Return to search

Fahrrelevanz von Elementen des Straßenverkehrs – Beschreibung, Erfassung und Anwendung

Die Wahrnehmung und Verarbeitung fahrrelevanter Informationen ist eine wesentliche
Voraussetzung dafür, dass Fahrer ihr Fahrzeug sicher und ohne Gefährdung der eigenen
Person wie auch anderer Verkehrsteilnehmer steuern und die Fahraufgabe effizient ausführen
können. Mit den Prozessen der Wahrnehmung und Verarbeitung fahrrelevanter Informationen
beschäftigt sich das vieldiskutierte Konzept des Fahrsituationsbewusstseins (Gelau & Krems,
2009), das die Bedeutung dieser Informationen für eine valide Bewertung und Antizipation des
Verkehrsgeschehens sowie darauf aufbauend für die angemessene Handlungsplanung und
-ausführung betont (Baumann & Krems 2007; Durso, Rawson & Girotto, 2007; Endsley, 1995;
Gugerty, 1997, in press). Somit bildet die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Fahrrelevanz
von Verkehrselementen eine Voraussetzung dafür, die kognitiven Prozesse, die in der Ausführung
der Fahraufgabe benötigt werden, untersuchen und verstehen zu können. Auf diesen Überlegungen
aufbauend, hatte diese Arbeit folgende Schwerpunkte, die sich der Beschreibung und Erfassung
des Konzepts der Fahrrelevanz sowie der Anwendung dieses Konzepts widmeten.
Ein Schwerpunkt dieser Arbeit war es, Eigenschaften und Merkmale der Verkehrsumwelt
zu bestimmen, die einen Einfluss darauf haben, wie wichtig ein Verkehrselement für die
sichere Ausführung der Fahraufgabe wahrgenommen wird. Ist es beispielsweise für die Bewältigung
der Fahraufgabe bedeutsam, ob das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer vorhergesagt
werden kann, in welcher Entfernung sie sich zum Fahrer befinden oder wie schnell sie fahren?
Der zweite Schwerpunkt dieser Arbeit konzentrierte sich darauf zu prüfen, ob das Konzept
der Fahrrelevanz von Verkehrselementen als Bestimmungsgröße in Definitionen der Komplexität
von Verkehrssituationen (siehe z.B. Elvik, 2004; Fastenmeier, 1995a) verwendet werden kann.
Unterscheidet sich der Komplexitätsgrad von Verkehrssituationen in Abhängigkeit davon, wie
viele fahrrelevante Elemente in den Verkehrssituationen gegeben sind?
Mit dem dritten Schwerpunkt widmete sich diese Arbeit der Frage, ob das Konzept der
Fahrrelevanz verwendet werden kann, um Unterschiede zwischen erfahrenen und unerfahrenen
Fahrern im Fahrverhalten zu erklären. Speziell wurde die Annahme geprüft, dass zwar unerfahrene
wie erfahrene Fahrer über relevantes Aufgabenwissen verfügen, unerfahrene Fahrer allerdings
auf dieses Wissen in der konkreten Anwendung der Fahraufgabe schlechter zurückgreifen können
als Fahrer, die auf eine umfangreiche Fahrpraxis zurückblicken (in Anlehnung an Feltovich,
Prietula & Ericsson, 2006; Stokes, Kemper & Kite, 1997).
In fünf Untersuchungen wurde diesen Fragen nachgegangen. In Untersuchung I
betrachteten erfahrene Fahrer Videosequenzen des Straßenverkehrs und bewerteten, wie wichtig
verschiedene Verkehrselemente für das sichere Bewältigen der Fahraufgabe sind. Anhand dieser
Bewertungen wurden Merkmale der Verkehrsumwelt bzw. der Elemente selbst identifiziert, die
die Fahrrelevanzausprägungen dynamischer Elemente erklären können. In Ergänzung wurden in
Untersuchung II die Bewertungen unerfahrener Fahrer der Fahrrelevanz von Verkehrselementen
erhoben und mit den Bewertungen der erfahrenen Fahrer aus Untersuchung I verglichen. In
Untersuchung III bewältigten erfahrene Fahrer einfache und komplexe Situationen in einem
Fahrsimulator. Die Situationskomplexität wurde auf Basis hoher oder geringer Fahrrelevanzausprägungen
der in den Situationen enthaltenen dynamischen Elemente variiert. In der Manipulation
der Elemente wurde dabei auf die in der ersten Untersuchung identifizierten Merkmale
zurückgegriffen. Beispielsweise variierte das Merkmal Entfernung zum Verkehrselement,
d.h. Situationen umfassten fahrrelevante Elemente, die u.a. eine kurze Entfernung zum Fahrer
aufwiesen, oder wenig relevante Elemente, die sich entsprechend in großer Entfernung zum
Fahrer befanden. Erfasst wurden die Wichtigkeit der Elemente für sicheres Fahren, die Beanspruchung,
Fahr- sowie Blickverhalten der Fahrer. Darauf aufbauend wurde Untersuchung IV
konzipiert und durchgeführt. Die Manipulation der Situationskomplexität erfolgte hier gestuft in
insgesamt acht Varianten, was eine genauere Analyse der Verhaltensparameter bezüglich des
Einflusses einzelner Merkmale der Verkehrsumwelt auf die Fahrrelevanz von Elementen ermöglichte.
Abschließend wurden im Fahrsimulator in Untersuchung V das Wissen um fahrrelevante Informationen
und die Anwendung dieses Wissens von erfahrenen und unerfahrenen Fahrern
erfasst und miteinander verglichen.
Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde eine Systematik von Merkmalen der
Verkehrsumwelt entwickelt, deren Verwendung es ermöglicht, die Fahrrelevanz dynamischer
Elemente des Straßenverkehrs zu bestimmen. Mit dieser Systematik ist es gelungen, das Konzept
der Fahrrelevanz inhaltlich zu fassen und zu präzisieren.
Weiterhin wurde die Anwendbarkeit des Konzepts der Fahrrelevanz als Bestimmungsgröße
der Komplexität von Verkehrssituationen experimentell überprüft und bestätigt. Demnach
beeinflusst die Fahrrelevanz von Verkehrselementen den Komplexitätsgrad von Verkehrssituationen.
Je mehr fahrrelevante Elemente eine Situation in den Untersuchungen umfasste,
umso stärker passten die Fahrer ihr Verhalten an die steigenden Anforderungen dieser Situation
an. Sie zeigten somit ein Verhalten, das aufgrund früherer Untersuchungen für Verkehrssituationen
mit zunehmender Komplexität erwartet wurde (z.B. Chapman & Underwood, 1998).
Mit der Verwendung des Konzepts der Fahrrelevanz konnte weiterhin bestätigt werden,
dass keine bedeutsamen Unterschiede in der Bewertung der Fahrrelevanz von Verkehrselementen
zwischen erfahrenen und unerfahrenen Fahrern bestehen. Nichtsdestotrotz wird dieses
Wissen auf verschiedene Weise von Fahrern mit hoher oder geringer Fahrerfahrung während der
aktiven Ausführung der Fahraufgabe umgesetzt. Erfahrene Fahrer passten ihr Verhalten in den
Untersuchungen flexibel an die spezifischen Anforderungen einer Verkehrssituation an, wohingegen
unerfahrene Fahrer weniger adaptiv, zum Teil starr und situationsunabhängig reagierten
(siehe auch Underwood, Chapman, Brocklehurst, Underwood & Crundall, 2003).
Zusammenfassend ermöglichte diese Arbeit, das Konzept der Fahrrelevanz von
Verkehrselementen inhaltlich zu präzisieren sowie eine Grundlage für die Erfassung des Konzepts
zur Verfügung zu stellen. Die Anwendbarkeit des Konzepts der Fahrrelevanz konnte darüber
hinaus im Zusammenhang mit der Komplexität von Verkehrssituationen sowie im Vergleich des
Fahrverhaltens erfahrener und unerfahrener Fahrer untersucht und bestätigt werden. / The perception and correct interpretation of information relevant for driving is
necessary to handle a car efficiently and safely without posing danger to other road users as well
as oneself. The much discussed concept of drivers’ situation awareness (e.g., Gelau & Krems,
2009) is concerned with the processes of perception and interpretation of driving relevant information
(e.g., Baumann & Krems 2007; Durso, Rawson, & Girotto, 2007; Endsley, 1995; Gugerty,
1997, in press). The related theories emphazise the importance of this information for anticipating
traffic situations and, therewith, for selecting an appropriate action. Thus, the examination of
the relevance of selected traffic elements for the driving task is a prerequisite to understand the
cognitive processes required for driving.
Therefore, one goal of the present paper was to identify attributes of the traffic
environment that influence the perception on how relevant a respective element of a traffic situation
is for safe driving. Will it make a difference for drivers whether the behavior of other road
users is predictable, whether other road users are in close range, or whether they move very fast?
The second goal was to investigate whether the relevance concept can be used as a
determinant for definitions of traffic complexity (e.g., Elvik, 2004; Fastenmeier, 1995a). Does the
complexity of a traffic situation depend on how many elements relevant for driving this situation
comprises?
The third goal of this research was to examine the question of whether the relevance
concept can be used to explain differences in the behavior of experienced and inexperienced
drivers. Even though both experienced and inexperienced drivers have similar knowledge about the
relevance of traffic elements for driving the latter are less able to use that knowledge adequately
while actively operating a car, which in turn may lead to differences in perception of and coping with
a certain traffic situation (e.g., Feltovich, Prietula, & Ericsson, 2006; Stokes, Kemper, & Kite, 1997).
Five studies were conducted to reach these goals. In study I experienced drivers
watched video clips of traffic situations. The participants judged how relevant different elements
are for safe driving. The judgements were then used to identify attributes of the traffic environment
or the specific elements themselves that might moderate their relevance. Complementary,
inexperienced drivers performed the same judgement task in study II. Subsequently, their estimations
of the relevance of traffic elements were compared with the estimations of the experienced
drivers. Drivers of study III navigated through simple and complex traffic situations in a driving
simulator. Complexity varied regarding the number of elements relevant for driving in a given
situation, whereas the elements’ relevance was manipulated by using the previously identified
attributes of the traffic environment. For example the attributes distance or predictability of other
road users were manipulated. Thus, situations with elements relevant for driving (e.g., a close car
or an unpredictable person) could be compared to situations with elements less relevant (e.g.,
a distant car or a predictable person). The importance of the elements for driving, workload,
driving behavior as well as gaze behavior were measured. In study IV, the manipulation of complexity
resulted in eight conditions that allowed for a detailed examination of the influence of the various
attributes on the relevance of the elements. Finally in study V, experienced and inexperienced
drivers were compared regarding their knowledge about the relevance of elements for driving as
well as the application of this knowledge while operating driving scenarios in the simulator.
One result of this research was the development of a taxonomy of attributes of the
traffic environment. With the application of the taxonomy the relevance of traffic elements can
be defined and, thus, the relevance concept was further specified.
Furthermore, driving task relevance of traffic elements was confirmed as a predicting
factor of traffic complexity. According to the attained results, the number of elements relevant
for driving influences the complexity of traffic situations. The drivers adapted to an increasing
number of relevant elements in the investigated traffic situations and the associated extended
demands – an expected behavior similar to findings of former studies on traffic complexity (e.g.,
Chapman & Underwood, 1998).
Finally, as predicted, participants of varying driving experience did not differ significantly
in their knowledge about the relevance of traffic elements. However, experienced and
inexperienced drivers used this knowledge in different ways while actively performing the driving
task. Experienced drivers adapted their behavior flexibly to the demands of the traffic situation
differing in the number of elements relevant for driving. In contrast, inexperienced drivers behaved
less adaptive and more rigid, i.e., independently from the demands originating from a traffic
situation (cp., Underwood, Chapman, Brocklehurst, Underwood & Crundall, 2003).
Summarizing, the reported research specifies the concept of the relevance of traffic
elements for driving with regard to content and provides a basis for the capture of the concept.
Furthermore, the applicability of the relevance concept was tested and validated regarding traffic
situation complexity as well as in driving behavior comparisons of experienced and inexperienced
drivers.

Identiferoai:union.ndltd.org:DRESDEN/oai:qucosa.de:bsz:ch1-201000403
Date06 May 2010
CreatorsRösler, Diana
ContributorsTU Chemnitz, Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Josef F. Krems, Prof. Dr. Josef F. Krems, Prof. Dr. Peter Sedlmeier
PublisherUniversitätsbibliothek Chemnitz
Source SetsHochschulschriftenserver (HSSS) der SLUB Dresden
Languagedeu
Detected LanguageGerman
Typedoc-type:doctoralThesis
Formatapplication/pdf, text/plain, application/zip
RightsDokument ist für Print on Demand freigegeben

Page generated in 0.0041 seconds