Die visuellen Systeme von Vertebraten und Invertebraten weisen Ähnlichkeiten in den ersten Schritten visueller Informationsverarbeitung auf. Im menschlichen Gehirn werden zum Beispiel die Modalitäten Farbe, Form und Bewegung separat in parallelen neuronalen Pfaden verarbeitet. Dieses grundlegende Merkmal findet sich auch bei der Fliege Drosophila melanogaster, welche eine ähnliche Trennung in farbsensitive und (farbenblinde) bewegungssensitive Pfade aufweist, die durch zwei verschiedene Gruppen von Photorezeptoren (dem R1-6 und dem R7/8 System) determiniert werden. Fliegen haben ein hoch organisiertes visuelles System, welches durch die repetitive, retinotope Organisation von vier Neuropilen charakterisiert ist: Dies sind die Lamina, die Medulla, die Lobula und die Lobulaplatte. Jedes einzelne besteht aus Kolumnen, die denselben Satz von Nervenzellen enthalten. In der Lamina formen Axonbündel von sechs Photorezeptoren R1-6, die auf denselben Bildpunkt blicken, Säulen, die als Cartridges bezeichnet werden. Diese sind die funktionellen visuellen „sampling units“ und sind mit vier Typen von Interneuronen erster Ordnung assoziiert, die von R1-6 den gleichen Input erhalten: L1, L2, L3 und die Amakrinzellen (amc, mit ihrem postsynaptischen Partner T1). Diese stellen parallele Pfade dar, die auf anatomischer Ebene im Detail untersucht wurden; jedoch ist wenig über ihre funktionelle Rolle bei der Verarbeitung für das Verhalten relevanter Information bekannt, z.B. hinsichtlich der Blickstabilisierung, der visuellen Kurskontrolle oder der Fixation von Objekten. Die Verfügbarkeit einer Vielfalt von neurogenetischen Werkzeugen für die Struktur-Funktionsanalyse bei Drosophila ermöglicht es, erste Schritte in Richtung einer genetischen Zerlegung des visuellen Netzwerks zu unternehmen, das Bewegungs- und Positionssehen vermittelt. In diesem Zusammenhang erwies sich die Wahl des Effektors als entscheidend. Überraschenderweise wurde festgestellt, dass das clostridiale Tetanus-Neurotoxin die Photorezeptorsynapsen adulter Drosophila Fliegen nicht blockiert, hingegen irreversible Schäden bei Expression während deren Entwicklung verursacht. Aus diesem Grund wurde das dominant-negative shibire Allel shits1, welches sich als geeigneter erwies, zur Blockierung der Lamina Interneurone verwendet, um die Notwendigkeit der jeweiligen Pfade zu analysieren. Um festzustellen, ob letztere auch hinreichend für das gleiche Verhalten waren, wurde für die umgekehrte Strategie die Tatsache ausgenutzt, daß die Lamina Interneurone Histaminrezeptoren exprimieren, die vom ort Gen kodiert werden. Die spezifische Rettung der ort Funktion in definierten Pfaden im mutanten Hintergrund ermöglichte festzustellen, ob sie für eine bestimmte Funktion hinreichend waren. Diese neurogenetischen Methoden wurden mit der optomotorischen Reaktion und dem objektinduzierten Orientierungsverhalten als Verhaltensmaß kombiniert, um folgende Fragen innerhalb dieser Doktorarbeit zu beantworten: (a) Welche Pfade stellen einen Eingang in elementare Bewegungsdetektoren dar und sind notwendig und/oder hinreichend für die Detektion gerichteter Bewegung? (b) Gibt es Pfade, die spezifisch Reaktionen auf unidirektionale Bewegung vermitteln? (c) Welche Pfade sind notwendig und/oder hinreichend für das objektinduzierte Orientierungsverhalten? Einige grundlegende Eigenschaften des visuellen Netzwerks konnten dabei aufgedeckt werden: Die zwei zentralen Cartridge Pfade, die von den großen Monopolarzellen L1 und L2 repräsentiert werden, haben eine Schlüsselfunktion bei der Bewegungsdetektion. Über ein breites Spektrum von Reizbedingungen hinweg sind die beiden Subsysteme redundant und können Bewegung unabhängig voneinander verarbeiten. Um eine Beeinträchtigung des Systems festzustellen, wenn nur einer der beiden Pfade intakt ist, muß dieses an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gebracht werden. Bei niedrigem Signal/Rauschverhältnis, d.h. bei geringem Musterkontrast oder geringer Hintergrundbeleuchtung, hat der L2 Pfad eine höhere Sensitivität. Bei mittlerem Musterkontrast sind beide Pfade auf die Verarbeitung unidirektionaler Bewegung in entgegengesetzten Reizrichtungen spezialisiert. Im Gegensatz dazu sind weder der L3, noch der amc/T1 Pfad notwendig oder hinreichend für die Detektion von Bewegungen. Während der erstere Positionsinformation für Orientierungsverhalten zu verarbeiten scheint, nimmt der letztere eine modulatorische Rolle bei mittlerem Kontrast ein. Es stellte sich heraus, daß das Orientierungsverhalten noch robuster als das Bewegungssehen ist und möglicherweise auf einem weniger komplizierten Mechanismus beruht, da dieser keinen nichtlinearen Vergleich der Signale benachbarter visueller „sampling units“ benötigt. Die Fixation von Objekten setzt nicht grundsätzlich das Bewegungssehen voraus, allerdings verbessert die Detektion von Bewegung die Fixation von Landmarken, im besonderen, wenn diese schmal sind oder einen geringen Kontrast aufweisen. / Vertebrate and invertebrate visual systems exhibit similarities in early stages of visual processing. For instance, in the human brain, the modalities of color, form and motion are separately processed in parallel neuronal pathways. This basic property is also found in the fly Drosophila melanogaster which has a similar division in color- sensitive and (color blind) motion-sensitive pathways that are determined by two distinct subsets of photoreceptors (the R1-6 and the R7/8 system, respectively). Flies have a highly organized visual system that is characterized by its repetitive, retinotopic organization of four neuropils: the lamina, the medulla, the lobula and the lobula plate. Each of these consists of columns which contain the same set of neurons. In the lamina, axon bundles of six photoreceptors R1-6 that are directed towards the same point in space form columnar structures called cartridges. These are the visual sampling units and are associated with four types of first-order interneuron that receive common input from R1-6: L1, L2, L3 and the amacrine cells (amc, together with their postsynaptic partner T1). They constitute parallel pathways that have been studied in detail at the anatomical level. Little is known, however, about their functional role in processing behaviorally relevant information, e.g. for gaze stabilization, visual course control or the fixation of objects. The availability of a variety of neurogenetic tools for structure-function analysis in Drosophila allowed first steps into the genetic dissection of the neuronal circuitry mediating motion and position detection. In this respect, the choice of the effector turned out to be crucial. Surprisingly, it was found that the clostridial tetanus neurotoxin failed to block mature Drosophila photoreceptor synapses, but caused irreversible damage when expressed during their development. Therefore, the dominant-negative shibire allele shits1 which turned out to be better suited was used for blocking lamina interneurons and thereby analyzing the necessity of the respective pathways. To determine whether the latter were also sufficient for the same behavioral task, the inverse strategy was developed, based on the fact that lamina interneurons express histamine receptors encoded by the ort gene. The specific rescue of ort function in defined channels in an otherwise mutant background allowed studying their sufficiency in a given task. Combining these neurogenetic methods with the optomotor response and object induced orientation behavior as behavioral measures, the aim of the present thesis was to answer the following questions: (a) Which pathways feed into elementary motion detectors and which ones are necessary and/or sufficient for the detection of directional motion? (b) Do pathways exist which specifically mediate responses to unidirectional motion? (c) Which pathways are necessary and/or sufficient for object induced orientation behavior? Some basic properties of the visual circuitry were revealed: The two central cartridge pathways, represented by the large monopolar cells L1 and L2, are key players in motion detection. Under a broad range of stimulatory conditions, the two subsystems are redundant and are able to process motion independently of each other. To detect an impairment when only one of the pathways is intact, one has to drive the system to its operational limits. At low signal to noise ratios, i.e. at low pattern contrast or low background illumination, the L2 pathway has a higher sensitivity. At intermediate pattern contrast, both pathways are specialized in mediating responses to unidirectional motion of opposite stimulus direction. In contrast, neither the L3, nor the amc/T1 pathway is necessary or sufficient for motion detection. While the former may provide position information for orientation, the latter has a modulatory role at intermediate pattern contrast. Orientation behavior turned out to be even more robust than motion vision and may utilize a less sophisticated mechanism, as it does not require a nonlinear comparison of signals from neighboring visual sampling units. The position of objects is processed in several redundant pathways, involving both receptor subsystems. The fixation of objects does not generally require motion vision. However, motion detection improves the fixation of landmarks, especially when these are narrow or have a reduced contrast.
Identifer | oai:union.ndltd.org:uni-wuerzburg.de/oai:opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de:2229 |
Date | January 2008 |
Creators | Rister, Jens |
Source Sets | University of Würzburg |
Language | English |
Detected Language | English |
Type | doctoralthesis, doc-type:doctoralThesis |
Format | application/pdf |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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