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Impedanzspektroskopie an Zellschichten: Bayes’sche Datenanalyse und Modellvergleiche von experimentellen Messungen zur Charakterisierung der endothelialen Schrankenfunktion

Das Endothel stellt die entscheidende Barriere zwischen dem Intra- und Extravasalraum dar und ist damit essentiell für physiologische und pathophysiologische Vorgänge wie die Selektivität der Blut-Hirn-Schranke oder die Bildung von Ödemen. Die maßgebliche Kenngröße zur Beschreibung der Durchlässigkeit dieser Barriere ist die Permeabilität. Eine Methode zur Quantifizierung der endothelialen Schrankenfunktion ist die Impedanzspektroskopie. Hierbei wird an einem isolierten Zellmonolayer, der auf einen Filter kultiviert wurde, eine Wechselspannung angelegt und der resultierende komplexe Widerstand – die Impedanz Z(f) – für verschiedene Messfrequenzen f bestimmt. Kenngrößen sind der frequenzabhängige Verlauf von Betrag |Z| und Phase Ph der komplexen Impedanz. Zur Charakterisierung dieser Zellschicht wird oft der Transendotheliale Widerstand TER verwendet. Die Bestimmung dieses Wertes erfolgt über das Aufstellen von physikalischen Ersatzschaltbildern als mathematisches Modell, das den Messaufbau möglichst gut beschreibt und anschließender Optimierung der Modellparameter, sodass ein bestmöglicher Fit zwischen den Modellwerten und den Messdaten resultiert. Kommerziell verfügbare Impedanzmessgeräte ermöglichen die experimentell einfache Bestimmung von |Z| und Ph sowie oft eine direkte Analyse dieser Messwerte mittels voreingestellter mathematischer Modelle. Diese sind allerdings nicht erweiterbar oder austauschbar. Die resultierenden Parameter werden mitunter ohne Fehler angegeben, dieser soll dann über Mehrfachmessungen bestimmt werden. Zudem ist kein quantitativer Modellvergleich möglich. Diese Arbeit hatte daher das Ziel, die Vorteile der praktischen experimentellen Anwendung eines kommerziellen Messgerätes zu nutzen, aber die Analyse der Messdaten in den genannten Punkten zu erweitern und zu verbessern. Hierfür wurden beruhend auf der Bayes’schen Datenanalyse zwei verschiedene Algorithmen in python zur Auswertung impedanzspektroskopischer Daten implementiert. Bei der Bayes’schen Datenanalyse handelt es sich um einen logisch konsistenten Weg der Parameterbestimmung für eine bestimmte Modellannahme unter Berücksichtigung der gegebenen Daten und deren Fehler. Es resultieren als Ergebnis die Posterior als Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Parameter. Aus diesen können Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet werden. Vorwissen über die Modellparameter kann in Prioren für die Auswertung einbezogen werden. Bei der Analyse können im Gegensatz zu den kommerziellen Geräten sowohl |Z| als auch Ph berücksichtigt werden. Außerdem ermöglicht die Bestimmung der Evidenz einen quantitativen Modellvergleich, sodass valide Aussagen getroffen werden können, welches der untersuchten Modelle die gemessenen Daten am besten beschreibt. Die experimentellen Messungen wurden mit dem CellZscope (nanoAnalytics, Münster) durchgeführt. Dieses ermöglicht Messungen in einem Frequenzbereich von 1 - 100 kHz von auf Filtern kultivierten Zellmonolayern in sogenannten Wells auch unter Zugabe von Stimulatoren. Bei den zwei implementierten Algorithmen handelt es sich um das Markov-Chain-Monte-Carlo (MCMC) - Verfahren und um das MultiNested (MN) - Sampling. Das MCMC-Verfahren wurde vollständig selbstständig umgesetzt, der MN-Algorithmus beruht auf einer frei zugänglichen Bibliothek und wurde entsprechend angepasst. Diese zwei Algorithmen wurden zunächst ausführlich mit selbstgenerierten Testdaten validiert. Beide lieferten nahezu identische Ergebnisse der Parameterschätzung in hervorragender Übereinstimmung mit den gewählten Simulationsparametern. Die Einbeziehung der Ph verbesserte diese weiter und führte zusätzlich zu geringeren Parameterunsicherheiten. Als weitere Verbesserung wurde außerdem ein Verfahren zum Abschätzen der Messungenauigkeiten und deren Korrelationen aus den Messdaten etabliert, da diese bei dem CellZscope nicht angegeben werden. Für den MN-Algorithmus konnte der Jeffreys-Prior implementiert werden. Dies ermöglichte auch die korrekte Analyse mathematisch komplexer, höherparametriger Modelle.
Nach dieser ausführlichen Validierung der Algorithmen hinsichtlich der Parameterschätzung, der Bestimmung der Messunsicherheiten und des Modellvergleiches erfolgte die Anwendung auf experimentelle Messungen. Bei diesen wurden Endothelzellen der menschlichen Nabelschnurvene (HUVEC) mit Thrombin in verschiedenen Konzentrationen und Triton X-100 stimuliert. Thrombin führt bei Endothelzellen u.a. zu Zellretraktion und Ausbildung ontrazellulärer Gaps mit Steigerung der Makromolekülpermeabilität. Triton X-100, ein nicht-ionisches Detergenz, zerstört die Lipidschicht der Zellmembranen. Vergleichend wurden zu den Messungen an Wells mit Medium und zellbedecktem Filter auch Messungen an Wells nur mit Medium sowie mit Medium und zellfreiem Filter durchgeführt. Es wurden basierend auf einer ausführlichen Literaturrecherche verschiedene Modelle untersucht, deren gemeinsames Merkmal ein konstantes Phasenelement (CPE) für die Elektroden-Elektrolyt-Grenzfläche und eine Reihenschaltung mehrerer RC-Glieder (Parallelschaltung eines Widerstandes R und eines Kondensators C) ist. Als das geeignetste Modell resultierte für alle diese drei Konditionen eine Reihenschaltung eines CPE mit mehreren RC-Gliedern, aber ohne weitere Elemente. Für die Wells mit nur Medium und die mit zellbedecktem Filter wurde die Anzahl nRC der RC-Glieder mit jeweils nRC = 4, für die Wells mit zellfreiem Filter mit nRC = 3 bestimmt. Dies zeigte, dass die in der Literatur oft verwendete Beschreibung des Mediums mit einem ohmschen Widerstand unzureichend ist. Auffallend war, dass bei allen Konditionen ein RC-Glied eine sehr niedrige Kapazität in der Größenordnung einiger nF aufwies. Für den Filter resultierte ein in der Kapazität charakteristisches RC-Glied, dennoch ergaben sich insgesamt weniger RC-Glieder als für die Messungen nur mit Medium. Bei den Messungen mit zellbedecktem Filter konnte der aus der Literatur bekannte konzentrationsabhängige Anstieg des TER dargestellt werden. Der Modellvergleich legte nahe, dass die Integrität des Zellmonolayers bei hohen Thrombinkonzentrationen nicht vollständig zerstört wird, da weiterhin ein Modell, das auch ein zellspezifisches RC-Glied enthält, die höchste Modellwahrscheinlichkeit aufwies. Für die Stimulation mit Triton X-100 ergab sich dagegen eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Modell, das einen Filter ohne Zellschicht beschreibt. Somit scheint hier der Monolayer nicht mehr intakt zu sein. Zur genaueren Untersuchung der biophysikalischen Bedeutung einzelner Modellparameter wurden außerdem erste zellfreie Messungen an Wells mit deionisiertem Wasser und Natriumchloridlösungen unterschiedlicher Konzentration durchgeführt und mit Berechnungen aus der Literatur verglichen. Hierbei konnte die bei allen Wells bestimmte sehr niedrige Kapazität auf den Aufbau des Wells zurückgeführt werden. Für die anderen RC-Glieder des Mediums und des Filters ergaben sich Hinweise, dass diese auf der Ausbildung dünner ionischer Schichten beruhen. Zusammenfassend haben sich die implementierten Algorithmen der Bayes’schen Datenanalyse als hervorragend geeignet für die Auswertung impedanzspektroskopischer Messungen dargestellt. Durch die ausführliche Validierung mit Testdaten liegt ein hohes Maß an Reliabilität der Ergebnisse vor. Die Parameterschätzung der Messung an Zellmonolayern gelang auch für sehr komplexe Modelle und über die Evidenz kann ein quantitativer Modellvergleich erfolgen. Die Modellparameter wurden auch hinsichtlich ihrer biophysikalischen Bedeutung untersucht. Die Technik ist somit der direkten Analyse des CellZscope vorzuziehen und kann auch zur verbesserten Planung zukünftiger Experimente (experimental design) verwendet werden. Außerdem ist eine Anwendung neuer Modelle, beispielsweise zur Quantifizierung der Fläche des noch intakten Monolayers bei starker Thrombinstimulation oder die Beschreibung komplexerer Setups wie Co-Kulturen verschiedener Zellarten möglich.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:92138
Date09 July 2024
CreatorsZimmermann, Franziska
ContributorsNoll, Thomas, Koch, Edmund, Technische Universität Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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