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Ansätze perspektivischer Stadtentwicklung durch Inwertsetzung des UNESCO-Weltkulturerbestatus, untersucht in Städten peripherer und metropoler RäumeNeugebauer, Carola Silvia 04 July 2013 (has links)
Der UNESCO-Welterbestatus als ein kontroverses Thema in der lokalen bis globalen Öffentlichkeit gewinnt für die Stadt- und Regionalentwicklung in Europa zunehmend an Bedeutung. Denn zum einen nehmen die Nominierungen europäischer Stätten als Weltkulturerbe zu, und zum anderen hält der Trend zur räumlichen Polarisierung an. Es wachsen die Disparitäten zwischen peripheren und metropolen Regionen und ihren Städten. Der Notwendigkeit, wirtschaftliche, demografische und kulturelle Konzentrationsprozesse in Metropolen nachhaltig zu lenken, steht die Herausforderung gegenüber, angesichts von Schrumpfung und vielfältigen Problemlagen in peripheren Regionen, Erreichtes zu stabilisieren und Entwicklungen zu stimulieren. Der UNESCO-Weltkulturerbestatus ist in Folge dieser Entwicklungen für immer mehr lokale und regionale Akteure ein relevantes Thema, das gegenwärtig in metropolen Welterbestätten vor allem als Entwicklungsbarriere und Konfliktpotenzial und in peripheren Regionen als Chance für Stabilität und Entwicklung brisant erscheint.
Tatsächlich ist das Wirkpotenzial des UNESCO-Labels für die Stadt- und Regionalentwicklung kaum beschrieben. Es fehlen zum einen umfassende Evaluationen, die die Wirkungen des Weltkulturerbestatus im Querschnitt der soziokulturellen bis wirtschaftlichen Stadtentwicklungsthemen darstellen, negative Effekte thematisieren und das Wirken des Labels am Maßstab der Nachhaltigkeit bewerten. Zum anderen fehlen Studien, die systematisch erklären, warum der Welterbestatus wie auf die Stadtentwicklung wirkt und welche Bedingungen das Wirken des Welterbeslabels beeinflussen. Die räumliche Lage einer Welterbestätte und das Handeln ihrer Akeure sind dabei aus praktischer und theoretischer Sicht wesentliche und bislang unzureichend untersuchte Bedingungen. Im Ergebnis mangelt es an übertragbaren, wissenschaftlichen und praxisrelevanten Ableitungen, wie - in Anbetracht differenzierter lokaler Konstellationen - der Welterbestatus ein Teil nachhaltiger Stadtentwicklung sein kann.
Ziel der Arbeit sind demnach raumdifferenzierte und akteurszentrierte Ansätze, die den UNESCO-Welterbestatus als Potenzial nachhaltiger Stadtentwicklung erschließen: ihn schützen und nutzen. Dazu wurde das Wirken des Welterbelabels für die nachhaltige Stadtentwicklung evaluiert, differenziert für den peripheren und metropolen Raum und in Abhängigkeit vom lokalen Akteurshandeln.
Als theoretische Leistung der Arbeit wurde ein eigenständiger Evaluationsansatz entwickelt. Er dient der Feststellung und Bestimmung der Wirksamkeit des Welterbelabels für die nachhaltige Stadtentwicklung auf Grundlage des sozialwissenschaftlichen Kausalitätsverständnisses und der theoriebasierten Plausibilisierung der Wirkrekonstruktionen. Er ermöglicht, entscheidungs- und verbesserungsorientiertes Wirkungswissen sowie theoriebildendes Wissen zu erarbeiten. Empirische Grundlage ist dafür die Untersuchung dreier, theoriebasiert augewählter Fallbeispiele. Es sind die Weltkulturerbestädte St. Petersburg (Russland), Stralsund und Wismar (Deutschland). Die Städte ähneln sich in dem Merkmal, dass ihre Innenstädte flächenhaft als Weltkulturerbestätte anerkannt sind. Sie unterscheiden sich in ihren Konstellationen der Kriterien "Lage im Raum" (metropoler versus peripherer Kontext) und "Verhalten der Stadtverwaltung" gegenüber dem Welterbelabel (Passivität versus Aktivität).
Die zentralen Forschungsergebnisse der Arbeit lassen sich letztlich in vier Punkten zusammenfassen:
1. Der Weltkulturerbestatus ist nachweislich ein Potenzial der Stadtentwicklung, das in einem breiten Themenquerschnitt Entwicklungen der Welterbestadt bedingt bzw. bedingen kann.
Die Daten der Arbeit belegen, dass der Welterbestatus sowohl die lokalen Lebensqualitäten und Wirtschaftsentwicklungen in den Fallstudien, als auch die lokale Denkmalpflege und das öffentliche Stadtentwicklungshandeln verändern kann.
2. Das Welterbelabel wirkt bisher in keiner der untersuchten Welterbestädte gezielt nachhaltig-positiv (Nachhaltigkeitsthese).
Die Wirkungen des Welterbelabels in den Fallstudien entsprechen nicht durchgehend dem Maßstab der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist in der Arbeit über die Prinzipien der Integration, Partizipation und Verteilungsgerechtigkeit operationalisiert. Negative nicht nachhaltige Wirkungen in den Fallstudien sind beispielsweise welterbelabelbedingte Parallelstrukturen in den Stadtverwaltungen und Überlastungen lokaler Akteure (Verteilungsgerechtigkeit), intransparente Entscheidungsprozesse sowie die labelbedingte Produktion bzw. Verstärkung verwaltungsinterner Ressortgrenzen (Partizipation), welterbestatusbedingte Abschreckungen von lokalen Wirtschaftsakteuren sowie massive Gefährdungen des Bauerbes trotz Welterbelabel (Integration). Diese negativen Teilwirkungen des UNESCO-Labels sind unter anderem die Folge von Unachtsamkeit bzw. Desinteresse lokaler, insbesondere durchsetzungsstarker Akteure gegenüber potenziellen Wirkbereichen des Welterbelabels in der Stadtentwicklung. Die Nachhaltigkeitsthese besagt dementsprechend: Der Welterbestatus ist in den untersuchten Welterbestädten ein ungenutztes Potenzial für nachhaltige Stadtentwicklung. Denn die Wirkmöglichkeiten des Welterbestatus zur Beförderung des lokalen Denkmalschutzes, der lokalen Lebensqualität und Wirtschaftsentwicklung werden von den Akteuren der Stadtverwaltung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft nicht konsequent integrativ, transparent-partizipativ und effizient-ressourcengerecht bedacht und genutzt.
3. Das Welterbelabel ist ein räumlich differenziertes und akteursabhängiges Potenzial für die (nachhaltige) Stadtentwicklung (Raum- und Akteursthese). Es wirkt begleitend, statt entscheidend auf lokale Entwicklungen.
Drittes Kernergebnis der Arbeit ist der Nachweis des UNESCO-Welterbelabels als ein relatives, nämlich räumlich differenziertes und akteursabhängiges Potenzial für die Stadtentwicklung. So betont die Raumthese der Arbeit den Einfluss des räumlichen Kontextes einer Welterbestadt auf die lokalen Möglichkeiten der Inwertsetzung und des Wirkens des Labels. Sie besagt: Das Potenzial des UNESCO-Weltkulturerbestatus für die Stadtentwicklung ist für Welterbestädte des peripheren Raumes größer als für Welterbestädte des metropolen Raumes, denn in Städten des peripheren Raumes mobilisiert der Welterbestatus deutlich stärker die Lokalakteure, Ideen und Aktivitäten zur Stadtentwicklung zu entwickeln und umzusetzen. Es sind Absichten und Aktivitäten zum Schutz und zur Nutzung des Welterbestatus. In der Tendenz sind die Wirkungen des Welterbestatus für den Schutz des baulichen (Welt-) Erbes und die soziokulturelle und ökonomische Stadtentwicklung zudem für periphere Welterbestädte relativ stärker als für Welterbestädte im metropolen Raum. Die Bedingungen für die Inwertsetzung des Welterbestatus sind allerdings im peripheren Raum relativ schlechter als in metropolen Welterbestädten, aufgrund begrenzter Finanz- und Personalressourcen der Lokalakteure aus Lokalwirtschaft, Zivilgesellschaft und Stadtverwaltung.
Neben dem räumlichen Kontext einer Welterbestadt sind die Wirkungen des Welterbelabels in der Stadtentwicklung nachweislich vom Handeln der Lokalakteure abhängig. Die Akteursthese der Arbeit besagt: Das Potenzial des Welterbestatus für die Stadtentwicklung ist bedingt durch das Handeln der lokalen Akteure. Je aktiver und querschnittsorientierter Lokalakteure mit Durchsetzungsvermögen den Welterbestatus in Wert setzen, das heißt schützen und nutzen, desto deutlicher und vielfältiger sind die Wirkungen des UNESCO-Labels für die Stadtentwicklung im Rahmen des theoretisch Möglichen.
Das prinzipiell positive wie negative Wirkpotenzial des UNESCO-Labels wird erst durch das Handeln, insbesondere durchsetzungsstarker Akteure wie leitende Stadtverwaltungsvertreter aktiviert. Das Wirkpotenzial des Welterbestatus in allen untersuchten Bereichen der Stadtentwicklung ist allerdings nachweislich begrenzt. Denn das Label spricht stets nur kleine Zielgruppen an und wirkt in ihnen als begleitendes, statt entscheidendes Argument für Verhaltensweisen. Ein stetes Mehr an lokalen Inwertsetzungsaktivitäten stößt letztlich an diese intrinsischen Wirkgrenzen des UNESCO-Labels (die Grenzen des theoretisch Möglichen) und damit auf den so genannten abnehmenden Grenznutzen. Zudem ist das lokale Wirken des Welterbelabels nicht allein von lokalen Bedingungen, wie dem Raumkontext der Stätte und das Akteurshandeln beeinflusst. Es steht nachweislich auch - in Einzelfällen sehr deutlich - im Zusammenhang mit überlokalen Bedingungen und Akteurshandlungen.
4. Differenzierte Ansätze, die den Raumkontext und die Akteurskonstellationen der Welterbestätte als Wirkbedingungen reflektieren und abstrahieren, sind praxisrelevante und übertragbare Anregungen dafür, den Welterbestatus nachhaltig als Potenzial der Stadtentwicklung zu erschließen.
Letztes Kernergebnis der Arbeit sind zwei übertragbare Ansätze, die den Welterbestatus als Potenzial nachhaltiger Stadtentwicklung differenziert für die Konstellationen „Welterbestädte im metropolen Raum“ und „Welterbestädte im peripheren Raum“ erschließen. Sie bieten inhaltliche, strukturelle und prozessuale Anregungen für das (Verwaltungs-) Handeln in Welterbestädten, die auf den Fallstudienergebnissen, auf Erfahrungen weiterer deutscher Welterbestädte sowie auf den aktuellen internationalen Diskussionen zum Management von Welterbestätten beruhen. Das Forschungsergebnis zum relativen, raumdifferenzierten und akteursabhängigen Potenzial des Welterbelelabels für die Stadtentwicklung begründet die Differenzierung der Ansätze. Es ist zudem der Ansatzpunkt, um die vielschichtigen Situationen in den untersuchten Fallstudien nachvollziehbar in Form von context-mechanism-output configurations zu abstrahieren und damit die Übertragung der Ansätze auf andere Welterbestädte ähnlicher Konstellationen prinzipiell zu ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund sollte das Leitbild für den lokalen Umgang mit dem Welterbe(status) in metropolen Stadtregionen lauten: Das bauliche (Welt)Erbe der Stadt ist geschützt und wird genutzt und weiterentwickelt, ohne die ihm spezifischen und schützenswerten Charakteristika zu beeinträchtigen und vor dem Hintergrund eines starken Rückhaltes des Denkmalschutzes in der Stadtgesellschaft.
Das Leitbild reflektiert sowohl den lokalen Handlungsbedarf und die ideelle Verpflichtung der Stadtgesellschaft gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft, das (Welt-) Erbe dauerhaft zu schützen, als auch die empirisch-theoretisch begründete Folgerung, dass aus der lokalen Inwertsetzung des UNESCO-Labels keine bzw. maximal marginale Wirkungen für die lokale Wirtschafts- und soziokulturelle Stadtentwicklung resultieren. Es zielt weder auf das kategorische Ausschließen soziokultureller und wirtschaftlicher Entwicklungen im Welterbegebiet, noch auf den Rückzug der Denkmalpflege, sondern sucht, das Ausbalancieren von Schutz- und Entwicklungszielen nachhaltig zu qualifizieren. Das Leitbild entspricht in diesem Sinne grundsätzlich dem bekannten Leitbild der bewahrenden Stadtentwicklung. Die überlokale Sichtbarkeit des Welterbelabels sowie das garantierte Mindestmaß an Aufmerksamkeit und Mitgestaltungswillen für die lokale Stadtentwicklung seitens der internationalen UNESCO und ICOMOS definieren jedoch letztlich die besondere Chance und brisante Herausforderung des Welterbelabels für die nachhaltige Entwicklung in metropolen Stadtregionen. Der in der Arbeit entwickelte Ansatz für den lokalen Umgang mit dem Welterbelabel greift deshalb zunächst auf prozessuale und strukturelle Elemente zurück, die eine nachhaltige, bewahrende Entwicklung auch in Nichtwelterbestädten fördern und detailliert diese dann in wenige Punkten entsprechend der spezifischen Notwendigkeiten und Erfahrungen in UNESCO-Weltkulturerbestädten. Die welterbespezifischen Notwendigkeiten berühren in metropolen Welterbestädten in erster Linie die nachhaltige \"Sicherung der Qualität von Planungszielen, Maßnahmen und Projekten\" für das (Welt-) Erbegebiet in konfliktfreier Kooperation mit den überlokalen Welterbegremien und ohne Aufgabe der kommunalen Selbstbestimmung sowie die nachhaltige Verankerung des Welterbeschutzgedankens in der lokalen Stadtgesellschaft.
Das Leitbild für den Umgang mit dem Welterbe(status) in peripheren Stadtregionen sollte in Ergänzung dazu lauten: Das bauliche (Welt-)Erbe der Stadt ist geschützt und wird genutzt und weiterentwickelt, ohne die ihm spezifischen und schützenswerten Charakteristika zu beeinträchtigen und vor dem Hintergrund eines starken Rückhaltes der Denkmalpflege in der Stadtgesellschaft. Der Welterbestatus wird nachhaltig und erfolgreich genutzt, um soziokulturelle und wirtschaftliche Stabilität bzw. Entwicklungen zu befördern.
Im Unterschied zu Welterbestädten im metropolen Raum zielt das Leitbild, neben dem nachhaltigen Schutz des (Welt-)Erbes, folglich auch auf die Nutzung des Welterbelabels für die soziokulturelle und wirtschaftliche Entwicklung bzw. Stabilität der Stadt. Denn sowohl die Handlungsbedarfe in peripheren Welterbestädten, als auch die lokalen Inwertsetzungsabsichten und die theoretisch begründbaren Wirkmöglichkeiten des Welterbestatus sprechen für die Aktivierung der soziokulturellen und wirtschaftlichen Wirkchancen des UNESCO-Welterbelabels. Dabei ist es entscheidend, lokale Strukturen und Prozesse auf- bzw. auszubauen, die nicht nur der Inwertsetzung des UNESCO-Labels dienen, sondern allgemeinhin die sozioökonomische Entwicklung der Stadt fördern. Denn zum einen sind in peripheren Städten die lokalen Handlungsressourcen begrenzt und zum anderen sind den Wirkmöglichkeiten des UNESCO-Titels intrinsische Grenzen gesetzt. Die überlokale Sichtbarkeit des Welterbelabels, die nationale ideelle Mitverantwortung für die lokale Welterbepflege sowie der Zugang zu (inter-)nationalen Welterbenetzwerken definieren letztlich die besondere Chance des Labels für die nachhaltige Entwicklung in peripheren Städten. Der detaillierte Ansatz für den lokalen Umgang mit dem Welterbelabel thematisiert folglich auch, wie diese spezifischen Möglichkeiten nachhaltig genutzt werden könnten.
Letztlich liegt in der systematisch differenzierenden Untersuchung zu den Wirkungen verschiedener lokaler Welterbemanagementsysteme weiterer Forschungsbedarf. Es sind Best Practice Beispiele für die nachhaltige (Welt-) Erbepflege und sozioökonomische Welterbelabelnutzung zu identifzieren und kommunizieren, um die Idee des weltweiten Erbes der Menschheit in allen, metropolen wie peripheren Regionen umsetzen zu helfen. Die UNESCO als Träger der Welterbeidee sollte derartige Forschungen verstärkt anstoßen und kommunizieren und damit stärker als bisher ein konstruktiver Partner für die gestaltenden Akteure in Welterbestätten sein.
Im Ergebnis ist die Arbeit sowohl ein Beitrag zu aktuellen welterbebezogenen Fachdiskussionen (Welterbemanagement), als auch zu den gegenwärtigen Ziel- (Leitbilddiskussion zur Nachhaltigkeit) und Steuerungsdiskussionen in der Raumentwicklung (Governance, evidenzbasierte Planung).
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