Dystonien sind neurologisch bedingte Bewegungsstörungen, bei denen es zu unwillkürlichen Muskelkontraktionen kommt, die zu abnormen Körperhaltungen und Bewegungsabläufen führen. Auf Grund unzureichender Kenntnisse zur Pathophysiologie sind die therapeutischen Möglichkeiten stark limitiert, was die Erforschung neuer Zielstrukturen und Pharmaka in Tiermodellen unerlässlich macht. Da anhand bisheriger Studienergebnisse eine gestörte corticostriatale Plastizität und veränderte Netzwerkaktivitäten im Bereich der Basalganglien als wahrscheinlichste Hauptursachen für die Entstehung von Dystonien diskutiert werden, werden strukturelle und funktionelle Veränderungen sowie mögliche Ansatzstellen neuer Therapeutika vor allem in diesem Gehirnareal untersucht. Als eine mögliche neue Zielstruktur für Pharmaka zur Behandlung von Dystonien sollte der metabotrope Glutamatrezeptor 5 (mGluR5) in zwei verschiedenen Tiermodellen der Dystonie untersucht werden. Der mGluR5 ist besonders im Bereich des Striatums, der Eingangsstruktur der Basalganglien, stark exprimiert und zudem maßgeblich an der Regulierung der synaptischen Plastizität beteiligt.Weiterhin konnten in der Behandlung einer symptomatisch verwandten Bewegungsstörung, der Levodopa-induzierten Dyskinesie, mit antagonisierenden Substanzen am mGluR5 bereits erste Erfolge erzielt werden.
Zunächst erfolgten pharmakologische Untersuchungen mit dem negativen allosterischen Modulator Fenobam (20-50 mg/kg intraperitoneal, i.p.) und dem positiven allosterischen Modulator CDPPB (10-20 mg/kg i.p.) am mGluR5 im dtsz Hamstermodell, einem phänotypischen Modell der paroxysmalen Dystonie. Dabei wurden die akuten Effekte der Substanzen auf die Dystonieschwere der Tiere sowie auftretende Nebenwirkungen aufgezeichnet (n=8-10 pro Testdosis). Der Vergleich des Dystoniescores erfolgte jeweils zu einer Vehikelvor- und -nachkontrolle im selben Tier und wurde mittels Varianzanalyse (ANOVA) mit wiederholten Messungen für nicht parametrische Daten analysiert. Zusätzlich wurde an Gehirnen von dtsz Hamstern (n=7) im Vergleich zu nicht-dystonen Kontrolltieren (n=7) die Expression des mGluR5 im Striatum und Cortex untersucht.Dazu wurde zunächst eine immunhistochemische (IHC) Fluoreszenzfärbung in zwei Altersstufen der Tiere durchgeführt. Die Quantifizierung der Proteinexpression erfolgte weiterhin mittels Western Blot (WB), während die mGluR5-mRNA-Expression durch quantitative Echtzeit-PCR (RT qPCR) ermittelt wurde. Im zweiten Teil der Arbeit wurden oben genannte Untersuchungen zur Protein- und mRNA-Expression des mGluR5 im DYT1 knock-in (KI) Mausmodell durchgeführt, einem Tiermodell der häufigsten erblichen, persistenten Dystonieform des Menschen. Die Analysen der Gehirne erfolgten an männlichen 6-Monate alten DYT1 KI-Mäusen (n=6) im Vergleich zu Wildtyp-Wurfgeschwistern (n=6). Die Ergebnisse von IHC und WB wurden jeweils mittels Zwei-Wege-ANOVA und anschließendem Holm-Sidak-Test statistisch ausgewertet, während die Rohdaten der RT qPCR mittels Mann Whitney U-Test analysiert wurden. Die Signifikanz wurde für alle statistischen Tests auf p<0,05 festgelegt. Weiterhin wurden auch in diesem Modell pharmakologische Untersuchungen mit CDPPB (10-30 mg/kg i.p.) durchgeführt, um mögliche Effekte auf das Verhalten und die Bewegungsaktivität der Mäuse zu analysieren. Hierzu erfolgten Substanzapplikationen im Rahmen einer Cross-over-Studie (drei Dosierungen und Vehikel) an DYT1 KI-Tieren (n=6) und Wildtyp-Wurfgeschwistern (n=6) im Alter von 4-6 Wochen und 6 Monaten. Die Auswertung der Parameter für die Bewegungsaktivität erfolgte mittels Zwei-Wege-ANOVA.
Beide Modulatoren des mGluR5 erzielten in allen getesteten Dosierungen keine Effekte auf die Dystonieschwere in den dtsz Hamstern. Allerdings löste CDPPB zusätzlich zur Dystoniesymptomatik Anzeichen einer generalisierten, axialen Dyskinesie bei der dtsz Mutante, aber nicht in nicht-dystonen Kontrollhamstern aus. Der daraufhin vermutete Unterschied in der Expression des mGluR5 bestätigte sich mittels IHC, in der sich eine 35 % höhere Rezeptorexpression im Striatum und Cortex von dtsz Hamstern im Alter der stärksten Dystonieausprägung im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrolltieren (p<0,01) zeigte. Die Differenzen zwischen den Genotypen bestätigten sich nicht mittels WB und RT qPCR. Im DYT1 KI-Modell hingegen war die striatale mGluR5-mRNA erheblich geringer exprimiert als in den Wildtyp-Mäusen (p<0,05). Dies zeigte sich auch mittels IHC im ventralen Striatum (p<0,05; ANOVA), während im WB keine Genotyp-Unterschiede in der mGluR5-Protein-Expression zu erkennen waren. Die Applikation des CDPPB verursachte in den DYT1 KI-Mäusen weder abnorme Bewegungen noch Veränderungen im Lokomotionsverhalten.
Auf Grund der teilweise inhomogenen Ergebnisse der Rezeptorstudien in beiden Tiermodellen und dem ausbleibenden erwarteten positiven Effekt des negativen allosterischen Modulators Fenobam auf die Dystonieschwere im dtsz Hamster, scheint der mGluR5 keine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie der Dystonie zu spielen und auch nicht als Ansatzpunkt für antidystone Pharmaka geeignet zu sein. Dennoch weisen die Expressionsunterschiede in beiden Modellen auf eine Dysregulation des mGluR5 hin und bestätigen eine gestörte corticostriatale Plastizität im Dystoniegeschehen. Die Überexpression des mGluR5, wie sie sich im dtsz Modell zeigte, ist offensichtlich jedoch keine generelle Veränderung bei verschiedenen Dystonieformen, weil sie im DYT1 KI-Modell nicht nachweisbar war.:Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Literaturübersicht
2.1 Definition und Einteilung von Dystonien
2.1.1 Die primäre DYT1-Torsionsdystonie
2.2 Pathophysiologie primärer Dystonien
2.2.1 Pathophysiologische Bedeutung der Basalganglien
2.2.2 Synaptische Plastizität
2.3 Therapieoptionen von Dystonien
2.4 Tiermodelle für primäre Dystonien
2.4.1 Übersicht etablierter Tiermodelle
2.4.2 Das dtsz Hamstermodell
2.4.3 Das DYT1 knock-in Mausmodell
2.5 Der metabotrope Glutamatrezeptor 5 (mGluR5)
2.5.2 Therapeutisches Potenzial des mGluR5
2.6 Fragestellung der vorliegenden Arbeit
3. Publikation I
4. Publikation II
5. Diskussion
5.1 Aspekte zur Methodik
5.1.1 Untersuchungen im dtsz Hamster
5.1.2 Untersuchungen im DYT1 KI-Modell
5.2 Ergebnisse
6. Zusammenfassung
7. Summary
8. Literaturverzeichnis
9. Danksagung
Identifer | oai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:72869 |
Date | 23 November 2020 |
Creators | Perl, Stefanie |
Contributors | Universität Leipzig |
Source Sets | Hochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden |
Language | German |
Detected Language | German |
Type | info:eu-repo/semantics/publishedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text |
Rights | info:eu-repo/semantics/openAccess |
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