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Die Taʼzieh; Vom iranischen Ritual bis zur politischen Aufführung

Wenn der Erfolg eines Theaters von seiner Höhe des Einflusses auf Zuschauer
und Leser abhängen würde, wäre bestimmt kein Drama erfolgreicher als die
Tragödie der islamischen Welt, die Taʼzieh von Hassan und Hussein.“
Colonel Sir Lewis Pelly, ein bekannter englischer Iranist aus der Zeit Nasser ed-Din Schahs, wurde während seines Aufenthalts im Iran (1862–1872) Zeuge von verschiedenen Darbietungen der Taʼzieh und verfasste sein zweibändiges Werk ‚The Miracle Plays of Hasan und Husein‘ unter dem Eindruck dieser Aufführungen. Ungeachtet dessen historischen und literarischen Werts können einige Aspekte des Werks als lückenhaft erachtet werden. Indem er beispielsweise im Kontext der Ta’zieh den unpassenden Ausdruck der „Tragödie der islamischen Welt“ benutzt, zeigt er, dass er als ausländischer Zeitzeuge nur über wenige Informationen über die historischen und religiösen Begebenheiten jener Zeit verfügte. Es ist offensichtlich, dass die Ta’zieh viel mehr als die Aufführung der Legenden der iranischen Schia
gegenüber der islamischen Welt darstellt. Ein kurzer Blick auf die Begebenheiten in Kerbela, die Machtfolge innerhalb des Kalifats, das Märtyrertum Alis und die Darstellung des Lebens von Hassan und seinem Bruder Hussein reicht, um hierin die Auflehnung der Iraner gegen den politischen Islam der damaligen Zeit im Irak und in Saudi-Arabien zu erkennen. Aus diesem Grund gibt die Autorin an dieser Stelle den bekannten Satz von Sir Pelly in einer anschaulicheren Weise wieder:
„Wenn der Erfolg eines Theaters von seiner Höhe des Einflusses auf Zuschauer
und Leser abhängen würde, wäre bestimmt kein Drama erfolgreicher als die
Taʼzieh von Hassan und Hussein im Iran.

Die Taʼzieh ist ein religiöses iranisches Ritual in Theaterform in der Regel dramatischen Inhalts, das auf Dialog und dramatischem Text in Versform basiert und von Musik begleitet wird. Die genaue Entstehungszeit und der Entstehungsort der Taʼzieh im Iran sind noch ungeklärt bzw. werden immer wieder neu diskutiert. Iranische und ausländische Forscher sind bisher zu keinem endgültigen und gleichen Ergebnis gelangt. Bei der heutigen Aufführung der Taʼzieh sieht man, dass die Handlung nicht binnen eines Tages, einer Woche oder eines Jahrhunderts entstanden sein kann, d. h. die Taʼzieh, wie sie heute aufgeführt wird, entspricht gar nicht ihrer ursprünglichen Form. In Bezug auf die Quellen der Taʼzieh gibt es vier verschiedene Theorien:

• Einige Forscher gehen davon aus, dass die Entstehung der Taʼzieh im Iran auf die vorchristliche und vorislamische Zeit zurückgeht, und zwar auf die Feierlichkeiten zum Tode des Nationalhelden Siyâwasch. Sie betrachten diese Zeremonie als die Grundlage der Taʼzieh, in der bereits die wesentlichen Bestandteile enthalten sind.
• Eine andere Gruppe erkennt in der Ta’zieh Elemente aus der mesopotamischen, anatolischen und ägyptischen Mythologie.
• Eine kleine weitere Gruppe wie der Religionssoziologe Ali Schariati Mazinani hält die Geschichte vom Leiden Jesus und andere historische Mythen aus der indogermanischen und semitischen Kultur für den Ursprung der Taʼzieh.
• Die letzte Gruppe beruft sich auf schriftliche Berichte über die Taʼzieh

Bei der heutigen Aufführung der Taʼzieh sieht man, dass die Handlung nicht binnen eines Tages, einer Woche oder eines Jahrhunderts entstanden sein kann,
Prozessionen und die Tekkiyes in heutiger Form und führt die Geschichte ihrer Entstehung auf die frühislamische Zeit und den Märtyrertod von Imam Hussein und seiner Gefolgschaft am 10. Oktober 680 bei der Schlacht von Kerbela zurück, dem bis heute mit Aschura-Feierlichkeiten gedacht wird. Der Iraner wollten Mit der Geschickte des Husseins gegen das bestehende religiöse System protestieren.
Drei konzeptionelle Hauptaspekte
In den episch-nationalen oder religiösen Ta’zieh-Aufführungen fallen drei aus konzeptioneller Sicht bedeutende Punkte ins Auge:
• Der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen und der endgültige Sieg des Guten
• Die freie und bewusste Entscheidung der Helden für ihre Taten
• Das Martyrium
Diese drei Aspekte sind im Grunde so eng miteinander verbunden, dass eines ohne die anderen seine Bedeutung nicht voll entfalten kann. Der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen stellt für den mythologischen iranischen Helden eine schicksalhafte Wende dar, in der er eine bewusste Entscheidung treffen und zwischen Gut und Böse wählen muss. Der Held der Taʼzieh tut dies aus freien Stücken und ohne Beachtung seiner persönlichen Interessen. Er muss also entweder bleiben und sich den weltlichen Freuden wie Reichtümern und Sinnlichkeit hingeben oder sich opfern und so letztendlich die Freiheit wählen. In diesem Sinne stellt das Märtyrertum die bessere Wahl dar, die der Held aus freien Stücken trifft. Sein Blut wird demnach vergossen, damit das Gute die Oberhand gewinnen kann. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass alle Ausgestaltungen des Martyriums ungeachtet ihrer äußeren Unterschiede letztendlich ein einheitliches Ziel verfolgen: So gleicht das politische Martyrium des Hussein dem Martyrium des Zarir und seiner Gefährten in der Jadegar-e Zariran oder dem Siyâwaschs und dient der Aufklärung der Menschen über die unrechte Herrschaft des Usurpators und somit letztlich der Befreiung von dieser Herrschaft.
Siyâwasch ist der erste Märtyrer bei Iraner. Aufgrund eben dieser Ähnlichkeit wird Hussein auch als „Blut Gottes“ bezeichnet. Hussein ist der erstgeborene Sohn Alis, der vor seiner Inthronisierung als Kalif der Muslime unter den iranischen Held( Pahlewan) als „Löwe Gottes“ bezeichnet wurde und in der iranischen Mystik eine zentrale Stellung einnimmt.
Die Elemente und Grundzüge der Taʼzieh als iranische Kunst die Taʼzieh ist eine theatralische Aufführung, die sich nach festen Vereinbarungen abspielt. Diese dienen dazu, dem Zuschauer die Inhalte und deren Bedeutung verständlicher zu machen und dürfen auf keinen Fall verändert werden. Dazu gehört auch, dass die Charaktere feste Rolleneigenschaften besitzen, deren inhaltliche Interpretation weder vorgesehen noch erwünscht ist. Als adäquate Übersetzung für das persische Wort Shabih-hkhan für die Ausführenden der Ta’zieh wird in dieser Arbeit von Autorin daher das Wort „Rollenträger“ eingeführt und verwendet. Die Taʼzieh besteht aus fünf Elementen, die sich gegenseitig beeinflussen und zusammengenommen ihre Form und ihren Inhalt bilden:
• der Plot der zugrunde liegenden Geschichten und Legenden
• die Charaktere, also die guten( Owliyâ), die bösen (Ashqhia) und andere Wesen wie Dschinns, Tiere und Engel, außerdem werden auch manche Gegenstände als Charaktere bezeichnet, z. B. Schwerter usw.
• die Musik, Lieder und Gedichte
• die Requisiten und Kostüme
• die Sprache

Die Bühne der Taʼzieh ist im Grunde ein Viereck. Die vier Ecken repräsentieren hierbei die vier natürlichen Elemente, aus der sich die Welt zusammensetzt, d. h. Wasser, Wind, Erde und Feuer. Wie bereits über den Mithraismus ausgeführt, gibt es hier den übergeordneten Gott Mehr und die vier kleinen Götter der Elemente, die zusammen die Erde erschaffen haben. Das Bühnenbild ist in der Taʼzieh ganz einfach und die Requisiten haben symbolischen Charakter. Zum Beispiel steht eine Schüssel voller Wasser für den Fluss Euphrat und ein paar Äste symbolisieren einen Palmenhain. Wenn ein Feldlager auf der Bühne dargestellt werden soll, reicht ein wenig Stroh oder getrocknetes Gras auf dem Boden aus. Setzt sich zum Beispiel Hussein auf einen Stuhl, gilt dieser Stuhl als sein Thron, tut aber Yazid dasselbe, stellt dies sein Feldlager dar.
Jede Bewegung der Rollenträger auf der Bühne hat eine Bedeutung. Die Zuschauer kennen diese Bedeutung, wie es bei anderen östlichen Darstellungen auch der Fall ist, weil sie sich im Laufe der Geschichte der Taʼzieh immer weiter verfestigt hat. Die Bewegungen in der Taʼzieh verdeutlichen darüber hinaus auch die Rollen von Gut und Böse: Die Bösen trampeln und laufen hektisch mit großen Schritten, die Guten dagegen laufen ruhig und leicht. Auch beim Singen versucht der Rollenträger, die einzelnen Wörter durch Mimik und Körperbewegung vorzuführen. Der Zuschauer versteht diese symbolischen Bewegungen der guten, bösen, heiligen oder teuflischen Rollen. Bei Bekenntnissen oder Geständnissen, Zeremonien und Gebeten ist ein körperlicher Nachdruck jedoch nicht notwendig und allein das Wort reicht aus.
Das Wichtigste am Kostüm in der Taʼzieh ist die Farbe, die nicht geändert werden darf. Die Bedeutung der Farben in der Taʼzieh hat alte Wurzeln. Basierend auf uralten kulturellen Vorbildern über die Farbe kennen die Zuschauer die überlieferte Vereinbarung über die Form und Farbe des Kostümes.
Das Verschwinden der Taʼzieh
Für manche Forscher liegt der Grund für den allmählichen Bedeutungsverlust der Taʼzieh auf der einen Seite im Aufkommen der Übersetzungen westlicher Theaterstücke durch die „okzidentalisierten“ Intellektuellen nach der konstitutionellen Revolution.
Auf der anderen Seite seien die populistische Instrumentalisierung der Taʼzieh im Anschluss an diese Periode, die Kritik seitens der Intellektuellen und die Gegnerschaft der Geistlichkeit und die spezielle Kulturpolitik des Herrschers Reza Schah als Gründe für den Niedergang der Taʼzieh zu nennen. dass der Rückzug der Taʼzieh aus den adeligen
Kreisen in die Städte und Dörfer dieser Kunst in kurzer Zeit einen großen Schaden zugefügt hat.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa:de:qucosa:78312
Date04 March 2022
CreatorsAhmadi, Fatemeh
ContributorsUniversität Leipzig
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
LanguageGerman
Detected LanguageGerman
Typeinfo:eu-repo/semantics/updatedVersion, doc-type:doctoralThesis, info:eu-repo/semantics/doctoralThesis, doc-type:Text
Rightsinfo:eu-repo/semantics/openAccess

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