Hintergrund: Die gesundheitlichen Auswirkungen von Schienenverkehrslärm wurden in den letzten Jahren von mehreren epidemiologischen Studien untersucht. Dabei wurden Zusammenhänge mit zahlreichen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen festgestellt. Während die Auswirkungen von Schienenverkehrslärm bereits von vielen Forschern untersucht wurden, ist weniger erschlossen, inwiefern schienenverkehrsbedingte Vibrationen und sekundärer Luftschall eine eigenständige gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung haben könnten. Die diesbezügliche Literatur der Jahre 2000 bis 2013 wurde in einer Publikation von Schlattjan et al. (2014) mit dem abschließenden Fazit, dass Vibrationen die Schlafstruktur beeinträchtigen und dazu führen, dass die nachgewiesen gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkungen von Schienenverkehrslärm zusätzlich verstärkt werden, veröffentlicht. In der Literaturrecherche werden weitere Untersuchungen der Kombinationswirkung von Vibrationen und Lärm als wertvoll betrachtet. Besonders vor dem Hintergrund, dass der Güter- und Personenverkehr in Deutschland stetig zunimmt, ist es wichtig, die damit einhergehenden gesundheitlichen Auswirkungen zu ermitteln und im Rahmen von Bau- bzw. Streckenplanungen zu berücksichtigen. Fragestellung: Ziel dieser Dissertation war die Ermittlung der gesundheitlichen Gefährdungen, welche mit schienenverkehrsbedingten Vibrationen und sekundärem Luftschall verbunden sind. Im Fokus standen hohe Belästigung, starke Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei lautete die Kernforschungsfrage, ob die Exposition gegenüber schienenverkehrsbedingten Vibrationen und sekundärem Luftschall mit einem erhöhten Risiko für eine hohe Belästigung, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden sind, das sich nicht allein aus der Exposition gegenüber schienenverkehrslärmbezogenen Mittelungspegeln und Maximalpegeln
erklären lässt. Methoden: Es wurde ein systematischer Review durchgeführt, bei dem quantitative epidemiologische Studien (Kohortenstudien, Fallkontrollstudien und Querschnittsstudien) sowie Laborstudien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von schienenverkehrsbedingten Vibrationen und sekundärem Luftschall miteinbezogen wurden. Um ein qualitatives Vorgehen zu gewährleisten, wurde die Registrierung des Studienprotokolls in PROSPERO vorgenommen. Nach Formulierung spezifischer Ein- und Ausschlusskriterien erfolgte die Literaturrecherche in den elektronischen
Datenbanken MEDLINE und EMBASE der Jahre 2000 bis zum 23. November 2020 mittels geeigneter Suchstrings sowie die händische Durchsuchung der relevanten grauen Literatur. Anschließend wurden die Titel-Abstract-Sichtung sowie die Volltextsichtung durchgeführt. Für alle im systematischen Review eingeschlossenen Publikationen wurde eine standardisierte Datenextraktionstabelle erstellt. Anschließend erfolgte die kritische Qualitätsbewertung aller eingeschlossenen Primärstudien anhand eines bewährten Risk-of-Bias-Verfahrens. Die genannten Schritte zur Erstellung des systematischen Reviews wurden jeweils durch zwei Reviewerinnen unabhängig voneinander vorgenommen. In der Auswertung der Studienergebnisse wurden Feldstudien und Laborstudien gesondert betrachtet. Es erfolgte die deskriptive Beschreibung der einzelnen Publikationen. Aufgrund der großen Heterogenität der Ergebnisse der jeweiligen Studien und dadurch, dass weniger als drei unabhängige
Feldstudien oder Laborstudien vorlagen, war keine metaanalytische Zusammenfassung der Expositions-Risikobeziehungen der betrachteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen möglich. Daher wurde erstmals ein Verfahren dargestellt, bei dem auf Grundlage einer ausgewählten Schlüsselstudie eine Funktionsgleichung ermittelt wurde, mit der sich bei gegebener Vibration und Lärmbelästigung der Anteil hoch belästigter Personen bestimmen lässt. Anschließend wurden die Expositionsparameter Vibration und Schienenverkehrslärm in Equal-Annoyance-Gleichungen gegenübergestellt, bei welchen die Vibrationswirkungen in Lärmäquivalente umgerechnet wurden. Die Gleichungen der Feld- und Laborstudien wurden grafisch verglichen und der prozentuale Anteil der hoch Belästigten bei gegebener Vibrationsund Lärmexposition angegeben. Ergebnisse: Insgesamt wurden 49 Feldstudien und 15 Laborstudien im systematischen Review eingeschlossen. Die meisten Studien betrachteten die Auswirkungen von schienenverkehrsbedingten Vibrationen auf die Belästigung und auf Schlafstörungen mit dem Ergebnis, dass schienenverkehrsbedingte Vibrationen zu einem Anstieg der
Häufigkeit hoher Belästigung und Schlafstörungen führten. Um trotz fehlender Möglichkeit einer Metaanalyse dennoch die Expositions-Risikobeziehungen zu quantifizieren, wurde zunächst der Anteil hoch belästigter Personen bei gegebener schienenverkehrsbedingter Vibration auf Grundlage von Feldstudien bestimmt. Anschließend wurde die evidenzbasierte Formel zur Bestimmung hoch belästigter
Personen durch Schienenverkehrslärm gemäß WHO-Leitlinie zu Umgebungslärm für die europäische Region (Guski et al., 2017) herangezogen, um das Lärmäquivalent bei einer gegebenen Vibrationshöhe zu bestimmen. In einem weiteren Schritt wurde ein Verfahren entwickelt, welches durch energetische Summation von schienenverkehrslärmbedingtem Lärmpegel und vibrationsbezogenem Lärmäquivalent mit anschließender Einsetzung in die vorgenannte „WHO-Formel“ die Abschätzung der Gesamtbelästigung durch Schienenverkehrslärm und schienenverkehrsbedingten Vibrationen ermöglicht. Mit diesem Verfahren lässt sich somit der Anteil hoch belästigter Personen bei gegebener Kombination aus schienenverkehrsbedingter Vibration und Lärm berechnen. Anschließend erfolgte der Vergleich der Equal-Annoyance-Beziehungen der Feldstudien mit denen der Laborstudien und es ließ sich insgesamt ein ähnlicher Verlauf der Kurven feststellen. Die Ergebnisse der Feldstudien werden somit durch die Ergebnisse der Laborstudien in ihrer allgemeingültigen Belastbarkeit bestärkt. Trotz sehr sensitiver Literatursuche konnte der systematische Review keine Studien identifizieren, die weitere Gesundheitsrisiken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandelten. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch sekundären Luftschall wurden nur in einer einbezogenen Studie untersucht. Tendenziell nehmen eine hohe Belästigung und Schlafstörungen mit steigendem sekundären Luftschallpegel zu, insbesondere wenn dieser als hörbares Geräusch wahrgenommen wird. Schlussfolgerungen: Durch den systematischen Review wurde festgestellt, dass schienenverkehrsbedingte Vibrationen zu einer Zunahme des Risikos für eine hohe Belästigung und Schlafstörungen führen. Zudem wurde auf Grundlage eines konservativen Ansatzes erstmalig ein Verfahren vorgestellt, mit dem sich der Anteil hoch belästigter Personen bei gegebener Kombination aus schienenverkehrsbedingter Vibration und Lärm vorhersagen lässt. Die Ergebnisse des systematischen Reviews können bei der Bestimmung der Krankheitslast durch schienenverkehrsbedingte Vibration und bei Bemühungen der Immissionssenkung im Schienenverkehrsnetz Anwendung finden.
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:92140 |
Date | 02 July 2024 |
Creators | Mehrjerdian, Yasmin |
Contributors | Seidler, Andreas, Altinsoy, Mehmet Ercan, Technische Universität Dresden |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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