als auch ärztliche Pflicht sehen, den Betroffenen bei einem Schwangerschaftskonflikt niederschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten zu ermöglichen, wobei diese Hilfsangebote nicht primär die Schwangerschaftsbeendigung beinhalten sollen, sondern vielmehr den Zugang und die gezielte Vermittlung an ausgewiesene Perinatalzentren mit breiten Therapieangeboten.
Durch unsere Untersuchung konnte gezeigt werden, dass an einem spezialisierten Perinatalzentrum der Fetozid und das folgende Procedere mit einer niedrigen Komplikationsrate assoziiert sind. Dennoch setzt die Durchführung von Spätabbrüchen eine entsprechende interdisziplinäre Expertise und Ressourcen voraus. Um eine ganzheitliche, allumfassende Betreuung der betroffenen Familien in einer solchen Ausnahmesituation gewährleisten zu können, bedarf es eingespielter interdisziplinärer und multiprofessioneller Strukturen und Erfahrungswerte. In unserem Haus besteht das Team aus Gynäkologen und Geburtshelfern, Hebammen, Krankenschwestern, Psychologen, Neonatologen, Humangenetikern, Kinderchirurgen, Kindernephrologen, Neuropädiatern, Kinderorthopäden und Anästhesisten.
Aus unserer klinischen Erfahrung heraus glauben wir behaupten zu können, dass der Großteil der Patientinnen den Prozess des späten Schwangerschaftsabbruchs bzw. Fetozids dankbar und, nach dem Trauerprozess, seelisch versöhnt erleben. Einige der betroffenen Patientinnen stellen sich in der Folgeschwangerschaft erneut in unserer Klinik vor und bringen ein gesundes Kind zur Welt.
Ein alternatives Vorgehen bei infauster Prognose ist immer das Austragen der Schwangerschaft mit anschließender neonataler Palliativversorgung. Am Universitätsklinikum Leipzig wird auch diese Möglichkeit immer mit den Eltern diskutiert und, wenn diese gewünscht wird im Vorfeld der Geburt detailliert festgelegt.
Ganz gleich, welche Entscheidung die betroffenen Eltern treffen: der Verlust des Kindes ist eine enorme emotionale und psychische Belastung, und wir als Frauenärzte sind verpflichtet, diesen Frauen und ihren Familien in ihrer psychosozialen Not zu helfen.
 :1 Inhaltsverzeichnis
1 Inhaltsverzeichnis2
2 Einführung in die Thematik4
2.1 Definition, Gesetzgebung und Praxis4
2.2 Klinische Durchführung eines Spätabbruches9
2.2.1 Fetaler Schmerz9
2.2.2 Vorgehen beim Fetozid10
2.3 Dilatation und Evakuation (D&E) und Weheninduktion12
2.3.1 Dilatation und Evakuation (D&E)12
2.3.2 Weheninduktion15
3 Klinische Fragestellungen18
4 Paper19
5 Zusammenfassung der Arbeit32
6 Zusammenfassung und Ausblick32
7 Literatur35

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:80766
Date26 September 2022
CreatorsKern, Julia Franziska
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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