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Hochgenaue Positionsbestimmung von Fahrzeugen als Grundlage autonomer Fahrregime im Hochgeschwindigkeitsbereich

Bei der Entwicklung neuartiger und innovativer Fahrerassistenzsysteme kommt der Positions- und Ausrichtungsbestimmung von Fahrzeugen eine Schlüsselrolle zu. Dabei entscheidet die Güte der Positionsbestimmung über die Qualität, die Robustheit und den Einsatzbereich des Gesamtsystems. Verbesserungen in der Positionsbestimmung führen zu einer besseren Performanz bzw. sind die Grundvoraussetzung für die Realisierung dieser Fahrerassistenzsysteme.

Ein Beispiel für solch ein neuartiges Fahrerassistenzsystem, welches auf eine hochgenaue Positionsbestimmung baut, ist der BMW TrackTrainer. Dieses Assistenzsystem soll den "normalgeübten" Autofahrer beim schnellen Erlernen der Ideallinie auf Rennstrecken unterstützen, indem das Fahrzeug die Rennstrecke völlig autonom auf einer vorher aufgezeichneten Ideallinie umrundet, während der Teilnehmer sich die Strecke aus Fahrerperspektive einprägt.

Für die Realisierung eines derartigen Assistenzsystems ist eine hochgenaue Positionsbestimmung im cm-Bereich notwendig. Bisher wurde dafür eine GPS-gestützte Inertialplattform eingesetzt, welche unter guten GPS-Empfangsbedingungen die Anforderungen an die Positionierung erfüllt. Bei schlechten GPS-Empfangsbedingungen, wie sie beispielsweise auf der international bekannten Rennstrecke Nürburgring Nordschleife aufgrund von Verdeckung und Abschattung der Satellitensignale durch stark bebautes oder bewaldetes Gebiet auftreten, liefert das Positionierungssystem keine ausreichend genauen Werte, wodurch das autonome Fahren verhindert wird. Zwar gibt es neben GPS auch weitere Positionsbestimmungssysteme, die aber für den Einsatz auf Rennstrecken entweder zu ungenau sind, oder einen zu hohen Rüstaufwand erfordern würden.

Um diese Lücke zu schließen, wurde im Rahmen dieser Arbeit ein hochgenaues Positionsbestimmungssystem entwickelt und evaluiert, welches auch unter schlechten GPS-Empfangsbedingungen den Anforderungen des autonomen Fahren auf Rennstrecken genügt und auf einer Fusion verschiedener Signalquellen in einem Positionsfilter beruht.

Folgende Signalquellen wurden hinsichtlich Genauigkeit sowie Praxistauglichkeit für den Einsatz auf Rennstrecken experimentell untersucht:
- GPS-gestützte Inertialplattform (GPS/INS)
- Fahrzeugsensoren mit erweitertem Fahrzeugmodell
- Digitaler Kompass
- Laser-Reflexlichtschranken
- Servo-Tachymeter
- LIDAR-basierte Randbebauungserkennung
- Videobasierte Spurerkennung
- Digitale Karte.

Obwohl eine GPS-gestützte Inertialplattform (GPS/INS) unter schlechten GPS-Empfangsbedingungen keine ausreichend genauen Positionswerte im cm-Bereich liefert, besitzt dieses System dennoch eine hohe Robustheit und Langzeitstabilität und stellt damit eine sehr gute Grundlage für die Positionsbestimmung auf Rennstrecken dar. Fahrzeugsensoren, bestehend aus Raddrehzahl- und Gierratensensor, schreiben die Fahrzeugposition mit Hilfe der Koppelnavigationsgleichung relativ für ca. 10s ohne eine Messung absoluter Positionswerte fort. Um die bestehenden Genauigkeitsanforderungen zu erfüllen, muss jedoch ab einer Geschwindigkeit von 30km/h das Fahrzeugmodell um eine Schwimmwinkelschätzung erweitert werden. Ein digitaler Kompass eignet sich nachweislich nicht für die Positionsbestimmung auf Rennstrecken. Hier treten aufgrund von magnetischen Interferenzen zu große Messfehler der Fahrzeugausrichtung auf, die eine Positionsstützung ungeeignet machen. Bei Referenzmessungen mit einem Servo-Tachymeter konnte die geforderte Genauigkeit dieser Messeinrichtung bei Fahrzeuggeschwindigkeiten kleiner 30km/h nachgewiesen werden. Bei höheren Geschwindigkeiten liefert das System jedoch keine Ergebnisse, was den Einsatz auf Rennstrecken ausschließt. Auf den Boden gerichtete Laser-Reflexlichtschranken können sehr präzise die Überfahrt über eine Bodenmarkierung detektieren. Da diese Überfahrten beim autonomen Fahren auf Rennstrecken nur sehr selten auftreten, ist diese Positionierungsmethode nicht geeignet. Mit Hilfe einer LIDAR-basierten Randbebauungserkennung kann die Fahrzeugposition in Kombination mit einer hochgenauen digitalen Karte der Randbebauung auf ca. 20-30cm genau geschätzt werden. Schwierigkeiten bereiten hier jedoch Unregelmäßigkeiten in der Geometrie der Randbebauung. Während parallel verlaufende Leitplanken neben der Strecke sehr gut erfasst werden können, liefern Sträucher, Erdwälle, etc. ungenaue Messergebnisse. Somit ist die LIDAR-basierte Randbebauungserkennung ein bedingt geeignetes System zur Positionsstützung auf Rennstrecken.

Als vielversprechendster Ansatz zur Verbesserung der Positions- und Ausrichtungsbestimmung auf Rennstrecken konnte der Einsatz einer visuellen Spurerkennung in Verbindung mit einer hochgenauen digitalen Karte der Spurmarkierungen identifiziert werden. Hierfür wurde eine sich in Vorserie befindliche Bildverarbeitungseinheit der Firma MobileEye mit einer eigens entwi-ckelten Spurerkennung verglichen. Letztere bietet den Vorteil, Systemwissen über den Verlauf der Fahrspurmarkierung sowie negative Effekte der Fahrzeugeigendynamik mit in den Signalver-arbeitungsprozess einfließen zu lassen. Bei Vergleichsfahrten auf dem BMW eigenem Testgelände in Aschheim konnte der Vorteil der Spurdatenrückführung nachgewiesen werden. Die erwei-terte Spurerkennung hatte nachweislich gegenüber der Vorserienbildverarbeitung eine höhere Verfügbarkeit von gültigen Messwerten. Bei Messfahrten auf der Nordschleife stellte sich jedoch das Vorseriensystem von MobileEye als das deutlich robustere Spurerkennungssystem heraus. Hier führten verschmutzte Fahrbahnmarkierungen, schnell wechselnde Lichtverhältnisse sowie sonstige Straßenbeschriftungen dazu, dass die erweiterte Spurerkennung weitaus weniger gültige Messwerte lieferte als das Vorseriensystem. Aus diesem Grund fiel für Fahrten mit schlechten visuellen Bedingungen die Wahl auf das Vorserienbildverarbeitungssystem.

Für den Entwurf des Positionsfilters wurden letztlich folgende Signalquellen verwendet:
- GPS-gestützte Inertialplattform (GPS/INS)
- Fahrzeugsensoren mit erweitertem Fahrzeugmodell
- Videobasierte Spurerkennung in Kombination mit einer selbst aufgezeichneten hochge-nauen Karte der Spurmarkierungen der Teststrecke.

Als Fusionsalgorithmus wurde ein erweiterter Kalman-Filter eingesetzt, da sich dieser besonders für die Zusammenführung unterschiedlicher Sensormessdaten eignet. Um eine optimale Zustandsschätzung der Fahrzeugposition und Ausrichtung zu erhalten, mussten die verwendeten Signalquellen zunächst zeitlich synchronisiert sowie auf Plausibilität geprüft werden. Als Synchronisationspunkt wurde der Messzeitpunkt der Signalquelle mit der größten Latenz verwendet. Dieser wurde mit 163ms durch für die videobasierte Spurerkennung bestimmt. Da jedoch eine verzögerte Positionsschätzung für eine stabile Reglung des Fahrzeugs für das autonome Fahren ungenügend ist, wurde die geschätzte Fahrzeugposition am Ausgang des Kalman-Filters mit Hilfe der Koppelnavigationsgleichung sowie der Fahrzeugsensoren auf den aktuellen Zeitpunkt (Latenz = 0s) prädiziert. Für die Detektion systematischer Fehler wie Radschlupf, falsch erkannte Spurmarkierung und GPS-Mehrwegeausbreitung kamen robuste Signalplausibilisierungsalgorithmen zum Einsatz. So erfolgte die Plausibilisierung der Spurerkennung unter anderem über die selbst aufgezeichnete hochgenaue Karte der Spurmarkierungen, da eine Spurerkennung nur da sinnvoll ist, wo Spurmarkierungsstützpunkte in hinterlegt sind. Für die Gültigkeitsüberprüfung der GPS-Messwerte wurde ein GPS-Offset-Beobachter entwickelt und angewendet.

Die Evaluierung des entwickelten Positionsfilters wurde im Rahmen der Arbeit am Beispiel des BMW TrackTrainers auf drei ausgewählten Teststrecken mit steigendem Schwierigkeitsniveau (Verschlechterung der GPS-Empfangsbedingungen) durchgeführt. Hierfür wurde die in Echtzeit geschätzte Fahrzeugposition mit einer durch Post-Processing korrigierten Positionslösung referenziert. Die Auswertung der Ergebnisse bewies, dass der entwickelte Positionsfilter durch die Fusion einer GPS-gestützten Inertialplattform, den Fahrzeugsensoren zur Messung von Gierrate und Raddrehzahlen sowie einer visuellen Spurerkennung in Kombination mit einer hochgenauen Karte der Fahrspurmarkierungen die Anforderungen des autonomen Fahrens auch unter schlechten GPS-Empfangsbedingungen erfüllt. Mit diesem, im Rahmen der Arbeit entwickelten, hoch-genauen Positionsbestimmungssystem konnte erstmalig am 21.10.2009 das autonome Fahren auf der Nürburgring Nordschleife nachgewiesen werden.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:14-qucosa-138506
Date08 May 2014
CreatorsNiehues, Daniel
ContributorsTechnische Universität Dresden, Fakultät Verkehrswissenschaften 'Friedrich List', Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krimmling, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krimmling, Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Eckehard Schnieder
PublisherSaechsische Landesbibliothek- Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
Languagedeu
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/pdf

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