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Ethik und Tragödie im Lichte der neuesten Parallelität von ‚Hypermoral‘ und VerrohungRehberg, Karl-Siegbert 21 May 2024 (has links)
Ausgehend von der ethischen Dimension in allen Variationen der Philosophischen Anthropologie wird angesichts der erneuten Aktualität des Begriffs „Hypermoral“ Arnold Gehlens letzte Monographie „Moral und Hypermoral“ (1969) im Hinblick auf das Phänomen einer „Überdehnung ethischer Prinzipien“ dargestellt. Das Buch enthält zwei einander opponierende Diskurse, nämlich einmal die Rekonstruktion von vier voneinander nicht ableitbaren Ethosformen, die in Spannung zu einander stehen. Damit widersprach er der Ansicht, dass es eine mehr oder weniger lineare Ausweitung ethischer Motive von der Familie bis in Weltmaßstäbe hinein existiere. Stattdessen werden Konfliktkonstellationen im Rahmen einer „pluralistischen Ethik“ behandelt, etwa zwischen dem „familienbezogenen ethischen Verhalten bis hin zum Humanitarismus“ oder einer zunehmend dominant werdenden „Ethik des Wohlbefindens und des Glücks (Eudaimonismus)“ im Gegensatz zum „Ethos der Institutionen einschließlich des Staates“. Diese einleuchtende These wird im zweiten Teil dieser Studie überlagert durch eine scharfe Kritik an einer zunehmenden Schwächung des Staates durch die Ansprüche eines Humanitarismus in Verbindung mit der Ausbreitung einer „Moralhypertrophie“. Das richtete sich besonders gegen die „68er“-Studentenbewegung und die Demokratisierungsansprüche der Willy-Brandt-Regierung, behandelte aber zugleich grundlegendere Formen einer Schwächung der Institutionen überhaupt. Aus Gehlens Perspektive hatte das katastrophische Auswirkungen für die Gesellschaft und bedeutete insofern für ihn tatsächlich eine „Tragödie“ – und dies in einer Zeit, in welcher deren Pathos längst vergangen war. Wenigstens gibt es nicht mehr die schicksalhafte Unentrinnbarkeit wie in den griechischen Tragödien, deren bekannteste das Schicksal der Antigone darstellt. Unversöhnlich treffen in der Figur des Kreon, des Königs von Theben, die Verpflichtungen des Staates auf die familiendynastischen Pflichten dieser unglücklichen Tochter des Königs Ödipus. Ausgehend davon wird sodann die heutige Gleichzeitigkeit von moralischer Sensibilisierung und hypermoralistischer Hysterie diskutiert. / Starting from the ethical dimension existing in all variations of philosophical anthropology, this paper presents Arnold Gehlen’s last monograph Moral und Hypermoral (1969) in view of the renewed topicality of the term “hypermorality” with regard to the phenomenon of an “overstretching of ethical principles”. The book contains two opposing discourses. First, there is the reconstruction of four ethos forms that cannot be derived from and are in tension with each other. Gehlen thus contradicts the view that there is a more or less linear extension of ethical motives from the family to global scales. Instead, he treats conflict constellations within the framework of “pluralistic ethics”; for example, between the “family-related ethical behaviour up to humanitarianism” or an increasingly dominant “ethics of well-being and happiness (eudaimonism)” in contrast to the “ethos of institutions, including the state”. This plausible thesis is overlaid in the second part of Gehlen’s study by a sharp criticism of an increasing weakening of the state through the claims of a humanitarianism combined with the spread of “moral hypertrophy”. The criticism was particularly directed against the student movement of the “68ers” and the claims of democratisation on the part of Willy Brandt’s government, but at the same time pertained to more fundamental forms of a weakening of institutions in general. From Gehlen’s perspective, this had catastrophic consequences for society and in this respect actually represented a “tragedy” for him, and at a time when the pathos of the events had long since passed. We at least are no longer subject to the fateful inescapability of Greek tragedies, most famously represented in the Antigone. In the figure of Creon, the king of Thebes, the obligations of the state collide irreconcilably with the family-dynastic obligations of the unfortunate daughter of King Oedipus. On this basis, I then discuss the contemporary simultaneity of moral sensitisation and hyper-moralistic hysteria.
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