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Rezessive Varianten im Glutaminase Gen führen zu neonataler epileptischer Enzephalopathie - Entdeckung neuer valider Kandidatengene neurologischer Entwicklungsstörungen durch systematische Priorisierung und Evaluation -

Büttner, Benjamin 20 April 2022 (has links)
Die Ursachen für genetisch bedingte neurologische Entwicklungsstörungen sind sehr vielfältig. Aufgrund der heterogenen und unspezifischen klinischen Präsentation ist eine eindeutige Diagnosestellung durch eine rein klinische Beschreibung selten möglich. Eine frühzeitige und effiziente Diagnosestellung erspart den Betroffenen und auch dem Gesundheitssystem unnötige Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte und verbessert die prognostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Mit Hilfe der massiven Parallelsequenzierung, der Next-Generation-Sequencing Technologie, sind in den letzten Jahren bereits über tausend krankheitsassoziierte Gene für NDD identifiziert worden. Weltweit werden mittels der Sequenzierung und Auswertung von tausenden Exomen betroffener Menschen große Studien zur Identifizierung neuer valider Kandidatengene durchgeführt. Die Zahl valider Kandidatengene bleibt, im Vergleich zum Aufwand, jedoch hinter den Erwartungen zurück. Am Institut für Humangenetik Leipzig wird daher von jedem Fall einer neurologischen Entwicklungsstörung, soweit Material und Einwilligung der Betroffenen vorhanden sind, ein Trio-Exom sequenziert. Das bedeutet, dass die Exome der Eltern oder der Geschwister mit dem Exom des betroffenen Menschen verglichen werden. Somit ist es möglich, Varianten in bereits bekannten krankheitsassoziierten Genen zu finden und folgend eine genetische Diagnose zu stellen. Wenn in dieser Routinediagnostik keine Diagnosestellung möglich war, analysierte ich die Trio-Exome erneut auf Forschungsbasis, um mögliche, bisher noch nicht bekannte neue Kandidatengene zu finden, welche die Erkrankungen der Betroffenen erklären können. Um die Masse an Kandidatengenvarianten einzugrenzen, eine Vergleichbarkeit von verschiedenen Kandidatengenvarianten zu schaffen und die wissenschaftlichen Ressourcen bestmöglich zu nutzen, entwickelte ich einen Kandidatengenscore zur Priorisierung jeder einzelnen Variante. Dieser Score besteht aus 4 Übergruppen zusammengesetzt aus 12 verschiedenen Parametern, welche die Eigenschaften des konkreten Vererbungsmodus, des einzelnen Gens, der spezifischen Variante und Aspekte der Literaturrecherche widerspiegeln. Aus der untersuchten Kohorte von 198 Betroffenen mit neurologischen Entwicklungsstörungen konnten 63 Fälle in der Routinediagnostik mit einer klaren genetischen Diagnose geklärt und in den restlichen ungeklärten Fällen insgesamt 158 Kandidatengenvarianten identifiziert werden. Allein aus den Top 15% (21 Kandidatengene) der gescorten Kandidatengene, wurden bisher bereits 10 Gene als krankheitsverursachend durch Publikationen validiert. Diese Gene sind TANC2, GLS, ACTL6B, GRIN3B, CUX1, UNC13A, GRIA4, MAPK8IP3, CACNB4 und WDFY3. An den Publikationen von TANC2 und WDFY3 arbeitete ich im Zuge meiner Doktorarbeit aktiv als Co-Autor mit. Als Erstautor und als Grundlage dieser publikationsbasierten Dissertation konnte ich ein neues rezessiv-vererbtes Krankheitsbild ausgelöst durch Varianten im GLS-Gen beschreiben: Im Rahmen der wissenschaftlichen Auswertung der Trio-Exome und während der Entwicklung des Kandidatengenscores fielen zwei Fälle mit gleichem Kandidatengen und ähnlicher klinischer Symptomatik auf. Zwei nicht verwandte Kinder von gesunden Eltern besaßen rezessive Varianten im GLS-Gen, welches das Enzym Glutaminase kodiert. Beide Betroffenen verstarben innerhalb des ersten Lebensmonats an einer sich rasch entwickelnden epileptischen Enzephalopathie. Des Weiteren wurden in beiden Fällen verstorbene Geschwisterkinder beschrieben, welche an vergleichbaren Symptomen kurz nach der Geburt verstarben. Da das Enzym Glutaminase ein wichtiger Bestandteil der Glutamin/Glutamat-Homöostase ist und Glutamat einen wichtigen Neurotransmitter des Menschen darstellt, lag die Vermutung nahe, dass eine Störung des Glutamat-Stoffwechsels zu neurologischen Entwicklungsstörungen führen kann. In Zusammenarbeit mit der niederländischen Arbeitsgruppe um Prof. van Hasselt konnten erhöhte Glutaminkonzentrationen in den Trockenblutkarten des Neugeborenenscreenings der beiden verstorbenen Geschwister einer Familie nachgewiesen werden. Ebenfalls war es möglich, die von jeweils einem Elternteil vererbten compound heterozygoten Varianten in beiden Erbanlagen der verstorbenen Geschwister nachzuweisen und das gemeinsame Auftreten beider Varianten im genetischen Code der gesunden Geschwister auszuschließen. Somit konnte durch die Entwicklung des Kandidatengenscores mit Priorisierung der verschiedenen Kandidatengene und Fokussierung auf die vielversprechendsten Gene mit folgender intensiver wissenschaftlicher Evaluation ein neues autosomal rezessives Krankheitsbild beschrieben werden, welches aufgrund von Varianten im GLS-Gen zu einer neonatalen, tödlich verlaufenden Enzephalopathie führt. Mit Hilfe des Kandidatengenscores ist es gelungen, sich auf die überzeugendsten neuen Kandidatengene zu fokussieren, neue wissenschaftliche Kooperationen zu knüpfen und hierdurch die Liste an validen krankheitsassoziierten Genen, wie zum Beispiel des GLS-Gens, zu erweitern. Der Kandidatengenscore wird weiterhin am Institut für Humangenetik Leipzig erfolgreich eingesetzt.

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